Hoffnung auf die Macht der Bilder
Das Lagerleben in Iguschien, das Geiseldrama in Beslan, zu Gerippen zerbombte Häuser - einige Fotos von Musa Sadulaev sind weltberühmt. Unter dem Titel "Verschlussache Tschetschenien – Europa schau auf dieses Land" sind seine Bilder in einer Ausstellung in Weimar zu sehen.
Musa Sadulaev hat in den vergangenen Jahren als freier Fotograf in Tschetschenien das fotografiert, was nicht an die Öffentlichkeit kommen sollte, vor allem nicht im Westen. Im ersten Tschetschenien-Krieg belieferte er zunächst skandinavische Tageszeitungen und seit 1995 arbeitete er auch für die Agentur Associated Press. Es sind allesamt Bilder eines schmutzigen Krieges, einer Konfrontation, die der Zivilbevölkerung keinerlei Lebenschancen mehr lässt.
In Ruinen abgeschoben, hoffen sie mit der Aufschrift "Hier wohnen Menschen" wiederholten Durchsuchungen und willkürlichem Beschuss zu entgehen.
" Das, was die Zivilbevölkerung in Tschetschenien durchmacht, würde ich nicht Leben nennen, man kann da höchstens von "existieren", vom nackten Überleben sprechen. Da hat zwar der eine Arbeit, und deshalb etwas mehr Geld als derjenige, der keine Arbeit hat, aber letztendlich überleben wir alle bloß. Wie kann man das "Leben" nennen, wenn jeder Tschetschene ständig mit der Angst konfrontiert ist, dass er jederzeit entführt werden kann, dass jemand in sein Haus eindringen und ihm etwas antun kann.
Diese Täter, egal von welcher Seite, sind nichts anderes als Verbrecher. Zuerst hieß es von föderaler Seite immer, dass ausschließlich separatistische Kämpfer schuld seien an den Entführungen. Schließlich mussten sie zugeben, dass tatsächlich Kräfte der russischen Föderation massiv an den Entführungen beteiligt sind. Im Grunde genommen wissen alle genau Bescheid, was passiert. Man weiß auch, wo die Entführten hingebracht, wo die Getöteten verschachert werden. Die einfache Bevölkerung kann nichts dagegen tun. Die Machtstrukturen sind so, dass kein Interesse daran besteht, etwas zu ändern.
Schon im ersten Krieg waren Entführungen ein schwer wiegendes Problem. Aber damals wurden Menschen entführt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Man hat Lösegelder erpresst und ähnliches. () Jetzt aber, wo sich die Anzahl der Entführungen um viele Tausende multipliziert hat, ist nichts mehr klar. Und immer wenn es heißt, die Separatisten stünden aufseiten des Volkes oder auch die jetzigen Machthaber würden die Interessen des Volkes vertreten, dann sage ich: Nein. Das einzige, wofür sie einstehen, sind ihre eigenen Interessen. "
Wenn überhaupt, dann ist Musa Sadulaev parteiisch für das Leben und gegen jede Form der Bewaffnung. Für das Kinderhilfswerk der Unicef dokumentierte er verwundete Kinder, Minenopfer zumeist – in schmerzhaft grellen Fotografien. Das trostlose Lagerleben in Iguschien, das Geiseldrama in Beslan, zu Gerippen zerbombte Häuser: die Farbigkeit macht den Kontrast zum jeweiligen Sujet, den teils apokalyptischen Szenen umso grauenvoller: Aggression, Blut, Tod und Zerstörung auf der einen Seite, Leid, unfassbare Ohnmacht und Vertreibung auf der anderen.
" Ich sehe meine Fotos als ein Zeugnis, als Dokumentation. Ich möchte die Realität abbilden, sie festhalten. Ich möchte, dass anhand meiner Fotos unsere Nachfahren sich später einmal ein Bild machen können von den Taten. Ich möchte, dass meine Enkelkinder über die Politiker urteilen können, die jetzt das Leid in Tschetschenien verantworten."
