Hoher Preis für günstige Lebensmittel

Moderation: Frank Meyer |
Mit einem Backwarenhandel legte die Familie Albrecht vor 100 den Grundstein für die Erfolgsgeschichte des Discounters Aldi. Die Kunden können dort billig einkaufen - doch dafür müssen Mitarbeiter und Lieferanten zahlen, sagt der Autor Andreas Straub.
Frank Meyer: Der Gründer der Discountkette Aldi Süd, Karl Albrecht, ist immer noch der reichste Deutsche. Auf 20 Milliarden Euro wird sein Vermögen geschätzt. Die Familie seines verstorbenen Bruders Theo Albrecht – der Kopf von Aldi Nord – soll etwa 15 Milliarden Euro besitzen. Genau weiß man das nicht, denn die erfolgreichsten Discountunternehmer haben immer ein großes Geheimnis gemacht um ihre persönlichen Verhältnisse und um ihre Familienpolitik.

Vor 100 Jahren hat die Geschichte von Aldi begonnen, und wir wollen jetzt hinter die Aldi-Kulissen schauen mit Andreas Straub, der vier Jahre lang bei Aldi Süd gearbeitet hat, unter anderem als Trainee. Und er hat das Buch "Aldi – einfach billig" geschrieben. Seien Sie willkommen, Herr Straub!

Andreas Straub: Guten Tag, hallo!

Meyer: Wenn man Aldi arbeitet, wie Sie das getan haben, wird man dann eigentlich in die Geheimnisse von Aldi eingeweiht? Erfährt man dann mehr über die Erfolgsgeschichte dieses Unternehmens, als sonst nach außen dringt?

Straub: Ja, man wird auf jeden Fall in die Prozesse eingearbeitet, und man kann ein Stück weit hinter die Kulissen blicken, weil man es ja auch sozusagen täglich macht. Dann aber, was die Familien anbelangt, sowohl von Nord als auch von Süd, halten die sich immer ziemlich bedeckt. Und da bekommt man jetzt nicht so wahnsinnig viele Einblicke. Das sind dann eher Anekdoten, die man sich so erzählt, weil die …

Meyer: Welche Anekdoten?

Straub: Meistens sind die über die Sparsamkeit und so, also wie zum Beispiel der Karl Albrecht versucht haben soll, Wasser zu sparen, indem er einen Backstein in die Toilette reingelegt hat, um sozusagen da weniger Wasser zu verbrauchen.

Meyer: Also ein ökologischer Vordenker geradezu…

Straub: Ja, und das sollen dann später mal alle übernommen haben. Es gibt auch die Geschichte mit den Kugelschreibern. Da hat er einen Filialleiter gesehen, der hatte vier oder fünf Kugelschreiber. Dann sagte er zu ihm: Ja, wofür brauchen Sie denn so viele Kugelschreiber, mir reicht einer. Und so in der Richtung gibt es ein paar Geschichten, die eigentlich auch so zeigen sollen: Ja, wir sind hier so sparsam und wir wollen hier also alles, was irgendwie unnötig ist, vermeiden.

Meyer: Diese Verschwiegenheit nach außen, was die Familienverhältnisse angeht, aber auch, was die Unternehmensstrategie angeht, warum ist die so ein Markenkern von Aldi, warum war das für dieses Unternehmen immer so wichtig?

Straub: Die große Verschwiegenheit hängt wahrscheinlich auch ein bisschen mit der Entführung von Theo zusammen, dass man da gesagt hat, man möchte sich eigentlich noch mehr aus der Öffentlichkeit zurückziehen.

Meyer: Das war 1971, da wurde er entführt und sieben Millionen Mark Lösegeld erpresst für ihn.

Straub: Genau. Und ich glaube, seither hat sich da auch nicht viel geändert. Der Discounter ist natürlich extrem gewachsen, sie sind riesig groß geworden, aber haben nie auch so einen großen Nutzen darin gesehen, sich allzu sehr in die Karten schauen zu lassen. Und na ja, dieses Mysterium, was steckt dahinter, was ist das für eine ominöse Unternehmung, das ist ja vielleicht auch ein Stück weit gut. Das befördert ja auch manche Gedanken oder manche Mysterien, die da drum rum sind.

