Hollywood

Verzweiflung und Ambition

David Cronenberg präsentiert auf dem Filmfest Toronto "Maps to the Stars"
David Cronenberg © picture alliance / dpa / Warren Toda
Moderation: Susanne Burg |
Unabhängige Produktionen seien in Hollywood nicht mehr möglich, sagt der kanadische Regisseur David Cronenberg. Die Studiobosse hätten das Kino mal geliebt, aber heute teilweise keine Ahnung, "wie Filme überhaupt entstehen".
Susanne Burg: David Cronenberg, es gibt Filme über Hollywood – was war für Sie an dem Drehbuch von Bruce Wagner so besonders, dass Sie sich gesagt haben, jetzt mach ich einen Film darüber?
David Cronenberg: Ja, also ich mag die Arbeit von Bruce Wagner, das war eigentlich der Hauptgrund, warum ich diesen Film machen wollte. Ich mag seine Arbeit seit seinem ersten Roman, ich finde, er kann wirklich sehr gut schreiben. Er schreibt beispielsweise auch sehr gute Dialoge, und das hat eine gewisse Tiefe, es ist eben auch witzig, und das findet man gar nicht so häufig. Ich lese ja nun sehr viele Drehbücher, und die meisten sind doch sehr gewöhnlich und sehr voraussehbar. Und es war gar nicht unbedingt mein Wunsch, einen Film über Hollywood zu machen, aber ich wollte mit einem Stoff von Bruce Wagner arbeiten, mit einem seiner Bücher. Und dadurch ist es nun ein Film über Hollywood geworden, obwohl es ja davon eigentlich sehr viele gibt, beispielsweise einen Film wie "Sunset Boulevard".
Aber ich würde sagen, unser neuer Film "Maps to the Stars", der ist sogar noch schwärzer, ist noch düsterer geworden, von einem sehr schwarzen Humor durchzogen. Und Hollywood hat sich einfach verändert seit den 1940er-Jahren, und es war interessant zu beobachten, was sich verändert hat, was unser neues Hollywood, unser modernes Hollywood ausmacht im Vergleich zu diesem alten Hollywood. Und insgesamt haben wir zehn Jahre an diesem Film und diesem Buch gearbeitet, bis dann endlich auch die Finanzierung gestanden hat, und wir haben es immer wieder aktualisiert, wir haben es immer wieder auf den neuesten Stand gebracht. Und abgesehen davon geht es ja nicht nur um Hollywood, es versteckt sich ja auch ein menschliches Drama, ein Familiendrama dahinter. Es geht ja auch um Fragen wie Verzweiflung, Ambitionen und eben darum, dass man Angst hat, eben auch als Schauspieler zu verschwinden, dass das Telefon plötzlich nicht mehr klingelt. Das sind ja existenzielle Ängste, die Schauspieler da eben auch haben. Das war eben auch ein Thema, was über Hollywood hinausging und was uns da auch sehr interessiert hat.
Burg: Es ist ja auch ein System, das in sich relativ geschlossen ist, wo es um Ruhm geht, um Macht. Insofern ist vielleicht auch dieses System ... steht es vielleicht auch stellvertretend für andere Systeme?
Cronenberg: Also ich hab mich schon immer sehr interessiert für in sich geschlossene Systeme, das fasziniert mich – ob das jetzt ein religiöser Kult ist oder eine Künstlergruppe, die in sich geschlossen und nach ihren eigenen Regeln lebt. Das sind Dinge, die mich sehr interessieren, weil es gibt ja keine wirklich absolute Realität, sondern Realität ist ja auch immer etwas, was wir uns selber schaffen als Menschen. Und gerade Gruppierungen, Künstlergruppen oder auch Systeme neigen dann eben dazu, sich nach ihren eigenen Regeln zu lieben. Und das Kino und das Filmgeschäft ist ja nun wirklich sehr intensiv nur mit sich selbst befasst. Ich hätte natürlich auch einen Film über Silicon Valley drehen können oder über die Wall Street, sogar über die Autoindustrie – da geht's ja auch um Konzernkultur, das sind alles ähnliche Sachen. Die haben nichts direkt mit einer Religion zu tun, aber da stellt man schon seine eigenen Regeln auf. Und genau das ist es, was mich hier eben fasziniert hat, weil ich ja als Filmemacher auch jemand bin, der ständig eine neue Realität schafft.