Aber, wer solche Bilder macht, begibt sich in Gefahr. Während des ersten Tschetschenien-Krieges konnte Musa Sadulaev nur versteckt mit einer kleinen Kamera arbeiten. Und nachdem einer seiner Freunde, ein Kameramann, im Mai 2004 beim Attentat auf den tschetschenischen Präsidenten ermordet worden ist, hatte Musa Sadulaev immer wieder seinen Wohnort gewechselt und in Kleidern geschlafen – innerlich vorbereitet auf Flucht. Seine Hoffnung setzt er nicht nur in die Kraft der Bilder, sondern in die westliche Öffentlichkeit – gegebenenfalls auch in eine Intervention durch die UNO.
" Der Frieden in Tschetschenien hängt voll und ganz vom Kreml ab. Das heißt man muss den Kreml dazu bewegen, dass er Ordnung in Tschetschenien schafft. Das geht aber nur auf Anraten und vielleicht auch auf Druck von außen. Moskau selbst kann und will vor allem die Ordnung in Tschetschenien nicht wieder herstellen. Der Konflikt weitet sich auf den gesamten Nordkaukasus aus, wie man an den jüngsten Ereignissen in Nalgic und Dhagestan erkennen kann. Die Folge der Kreml-Politik ist ja doch genau diese Ausweitung. Also muss man schon fragen, ob das nicht gezielt und Absicht ist.
Die Ereignisse in Beslan belegen, dass es Möglichkeiten gegeben hätte, für friedliche Verhältnisse zu sorgen. Aber da hätte Putin seinen Posten opfern müssen. Das hat er nicht getan; stattdessen haben viele Kinder ihr Leben verloren. Das wissen wir alle sehr genau. "
Service:
Musa Sadulaev ist derzeit zu Gast im Programm der Hamburger Stiftung für Politisch Verfolgte – auf Vorschlag von Udo Lielischkies, dem ehemaligen ARD-Korrespondenten im Moskauer Studio. Sadulaev brauchte Schutz und soll sich mit seinem Sohn von den traumatischen Erlebnissen in seiner Heimat erholen. Unter dem Titel "Verschlusssache Tschetschenien – Europa schau auf dieses Land" sind 83 seiner Fotografien ab 9.12. in Weimar zu sehen – in der Stadtverwaltung Schwanseestrasse 17 – bis 31.12. – nächste Stationen der Ausstellung sind Baden-Baden, Berlin und Hamburg.
In Ruinen abgeschoben, hoffen sie mit der Aufschrift "Hier wohnen Menschen" wiederholten Durchsuchungen und willkürlichem Beschuss zu entgehen.
" Das, was die Zivilbevölkerung in Tschetschenien durchmacht, würde ich nicht Leben nennen, man kann da höchstens von "existieren", vom nackten Überleben sprechen. Da hat zwar der eine Arbeit, und deshalb etwas mehr Geld als derjenige, der keine Arbeit hat, aber letztendlich überleben wir alle bloß. Wie kann man das "Leben" nennen, wenn jeder Tschetschene ständig mit der Angst konfrontiert ist, dass er jederzeit entführt werden kann, dass jemand in sein Haus eindringen und ihm etwas antun kann.
Diese Täter, egal von welcher Seite, sind nichts anderes als Verbrecher. Zuerst hieß es von föderaler Seite immer, dass ausschließlich separatistische Kämpfer schuld seien an den Entführungen. Schließlich mussten sie zugeben, dass tatsächlich Kräfte der russischen Föderation massiv an den Entführungen beteiligt sind. Im Grunde genommen wissen alle genau Bescheid, was passiert. Man weiß auch, wo die Entführten hingebracht, wo die Getöteten verschachert werden. Die einfache Bevölkerung kann nichts dagegen tun. Die Machtstrukturen sind so, dass kein Interesse daran besteht, etwas zu ändern.