Meyer: Das heißt manchmal, dass auch tatsächlich sozusagen die unternehmerische Technik damit verschleiert werden sollte vor den Konkurrenten, wie Aldi eigentlich vorgeht, dass sich das Unternehmen da nicht in die Karten gucken lassen wollte. Könnte das auch ein Grund sein für diese Verschwiegenheit?

Straub: Ja, könnte sein, aber ich glaube es eigentlich nicht so sehr, weil es ist ja im Grunde ziemlich simpel, was da gemacht wird. Man stellt halt da Ware hin, auf Paletten oder in Kartons, und verkauft die dann. Und man hat eben ein schmales Sortiment, was es ermöglicht, durch die höheren Mengen und durch die einfache Präsentation dann auch günstige Preise zu machen. Aber ich glaube eigentlich nicht, dass es so wahnsinnig komplex ist, dass man da jetzt groß was vor der Konkurrenz verheimlichen müsste, zumal die ja auch alle nach ähnlichen Methoden, ähnlichen Prinzipien arbeiten.

Meyer: Die Aldi-Geschichte hat ja vor 100 Jahren begonnen, damals ganz bescheiden mit einem Tante-Emma-Laden in Essen, den die Eltern der Aldi-Brüder betrieben haben. Später ist dieser Riesenkonzern daraus geworden. Wie erklären Sie sich denn diesen enormen Erfolg dieses Unternehmens?

Straub: Ja, einmal durch die konsequente Fokussierung auf das kleine Sortiment und dann auch durch die niedrigen Preise, auf die zunächst mal wahrscheinlich viele angewiesen waren, was sich dann aber immer mehr auch dahingehend entwickelt hat, dass eben fast alle mittlerweile oder fast alle Gesellschaftsschichten auch da einkaufen, sodass es eigentlich mittlerweile auch keine großartige Schande mehr ist.

Also sozusagen zum einen diese strukturellen Merkmale, die dazu beigetragen haben, aber auf der anderen Seite eben auch den niedrigen Preis, der eben teilweise zulasten von kleinen Lieferanten, mittleren Lieferanten oder auch von den Mitarbeitern geht, sodass eigentlich man sagen kann, sie haben sicherlich ein geniales System erschaffen, aber die Gesamtgesellschaft zahlt natürlich auch irgendwo für diese niedrigen Preise.

Meyer: Deutschlandradio Kultur. 100 Jahre alt ist jetzt der erfolgreichste Discounter in Deutschland: Aldi. Andreas Straub hat bei Aldi gearbeitet und ein Buch über den Discounter geschrieben. Was Sie gerade angesprochen haben, wie die Mitarbeiter behandelt werden – man hört da so Verschiedenes, unter anderem, dass Aldi immerhin im Unterschied auch zu anderen Discountern seine Mitarbeiter fest einstellt und damit besser behandelt als die Konkurrenz. Wie sehen Sie das als Insider?

Straub: Na, besser glaube ich nicht. Die Bezahlung ist vielleicht besser als bei manchem Konkurrenten, aber es ist trotzdem so, dass eigentlich alle Verkäuferinnen ausschließlich in Teilzeit und oft auch befristet beschäftigt sind. Dann ist es so, dass pro Filiale drei, vier Auszubildende eingesetzt werden, die nicht allzu viel lernen, die man eigentlich mehr als billige Arbeitskräfte hat, oder zusätzlich noch Praktikanten. Und dann ist es durchaus Politik, dass man ältere Mitarbeiter, wenn die mal öfter krank werden oder wenn die nicht mehr so schnell können oder einfach nicht mehr ganz die Energie haben, dass man die dann auch freisetzt und durch neue, durch billigere ersetzt. Das ist also die Politik, die ich auch erlebt habe, für die dann am Ende natürlich die anderen auch bezahlen.

Meyer: Freisetzen heißt jetzt einfach entlassen?

Straub: Das heißt entweder mobben und gezielt schikanieren, dass die irgendwann mal von selber gehen, oder das heißt, durch gezielten Druck in einzelnen Gesprächen oder Abmahnungen, die dann gehäuft vorkommen, die letzten Endes häufig in einen Aufhebungsvertrag reinzudrängen.

Aber diese Praktiken, die sind ja nicht nur bei Aldi, die sind durchaus auch bei anderen Discountern verbreitet, zum Beispiel bei Netto – nenne ich mal ein Beispiel –, wobei da noch dazukommt, dass die noch schlechter bezahlen. Ich habe diese Prinzipien, die Billig-Macher, hab ich jetzt auch in einem E-Book noch mal veröffentlicht zum 100-jährigen Jubiläum sozusagen, wo ich einfach zeige, dass diese Prinzipien auch bei anderen Discountern und bei anderen Dienstleistern vorherrschen, "Die Billig-Macher" heißt das.