"Es geht nur noch darum, ein Produkt herzustellen"
Burg: Sie haben am Anfang gesagt, Sie hat auch interessiert, wie sich Hollywood verändert hat. Wenn wir jetzt von diesem System sprechen, was stellt denn dieses System an mit den Menschen, welche Deformationen bleiben da, die neu sind?
Cronenberg: Nun, es ist ja einfach ein Fakt, dass in dem alten Hollywood-System die Studiobosse wirklich Leute waren, die sich für Film wirklich interessiert haben. Die waren leidenschaftlich, hatten eine Liebe zum Kino. Die waren natürlich als Menschen streckenweise fürchterlich, aber immerhin liebten sie Kino und sie wollten Filme machen. Und das hat sich natürlich jetzt geändert. Heute haben wir irgendwelche Riesenkonzerne, die die Filmstudios aufgekauft haben, die nicht einmal Teil der Film- oder der Unterhaltungsindustrie sind. Da ist es jetzt so, dass es da unglaublich viele Schichten gibt, die über den Filmstudios liegen, und da wird unglaublich viel Energie eigentlich nur darauf verschwendet, dass man Geld verdienen will. Es geht nur noch darum, ein Produkt herzustellen, und dieses Produkt soll sich verkaufen. Das ist alles, um das es heutzutage noch geht. Und denen fehlt absolut die Leidenschaft für das Kino, denen fehlt die Leidenschaft, Kino als eine Art Kunstform zu schaffen. Es geht hier um ein Produkt, und das muss verkauft werden. Wenn ich also heute oft auf einen Studioboss treffe, dann ist das der Typ von einem Konzern. Er versteht etwas über Konzernkultur, hat aber streckenweise noch nicht mal eine Ahnung, wie Filme überhaupt entstehen. Das führt natürlich dazu, dass die Absurdität und die Unsicherheit immer weiter zunimmt, und das ist nun schon seit einiger Zeit so. Aber es hat eben nichts mehr damit zu tun, wie in den Zeiten, als Billy Wilder "Sunset Boulevard" gedreht hat.
Burg: Halten Sie sich deswegen auch fern von den großen Hollywoodstudios?
Cronenberg: Natürlich hab auch ich mit meinen Arbeiten, mit den Studios geflirtet, und ich hab auch versucht, mal große Studiofilme zu machen, große Unterhaltungsfilme. Das sind Filme, die würden heute 100 Millionen, vielleicht sogar 200 Millionen Dollar kosten, also wirklich lächerliche Summen. Dieser Film hier, "Maps to the Stars", der hat 13 Millionen Dollar gekostet, also da besteht schon ein riesengroßer Unterschied. Aber wenn man mit den Studios einen Film drehen will, dann spielt man ein anderes Spiel, und dessen bin ich mir natürlich auch bewusst. Und ich bin eher jemand, der unabhängige Filme dreht, das heißt, ich treffe die Entscheidungen am Set, alle kreativen Entscheidungen.
Als ich mit Rob Pattinson "Cosmopolis" gedreht habe, war er total erstaunt und sagte einmal zu mir: Wie kommt's eigentlich, dass du hier alles entscheidest? Und dann sagte ich zu ihm nur: Ja, das ist hier unser Film, und hier entscheiden wir, was das wird. Und Rob kannte das gar nicht. Er hatte eben in sehr großen Produktionen gedreht, wo die Regisseure nicht das alleinige Sagen hatten und wo Änderungen immer abgesprochen werden mussten – da mussten Meetings mit den Konzernchefs eingerichtet werden, also das war für ihn eine ganz neue Welt.
Ich weiß von Kollegen, von Regisseuren, die schon große Studiofilme gemacht haben, dass ich gar nicht mehr in der Lage wäre, solche großen Studiofilme zu drehen. Die sagen mir auch, du würdest es hassen, das wäre nichts für dich, du hättest gar keine Freude daran. Und ich glaube, mittlerweile bin ich auch wirklich zu alt, um so was zu tun. Natürlich ist da eine Verführung. Wenn du über ein sehr großes Budget verfügst – natürlich wirst du einerseits besser bezahlt, andererseits musst du dir keine Sorgen mehr machen, was den Verleih angeht, du wirst überall in der Welt vertrieben, aber dennoch denke ich, dass es für mich jetzt zu spät ist, solche großen Filme zu drehen.
