Hoffen auf den großen Durchbruch

Von Ulli Schauen |
Vor acht Jahren fing er richtig Feuer, gab sein bürgerliches Leben in Brasilien auf und ging nach Deutschland, um sich ganz dem Gesang zu widmen: Nun könnte dem Bariton Maricio Virgens endlich der ganz große Erfolg gelingen.
Mit seinem Repertoire ist Mauricio Virgens ganz vorne - zeitgenössische Lieder singt er gerne. Den Liederzyklus "Tondo di Michelangelo" hat vor zwei Jahren der Hofkomponist der britischen Königin, Sir Peter Maxwell Davis, extra für ihn komponiert.

Und vielleicht ist der Baritonist auch bald schon ganz oben. Denn vor zwei Wochen konnte Virgens diese Lieder unter Begleitung von Paul MacAlindin in der berühmten New Yorker Carnegie-Hall vortragen - als amerikanische Premiere und als Belohnung für einen gewonnenen Gesangswettbewerb.

Auch wenn nur 120 Menschen das zeitgenössische Stück hören wollten - in seinen Augen war das Konzert ein voller Erfolg. Denn es ergaben sich Kontakte, unter anderem zur renommierten Metropolitan Opera. Eine amerikanische Künstleragentin wurde auf Mauricio Virgens aufmerksam, auch wegen seines anspruchsvollen Repertoires.

"Maxwell Davis zu singen, ist nicht für jeden. Ich bin sehr stolz auf mich","

sagt Virgens lachend. Bisher hält sich der Sänger mit gelegentlichen Konzertauftritten und als Gesangslehrer über Wasser. Wenn er als Opernsolist vorsingt, dann hat seine Bewerbung einen Makel: Er hatte noch nie ein Engagement an einer Oper.

Vielleicht bedeutet die Carnegie Hall den Durchbruch - das würde Zeit. 39 Jahre ist Mauricio Virgens, und erst vor acht Jahren, mit 31, fing er so richtig Feuer und schulte zum Profisänger um.

""In Brasilien habe ich in einem Chor gesungen, und mein Chorleiter hat einen Gesangsworkshop organisiert bei deutschen Sängern, und ich war dabei und dabei haben sie mir gesagt, dass ich Chancen hätte, wenn ich meine Stimme in Ausbildung gebe. Deswegen bin ich nach Köln, um weiter zu studieren: Gesang."

Was Virgens so trocken und bescheiden erzählt, ist die Entscheidung, seinem Leben eine komplette Kehrtwendung zu geben. Bis dahin hatte der Sohn eines Chemikers und einer Lehrerin im brasilianischen Bundesstaat Bahia Architektur studiert.

"Vielleicht würde ich kein guter Architekt sein, aber mindestens, meine ich, bin ich ein guter Sänger."

Um überhaupt in Deutschland bleiben zu können, machte er zunächst ein Architektur-Aufbaustudium an der Kunstakademie Düsseldorf. Nebenher jobbt er auch mal in einem Restaurant, gibt Portugiesisch-Unterrich. Und eine seiner drei Schwestern gibt ihm einen Kredit. Alles für seine Kunst.

"Ich glaube, der zweite Beruf ist reifer, ja, das ist wirklich, was ich machen möchte. Das ist wirklich, was ich mag, und dann zieht man es durch. Deswegen kommt es vielleicht zu kleinen Erfolgen."

Erst als er zum Einsingen die Jacke auszieht, fällt auf, wie durchtrainiert er ist, der sonst so unscheinbare Mann: schwarz, gelockt, mittelgroß. Fitness ist wichtig für das Singen und fürs Agieren auf der Bühne. Das und mehr lernen auch seine Gesangsschüler.

Beim Gesangstraining singt Mauricio Virgens vor, der Schüler singt nach und wird korrigiert.

"Der hat leider lange ohne Technik gesungen, mit viel 'Äh-ähä-hä'-Kraft, und jetzt versuchen wir das zu lockern."

Mauricio Virgens war so alt wie sein heutiger Schüler Benny Schwertfeger, 25 Jahre, als er in Salvador de Bahia ernsthaft begann, das Singen zu lernen. 25 Jahre - das ist spät. Es fällt in dem Alter schwer, wegzutrainieren, was sich bereits falsch eingeschliffen hat. Doch Virgens ist dazu beweglich genug.

In Köln hat er den schottischen Dirigenten Paul MacAlindin getroffen, mit dem er nun intensiv zusammenarbeitet. Ab und zu treten sie an kleinen Aufführungsorten mit einem eigenen Programm auf: "Liebeslieder im 21. Jahrhundert". Eigens dafür haben einige Komponisten neue Werke geschaffen.

"We two boys together clinging" - "Wir beiden Jungs, die sich aneinander klammern", heißt das Lied, das der Komponist Patrick Nunn zu Virgens' Programm beisteuerte. Ein Lied über homosexuelle Liebe, mit dem Virgens sehr zufrieden ist, weil es über Grenzen und Musik-Konventionen hinweg geht.

"Es ist wichtig zu betonen, dass Liebe in jeder sexuellen Orientierung spielbar oder singbar ist. Wir singen einfach über Leben, ob nun zwei Männer oder zwei Frauen oder Mann und Frau."

Mit seinem unkonventionellen Repertoire und seinem Können hat Mauricio Virgens bereits mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Gesangswettbewerb von Heinsberg in Brandenburg. Der ganz große Erfolg steht noch aus. Er ist dem bescheidenen, sympathischen Mann aus Salvador de Bahia und Köln zu wünschen.