Hoffnung im Klimaschutz

Allianzen zwischen Wissenschaft und Kultur

Ein Eisberg, von dem Eis abbricht, das schmilzt.
Neue Niedrigrekorde in der Arktis und Antarktis: So wenig Eis für Pinguine, Krill, Eisbären, Wale gab es noch nie in der Menschheitsgeschichte. © imago / YAY Images / Mariusz Prusaczyk
Ein Kommentar von Antje Boetius · 16.02.2023
Polarforscherin Antje Boetius beobachtet das Schwinden des Meereises - eine der vielen Konsequenzen der Erderwärmung. Die Kultur, sagt sie, kann in der Bekämpfung des Klimawandels eine wichtige Rolle einnehmen und Tragödien emotional erfahrbar machen.
Heute beginnt die Berlinale. Ein Projekt, an dem ich als wissenschaftliche Beraterin mitwirken durfte, ist auch dabei: die internationale Verfilmung des Bestsellers „Der Schwarm“ von Frank Schätzing. 2004 erschienen. Seine Idee damals, heute genauso fresh: unzählige reale Beobachtungen aus aktueller Meeresforschung zu einem dichten Plot verweben, die Kräfte hinter den Ereignissen einer fiktiven Meeresgewalt zuordnen.

"Der Schwarm" auf der Berlinale

Das Buch galt lange als unverfilmbar. Nun die Weltpremiere als Fernsehserie. Vom Sofa aus können wir in den Ozean eintauchen, Walen und Würmern ins Auge schauen, mitfiebern mit mutigen Meeresforscherinnen, die die Welt retten wollen.

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„Der Schwarm“ ist Fiktion – kann jedoch aktueller nicht sein: Wissenschaftliche Erkenntnisse über Ursachen zunehmender Krisen liegen vor, doch die Staaten fühlen sich nicht zuständig für die Zukunft. Ein paar wenige Menschen, die noch Hoffnung haben, geben nicht auf, sie wissen ja, Ozean ist Zukunft und nicht Feind. Aber gibt es überhaupt noch Hoffnung für uns Menschen? Ist sie real oder selbst schon Fiktion?
Als Polarforscherin muss man dieser Tage starke Nerven haben. Neue Niedrigrekorde in der Arktis und Antarktis: So wenig Eis für Pinguine, Krill, Eisbären, Wale und stabiles Wetter gab es noch nie in der Menschheitsgeschichte. Das wird aus vielen Gründen zur Bedrohung für uns.

Immer mehr Eis verschwindet

Die Menge von Eis, die für natürlichen Klimaschutz bleibt, hängt direkt von Treibhausgasen in der Atmosphäre ab. Und damit hängt es an unserem Verhalten als Menschheit. Ich meine unsere globale Fähigkeit, uns aus der Abhängigkeit von fossilem Kohlenstoff zu befreien. Auf Wind, Sonne, Erdwärme und Wasser umzusteigen – Energien, die auf der Erde praktisch unerschöpflich zur Verfügung stehen.
Diese Lösung liegt auf der Hand, wir könnten verhindern, dass Sturmfluten, Extremregen und Waldbrände immer weiter zunehmen, Millionen Menschen davor bewahren, ihre Heimat zu verlieren, Milliarden Lebewesen retten. Und dennoch ist es wahrscheinlicher geworden, dass es erst noch viel schlimmer werden muss.
Wenn das kein dystopischer Tragödien-Stoff ist: Wissen, Warnen, Verharren. Die Zeitskala unseres Handelns passt einfach nicht mehr zur Geschwindigkeit und Wucht der Erdsystem-Reaktionen. Und es kommt – wie immer in solchen Tragödien – auch alles raus, was falsch läuft, was verschwiegen wird. Nämlich, dass die Entscheider doch lange schon Bescheid wussten.

Trotz Wissen in die Katastrophe

Die Regierungen wurden seit den siebziger Jahren durch Wissenschaft gewarnt, die Energiekonzerne und das Finanzwesen durch ihre Ingenieure, Modellierer, Analysten auch. Bezahltes Leugnen, Zweifel streuen, Unsicherheiten vortäuschen gehörte zum Handwerk der Achtziger und Neunziger. Krieg gegen das Wissen nennen wir das heute – und müssen davon ausgehen, dass er weiter schwelt.
Wo wären wir heute, wenn es anders gelaufen wäre, und schon vor 40 Jahren die Innovationen rund um Photovoltaik, Windkraft, Geothermie Beschleunigung statt Bremsung erfahren hätten? Das ist Stoff für Utopien – es wären die Wälder aufgeforstet, die Flüsse und Küstenregionen renaturiert, die Riffe so reich an Leben, die Kinder weltweit ohne Hunger, und mit sauberem Wasser versorgt. Und das muss alles Ziel gemeinsamen Handelns bleiben, jetzt erst recht.
Das ist Thema auch so vieler Shortfilms, die auf der Webseite der Berlinale vorgestellt werden. Diesjähriges Motto ist "Fiction Against a Real-Life Backdrop – Fiktion vor realem Hintergrund". Passt genau zu Schätzings "Schwarm", und auch zu meiner Hoffnung auf neue Allianzen zwischen Wissenschaft und anderen Kulturformen: Gerade, wenn die Gegenwart wackelt, gilt es doch Lust auf Zukunft zu machen, Bilder zu erschaffen gegen die Angst und Mutlosigkeit, Empathie auch für Unsichtbares, Hoffnung wachsen lassen, weil die guten Taten überall keimen und blühen.
Natürlich ist Ozean Zukunft, gibt es Grund zur Hoffnung, schaut nur auf das unglaubliche Kreativpotenzial in der Welt und bei uns.

Antje Boetius ist Meeres- und Polarforscherin. Sie ist Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz Zentrum für Polar und Meeresforschung und Professorin an der Universität Bremen.

Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, steht vor dem deutschen Forschungsschiff "Maria S. Merian".
© picture alliance / dpa / Sina Schuldt
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