Schon im ersten Krieg waren Entführungen ein schwer wiegendes Problem. Aber damals wurden Menschen entführt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Man hat Lösegelder erpresst und ähnliches. () Jetzt aber, wo sich die Anzahl der Entführungen um viele Tausende multipliziert hat, ist nichts mehr klar. Und immer wenn es heißt, die Separatisten stünden aufseiten des Volkes oder auch die jetzigen Machthaber würden die Interessen des Volkes vertreten, dann sage ich: Nein. Das einzige, wofür sie einstehen, sind ihre eigenen Interessen. "
Wenn überhaupt, dann ist Musa Sadulaev parteiisch für das Leben und gegen jede Form der Bewaffnung. Für das Kinderhilfswerk der Unicef dokumentierte er verwundete Kinder, Minenopfer zumeist – in schmerzhaft grellen Fotografien. Das trostlose Lagerleben in Iguschien, das Geiseldrama in Beslan, zu Gerippen zerbombte Häuser: die Farbigkeit macht den Kontrast zum jeweiligen Sujet, den teils apokalyptischen Szenen umso grauenvoller: Aggression, Blut, Tod und Zerstörung auf der einen Seite, Leid, unfassbare Ohnmacht und Vertreibung auf der anderen.
" Ich sehe meine Fotos als ein Zeugnis, als Dokumentation. Ich möchte die Realität abbilden, sie festhalten. Ich möchte, dass anhand meiner Fotos unsere Nachfahren sich später einmal ein Bild machen können von den Taten. Ich möchte, dass meine Enkelkinder über die Politiker urteilen können, die jetzt das Leid in Tschetschenien verantworten."
Aber, wer solche Bilder macht, begibt sich in Gefahr. Während des ersten Tschetschenien-Krieges konnte Musa Sadulaev nur versteckt mit einer kleinen Kamera arbeiten. Und nachdem einer seiner Freunde, ein Kameramann, im Mai 2004 beim Attentat auf den tschetschenischen Präsidenten ermordet worden ist, hatte Musa Sadulaev immer wieder seinen Wohnort gewechselt und in Kleidern geschlafen – innerlich vorbereitet auf Flucht. Seine Hoffnung setzt er nicht nur in die Kraft der Bilder, sondern in die westliche Öffentlichkeit – gegebenenfalls auch in eine Intervention durch die UNO.
" Der Frieden in Tschetschenien hängt voll und ganz vom Kreml ab. Das heißt man muss den Kreml dazu bewegen, dass er Ordnung in Tschetschenien schafft. Das geht aber nur auf Anraten und vielleicht auch auf Druck von außen. Moskau selbst kann und will vor allem die Ordnung in Tschetschenien nicht wieder herstellen. Der Konflikt weitet sich auf den gesamten Nordkaukasus aus, wie man an den jüngsten Ereignissen in Nalgic und Dhagestan erkennen kann. Die Folge der Kreml-Politik ist ja doch genau diese Ausweitung. Also muss man schon fragen, ob das nicht gezielt und Absicht ist.
Die Ereignisse in Beslan belegen, dass es Möglichkeiten gegeben hätte, für friedliche Verhältnisse zu sorgen. Aber da hätte Putin seinen Posten opfern müssen. Das hat er nicht getan; stattdessen haben viele Kinder ihr Leben verloren. Das wissen wir alle sehr genau. "
Service:
Musa Sadulaev ist derzeit zu Gast im Programm der Hamburger Stiftung für Politisch Verfolgte – auf Vorschlag von Udo Lielischkies, dem ehemaligen ARD-Korrespondenten im Moskauer Studio. Sadulaev brauchte Schutz und soll sich mit seinem Sohn von den traumatischen Erlebnissen in seiner Heimat erholen. Unter dem Titel "Verschlusssache Tschetschenien – Europa schau auf dieses Land" sind 83 seiner Fotografien ab 9.12. in Weimar zu sehen – in der Stadtverwaltung Schwanseestrasse 17 – bis 31.12. – nächste Stationen der Ausstellung sind Baden-Baden, Berlin und Hamburg.