Meyer: Und was Sie angesprochen haben bei den Lieferanten: Die Lieferanten zahlen auch einen Preis, weil Aldi mit seiner großen Marktmacht die Lieferanten dazu zwingen kann, so billig wie möglich zu liefern?

Straub: Ja – viele wollen ja mit Aldi ins Geschäft kommen, das ist unbestritten, weil sie dann hohe Mengen haben, aber oft setzen die auf kleine, auf mittlere Lieferanten, die dann stark von denen abhängig sind, sodass, wenn irgendwann mal die Geschäftsbeziehung endet, aus welchen Gründen auch immer, dass dann meistens die Lieferanten auch Schwierigkeiten haben.

Nur mal ein Beispiel: Es gibt ja auch einen Detektiv, mit dem ich mal was zusammengearbeitet habe, und da war es dann auch so, dass man den eben in die Abhängigkeit gebracht hat. Dann wurde der eine Zeitlang größer und es hat auch gut funktioniert, aber als man ihn dann loswerden wollte, hat man ihm einfach von heute auf morgen die Aufträge entzogen. Und ja, der ist dann auch in die Pleite geschlittert.

Meyer: Wenn wir uns jetzt mal die Seite der Kunden anschauen – Sie haben ja auch schon angesprochen, dass zu Aldi jetzt alle Gesellschaftsschichten gehen mittlerweile, und es heißt oft über Aldi, das sei der bessere Discounter, weil er das beste Preis-Leistungs-Verhältnis habe. Was sagen Sie dazu, als früherer Aldi-Insider?

Straub: Also das Preis-Leistungs-Verhältnis ist, was die Grundartikel anbelangt – das zeigen ja auch diese ganzen Tests, die immer laufen –, ist eigentlich nicht gegeben, es ist mehr so ein positives Vorurteil, wenn man so will. Also die Grundartikel, die Basisartikel, die sind überall gleich teuer und haben auch eine ähnliche Qualität, egal ob das jetzt bei Lidl, Netto ist oder ob das bei Edeka und Rewe zum Beispiel ist mit den Eigenmarken. Also die sind eigentlich alle überall vergleichbar.

Meyer: Und wo ist es nicht vergleichbar, wo ist Aldi günstiger?

Straub: Ob die wirklich so viel günstiger sind, weiß ich gar nicht. Also zum Beispiel sicherlich bei einigen Aktionsartikeln – immer zweimal die Woche sind ja diese Aktionen –, da mag es schon günstige Sachen geben, wobei natürlich manche Sachen sind dann auch so günstig, da spricht man auch von Lockvogelangeboten, um die Leute in die Läden zu ziehen, und dann ist manchmal gar nicht so furchtbar viel Ware da.

Meyer: In letzter Zeit haben ja die Konkurrenten von Aldi aufgeholt, die anderen großen Discountketten wie Lidl oder Netto, die ein breiteres Sortiment anbieten und das auch nicht ganz so karg präsentieren wie Aldi. Könnte es sein, dass dieses Hauptsache-billig-Konzept von Aldi heute überholt ist?

Straub: Also ich denke, ja, die sind … Wobei, Aldi geht ja auch in diese Richtung. Das Sortiment wird ja auch Stück für Stück erweitert, jetzt sind auch Markenartikel dazugekommen. Ich denke, es wird sich auf Dauer nicht vermeiden lassen, dass Aldi da auch nachzieht. Aber Sie haben schon recht, Lidl ist da innovativer und Netto ist eigentlich schon eher mit einem Supermarkt vergleichbar.

Meyer: Vor 100 Jahren hat die Geschichte von Aldi begonnen mit dem ersten eigenen Laden der Familie Albrecht in Essen. Über den Erfolg von Aldi haben wir mit Andreas Straub gesprochen, früherer Mitarbeiter bei dem Discounter und Autor des Buches "Aldi – einfach billig". Herr Straub, herzlichen Dank!

Straub: Vielen Danke, danke schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Mehr zum Thema:

Aldi und Rewe täuschen Verbraucher offenbar bei Umwelttüten
Die Tütenlüge: biologisch abbaubar (DLF)