Holocaust

Warum Springer die Auschwitz-Pläne an Israel gab

Israels Premier Benjamin Netanjahu und "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann am 27. August 2009 im Springer-Hochhaus mit den Originalskizzen zum Bau des Konzentrationslagers Ausschwitz.
Israels Premier Benjamin Netanjahu und "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann am 27. August 2009 im Springer-Hochhaus mit den Originalskizzen zum Bau des Konzentrationslagers Ausschwitz. © dpa / picture alliance / Rainer Jensen
Von Martin Mair · 08.07.2016
Die Original-Baupläne von Auschwitz gehören nach deutschem Recht ins Bundesarchiv. Doch der Springer-Verlag hatte sie auf dem Schwarzmarkt gekauft - und schenkte sie Israel. Von einer "politischen und moralischen Pflicht" spricht jetzt Ex-"Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann.
Die Kameras klicken, als sich Benjamin Netanyahu über die Dokumente des Grauens beugt. Fein säuberlich gezeichnet auf vergilbtem Papier, liegen vor dem israelischen Ministerpräsidenten die Baupläne des Vernichtungslagers Auschwitz:
"Das sind die Pläne für die Fabrik des Todes. Es sind sehr wichtige historische Dokumente, die wir behalten werden."
Neben Netanyahu steht Kai Diekmann, damals Chef der "Bild"-Zeitung. Sein Blatt hat die Baupläne des Todes auf dem Schwarzmarkt gekauft und im Hochhaus des Springer-Verlags ausgestellt. Sieben Jahre ist das jetzt her.
Zuvor lagen die Pläne auf dem Schreibtisch von Hans-Dieter Kreikamp, damals Abteilungsleiter "Deutsches Reich" im Berliner Bundesarchiv:
"Ein solches Dokument hält man nicht alle Tage in der Hand."

Springer hielt sich nicht an die Verabredung

Der Historiker hat für den Springer-Verlag überprüft, ob die Pläne echt sind. Schnell ist klar: Es handelt sich um Originale. Die "Bild"-Zeitung berichtet aufgeregt von einem Sensationsfund. Auch Kreikamp ist elektrisiert von dem Fund, der nach der Ausstellung im Verlagshaus ins Bundesarchiv kommen soll. Doch dann kommt es anders:
"An diese Verabredung, die wir im guten Glauben mündlich getroffen haben, hat sich der Springer-Verlag nicht gehalten. Das ist wie ein Schlag in die Magengrube. Aber zu dem Zeitpunkt war da nichts mehr zu retten."
Denn da hatte "Bild"-Chef Diekmann die Dokumente schon an Netanyahu übergeben, medienwirksam inszeniert. Rechtlich ist das heikel. Der heutige Herausgeber des Boulevardblatts habe Bundeseigentum verschenkt, so Kreikamp:
"Es ist deutsches Archivgut von einer zentralen Instanz und es ist ein, wenn man so will, in einer deutschen Behörde entstandenes Dokument und es gehört nach allen Regeln der Archivwissenschaft in das Bundesarchiv. Und sonst nirgendwo."
Doch Diekmann wollte von Anfang an, dass die Pläne nach Israel gehen. Ein Interview will er nicht geben. Nur soviel: Es sei die politische und moralische Pflicht gewesen, diese wichtigen Dokumente Israel zu schenken. Und: Er habe dem Bundesarchiv nie versprochen, dass die Behörde die Auschwitz-Pläne bekommt.
Hat also der Redakteur, der den Kontakt zum Bundesarchiv hergestellt hat, dieses Versprechen gemacht? Diekmann lässt das offen. Der Journalist selbst will sich nicht äußern.
Fest steht in jedem Fall: Am 27. August 2009 klicken die Kameras. Kai Diekmann überreicht Benjamin Netanyahu die Pläne. Der nimmt sie gerne an, als einen weiteren Beweis für den Massenmord an den Juden:
"Da sind diejenigen, die den Holocaust leugnen. Bis zu diesem Moment können wir ihnen sagen: Kommt nach Berlin. Und morgen werden wir ihnen sagen: Kommt nach Jerusalem und schaut euch die Pläne an."

Kanzlerin Merkel war informiert − und einverstanden

Heute bewahrt die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem die Originale auf. Das Bundesarchiv besitzt Kopien. Hans-Dieter Kreikamp ist seit vier Jahren im Ruhestand, trägt den Beteiligten bei Springer den, wie er es nennt, Verrat nicht nach. Und er sagt auch: In Yad Vashem seien die Dokumente gut aufgehoben. Trotzdem, er wünscht sich die Originale zurück nach Deutschland:
"Der Unterschied zwischen einer noch so guten Kopie und dem Original ist eben dieses Moment der Authentizität. Die seriösen Forscher möchten gern natürlich auch die Merkmale überprüfen. Und das kann man in der Tat nur am Original."
Doch das liegt in Yad Vashem, sicher verwahrt. Und dort werden die Pläne über die Architektur des Holocaust auch bleiben. Israel will die Dokumente nicht zurückgeben, die Regierung wird sie nicht zurückfordern. Denn schließlich war die Kanzlerin von der umstrittenen Schenkung schon vor Jahren informiert und hat sie gutgeheißen.
Manchmal, so sagt es Historiker Hans-Dieter Kreikamp achselzuckend, ist die Geste der Politik wohl wichtiger als geltendes Recht.
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