Holocaustgedenken in Israel

Lebendige Erinnerung im kleinen Kreis

Holocaust-Gedenktag in Israel
Eine Jugendliche erinnert 2015 in Tel Aviv an Überlebende des Holocaust zum Holocaust-Gedenktag in Israel. © imago stock&people
Von Lissy Kaufmann · 28.04.2017
Vor ein paar Jahren startete das Projekt Sikaron ba Salon ganz klein: Inzwischen erzählen Zeitzeugen bei Tausenden Veranstaltungen mit Wohnzimmer-Atmosphäre zum Holocaust-Gedenktag. Lissy Kaufmann hat in Jerusalem der Auschwitz-Überlebenden Gerta zugehört.
Gerta: "My name is Gerta Solar, I was born in Prague in former Czecheslowakia. And I am 87 years old. Can you all hear me?"
Gruppe: "Yes."
Gerta: "Good."
Gerta Solar, 87 Jahre alt, wurde in Prag in der früheren Tschechoslowakei geboren. Heute sitzt die kleine Dame mit den kurzen, dunklen Haaren in Hose und Strickjacke in Jerusalem mit jungen Erwachsenen in einem Stuhlkreis zusammen. Es ist Erev Yom ha Shoah, der Abend vor dem Holocaust-Gedenktag. Im Fernsehen wird die offizielle Gedenkveranstaltung übertragen, der Präsident hält eine Rede, sechs Fackeln werden angezündet. Doch hier in dieser kleinen, sehr persönlichen Runde kommen junge Menschen direkt mit Holocaust-Überlebenden zusammen.
Gerta erzählt, wie sie als 12-Jährige nach Auschwitz kam und mit ihrer Mutter von Mengele begutachtet wurde:
"Er sah meine Mutter an und sagte: Du wirst arbeiten, in einem anderen Camp. Er sah mich an, und sagte: Du gehst in die Gaskammer."

Persönliche Runde mit einer Auschwitz-Überlebenden

In dem Raum ist es nun ganz still, die Augen der Gäste sind auf Gerta gerichtet. Als sie mit den anderen Frauen in die Gaskammer geführt wurde und sich ausziehen sollte, sah sie nur eine Chance:
"Ich hatte mich noch nicht ausgezogen. Ich habe ein Fenster gesehen und da habe ich gedacht: Ich habe doch einen kleinen Kopf. Wenn der kleine Kopf durch diese kleine Öffnung passt, dann schafft das mein Körper auch. Ich habe es versucht, und mein Kopf kam durch, und auch mein Körper. Ich war draußen."
Gerta überlebte. Doch es dauerte noch Monate, bis sie befreit wurde und nach Prag zurückkam, zu ihrem Onkel, dem einzigen Überlebenden. Später zog Gerta mit Mann und Sohn nach Kanada. Vor gut zwei Jahren kam sie nach Israel. Erst hier begann sie, ihre Geschichte zu erzählen.
An diesem Abend tut sie das wie tausende andere Überlebende. Sikaron ba Salon, Erinnerung im Wohnzimmer, heißen diese Veranstaltungen, bei denen Zeitzeugen am Holocaust-Gedenktag in Wohnzimmer-Atmosphäre schildern, was sie erlebt haben. Mitgründer, Ron Kormos erklärt die Idee dahinter:
"Keiner von uns will zu den öffentlichen Zeremonien. Man will nicht bei diesen Veranstaltungen nur rumstehen und das Gefühl haben, dass sie für uns keine Bedeutung haben. Eine Gruppe von Freunden saß bei einem Bier zusammen und wir haben uns überlegt: Was können wir tun, dass es für Leute in unserem Alter, für die nachfolgenden Generationen, wichtig wird? Die Idee war sofort: Wir sollten eine Verbindung schaffen zwischen der Geschichte und unserem Leben heute. Wir sollen es relevant machen."

Tausende Veranstaltungen in ganz Israel

Zum ersten Sikaron ba Salon kamen 30 Zuhörer. Heute, sieben Jahre später, finden tausende Veranstaltungen in ganz Israel und sogar in den USA und Europa statt. In den Räumen und Wohnzimmern entsteht eine lockere Atmosphäre, in der auch gelacht werden darf. Dafür sorgt an diesem Abend nicht zuletzt Gertas Enkelsohn Yair, der ihr hilft, die Fragen der Zuhörer zu verstehen. Ein junge Frau fragt, wie Gerta mit der Nummer auf ihrem Arm umgegangen ist:
Yair: "Hast Du Leuten die Nummer gezeigt, haben Leute sie gesehen? Was hast Du denn getragen?"
Gera: "Ja klar habe ich es gezeigt, wer es sehen wollte, dem habe ich es gezeigt. Ich hatte nie Angst zu sagen, dass ich jüdisch bin."
Yair: "Hast Du denen gesagt, das ist eine Kabbala-Nummer? (Lachen) Was hast Du den Leuten erklärt?"
Gerta: "Nun, einmal ist es mir passiert, dass jemand dachte, es sei eine Telefonnummer. Aber ich habe zu der Person gesagt: Da liegen Sie aber ganz falsch!"

Auch Treffen für Neueinwanderer und Durchreisende

Waren die Veranstaltungen anfangs alle auf Hebräisch, finden sie heute, wie hier im Zentrum für junge Erwachsene in Jerusalem, auch auf Spanisch, Russisch, Französisch und Englisch statt, sodass auch Neueinwanderer oder Durchreisende wie die 27-jährige Rachel eine Chance haben, zuzuhören:
"Vor allem heute am Holocaustgedenktag bin ich so froh, dass ich die Geschichte aus erster Hand gehört habe. Ich habe zwar schon Geschichte gehört, im Fernsehen, ich war in Auschwitz vergangenes Jahr. Aber es direkt von jemandem zu hören, der im selben Raum sitzt wie du, der heute noch immer lebt, das ist etwas ganz anderes."
Später diskutieren die Zuhörer noch im kleinen Kreis ohne Gerta über Erinnerungskultur, und was man wohl aus alldem lernen kann. Es ist genau das, was die Gründer von Sikaron ba Salon vor Augen hatten: Den Holocaust-Gedenktag der jungen Generation zugänglich zu machen.
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