"Die Musik erschlägt dich oft"
Burg: Wenn wir vom Stil Hollywoods sprechen, sind ja auch ... viele der Filme gehen sehr auf Emotionen. Ihre Filme gelten, Ihr Blick gilt als kühl, als ungerührt. Sind Ihnen die Emotionen, mit denen Hollywood arbeitet, fremd und warum?
Cronenberg: Nun, ich gehöre zu den Regisseuren, die sich wirklich zurücknehmen. Ich bin der Meinung, dass ich als Regisseur neutral bleiben muss, und es sind die Schauspieler, es sind die Dialoge, es sind die Situationen, die Emotionen schaffen. Und ich bin nicht derjenige, der als Regisseur da auf gewisse Knöpfe drückt, um gewisse Gefühle zu erzeugen. Und das ist das Problem, was ich hab, wenn ich mir ganz gewöhnliche Hollywoodfilme anschaue: Ich spüre da so eine gewisse Verzweiflung, dass man eine Zuschauerreaktion um jeden Preis haben möchte, auch da, wo es überhaupt nicht passt, dass man dann auch eben auf diese falschen Knöpfe drückt, um falsche Reaktionen hervorzurufen, und das passiert in erster Linie bei dem Einsatz von Musik.
Die Musik erschlägt dich oft, sie will dir sagen, wann du traurig zu sein hast, wann du glücklich zu sein hast. Und mein wunderbarer Komponist, Howard Shore, und ich, wir versuchen nicht, dem Zuschauer einzuhämmern mit der Musik, was er zu fühlen hat, sondern wir versuchen eine sehr subtile Schicht der Bedeutung mit der Musik zu kreieren, durch die Musik zu schaffen und nicht das zu wiederholen, emotional, was der Zuschauer in den Bildern bereits gesehen hat. Und deswegen glaube ich überhaupt nicht, dass meine Filme kühl sind. Ich denke schon, hier geht's um sehr viele Emotionen, nur werden diese Emotionen eben durch die Charaktere und durch die Situationen transportiert, die ich geschaffen habe.
Burg: Wir sind hier beim Filmfestival in Toronto, hier wird jedes Jahr viel über den Filmproduktionsort Kanada geschrieben. Die Regierung von der Provinz Ontario tut vieles, um internationale Produktionen hierher zu holen. Sie sind Kanadier, "Maps to the Stars" ist eine kanadisch-deutsche Koproduktion. Wie lebendig, aus Ihrer Sicht, wie vital ist der Filmproduktionsort Ontario?
Cronenberg: Wir haben hier in Kanada wirklich fantastische Möglichkeiten. Die Regierung Kanadas, vor allen Dingen hier in Ontario, die unterstützt Filme eben, und das seit Jahren, sehr, sehr großzügig, und solange der Kanadische Dollar eben noch relativ schwach war, war es auch relativ einfach, amerikanische Filmproduktionen nach Kanada zu bekommen, vor allen Dingen hier in Ontario. Jetzt, wo der Kanadische Dollar etwa eins zu eins zum Amerikanischen Dollar steht, müssen wir mit anderen Dingen punkten, wie zum Beispiel unseren großartigen Filmcrews, die wir hier haben. Wir haben sehr gute Handwerker, sehr gute Fachleute, die im Verlauf der letzten Jahre eben an vielen großen Filmen gearbeitet haben. Und dann gibt es für mich beispielsweise eben auch immer die großen Vorteile, Koproduktionen mit Europa zu machen. In diesem Fall war es eine Koproduktion mit Deutschland.
Das hat sehr viele Vorteile. Einerseits kann man mit europäischen Schauspielern zusammenarbeiten, und man ist nicht auf Hollywood-Geld angewiesen. Nicht, dass ich etwas gegen Gelder aus Hollywood hätte, aber ehrlich gesagt kann man in Hollywood solche unabhängigen Produktionen gar nicht mehr machen. Dieser Film hier, diese neue Produktion, da steckt wirklich kein einziger Amerikanischer Dollar drin. Die Kanadier haben da eher so eine Einstellung wie die Europäer, da ist es eben noch möglich, dieses unabhängige Kino zu machen, was in den USA mittlerweile fast unmöglich geworden ist. Dort ist es auch nicht wirklich möglich, Koproduktionen zu drehen, so wie ich das eigentlich in den letzten Jahren immer gemacht habe. Das waren immer Koproduktionen zwischen Kanada und einem europäischen Partner.
Burg: David Cronenberg, vielen Dank fürs Gespräch! Thanks!
Cronenberg: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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