Hohelied auf das Soldatentum

20.08.2007
Am Ende des neuen Romans von A. L. Kennedy ist ihr Held Alfred Day noch keine 25 Jahre alt und fühlt sich doch als ausgebrannter alter Mann, dessen Leben hinter ihm liegt. Der Roman spielt im und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Um seinem brutalen Vater, einem Fischhändler, zu entkommen, hat sich der blutjunge Alfred Day freiwillig zur RAF, zur Royal Air Force, gemeldet.
Mit seiner bewunderten Crew, die ihm alles bedeutet – Familienersatz, Freundeskreis, Lebensschule, die Welt –, fliegt er Bombeneinsätze gegen deutsche Städte, zuletzt zwei verheerende und ihn bestürzende Einsätze mit Phosphorbomben gegen Hamburg. Zugleich erlebt er seine erste große Liebe – zu Joyce, einer Soldatenfrau in London, die sich mit ihm über den Kriegseinsatz ihres Mannes in Fernost hinwegtröstet.

Während des letzten Einsatzes wird sein Lancaster-Bomber über Deutschland abgeschossen, Day rettet sich mit dem Fallschirm und überlebt als einziger – in einem Kriegsgefangenenlager in der Lüneburger Heide. Nach dem Krieg stolpert er verstört, als traumatisierter Outsider, durch London und kann sich ins Friedensleben nicht integrieren. Alle seine Freunde sind tot, zu Joyce ist ihr Ehemann heimgekehrt, seine geliebte Mutter ist gestorben, seinen verhassten Vater hat er totgeschlagen (vielleicht ist dies aber auch nur ein böser Wunschtraum). 1949 kehrt Day für kurze Zeit in das Lager in Lüneburg zurück, als Komparse in einem Kriegsfilm, und muss mit ansehen, wie die wichtigsten und tiefsten Erfahrungen seines jungen Lebens bereits zu Film-Stereotypen und klischierten Heldenposen erstarren. Die Erfahrungen am Film-Set zwingen ihn zu einer neuen Sicht auf seinen Kriegseinsatz.

Kein deutschsprachiger Autor würde sich trauen, einen Roman wie diesen zu schreiben – ein begeistertes Hohelied auf das Soldatentum, in diesem Fall auf die britischen Fliegerhelden, auf den heroischen Einsatz der Royal Air Force und auf die sagenhafte Kameradschaft der Flieger. Jedem deutschsprachigen Autor würde man die bittersüße Liebesgeschichte zwischen Soldat und Kriegsbraut im Luftschutzkeller während der Londoner Bombennächte als Lili-Marlen-Kitsch um die Ohren hauen. A. L. Kennedy ist, auch wenn die Briten zu ihren Weltkriegssoldaten – inklusive Bomber-Harris – ein anderes Verhältnis haben, mit diesem Roman doch ein großes ästhetisches Risiko eingegangen.

Rezensiert von Sigrid Löffler

A. L. Kennedy: Day
Roman
Aus dem Englischen von Ingo Herzke
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2007
350 Seiten, 22,90 Euro