Hörspiele aus Leidenschaft

Von Johannes Nichelmann |
Mit Sprache, Musik und Geräuschen lassen Hörspielautoren Bilder in den Köpfen ihrer Zuhörer entstehen. Johanna Steiner kann das besonders gut. Mit dem "Road-Hörspiel" "Buchstabier mir LKW" gelang ihr der Durchbruch. Mit "Übernacht" war sie für den "Deutschen Hörbuchpreis" nominiert.
Johanna Steiner, gähnt: Okay! (räuspert sich)
Sprecherin: Flecken von zerlaufendem Gorgonzola halbmondförmig ...
Johanna Steiner: Entschuldigung! "zerlaufenem". Nicht "zerlaufendem".


Ein Tonstudio in Berlin-Kreuzberg. Hinter der Glasscheibe, vor dem Mikrofon, sitzt eine Schauspielerin. Vor der Glasscheibe ein Tontechniker zusammen mit Johanna Steiner, der Regisseurin. Gemeinsam produzieren sie ein Hörbuch. Eine Auftragsarbeit. Johanna Steiner, 29 Jahre alt, muss auf jedes Wort genau achten. Sie hat ihr Hobby zum Beruf gemacht.

Hörbücher und Hörspiele sind seit Kindertagen die Leidenschaft der groß gewachsenen Frau mit dem kurzen, schwarzen Haar. Sie ist ein sogenanntes Kassetten-Kind der 80er Jahre. Jeden Abend schläft sie mit einem Hörspiel ein. Meistens handelt es sich um die Abenteuer der berühmten drei Detektive aus der Serie "Die drei Fragezeichen". Im Jahr 2003 geht sie von Worms nach Berlin, um Publizistik und Literaturwissenschaft zu studieren. Aber eigentlich will sie selbst Hörspiele schreiben und produzieren.

"Und ich hab irgendwann gedacht: Okay, das muss ich wohl selber machen, weil es lässt mich hier jetzt keiner."

Sie verfasst kurze und lange Geschichten, verdonnert ihre Freunde, bei den Aufnahmen mitzumachen. Als Studio musste erst einmal die über den Kopf gezogene Bettdecke herhalten. Langsam hat sich das dann aber professionalisiert.

"Teilweise mit meinen privaten mp3-Playern und deren internen Mikros. Und teilweise mit dem Studio in der TU-Berlin. Also so mit Freunden aufgenommen und zu Wettbewerben geschickt und irgendwann hab ich dann "Buchstabier mir LKW" gemacht."

(Motor startet, Autoschlüssel klappern)
Junger Mann: Und? Biste noch verliebt?
Jelena: Glaub schon. Ich weiß nicht. Es ist einfach totales Chaos in meinem Kopf. Und wenn Till nicht davon angefangen hätte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass es so sein könnte.


2008 - "Buchstabier mir LKW" ist der Durchbruch für Johanna Steiner. Inzwischen arbeitet sie auch für einen kleinen Hörspiel-Verlag. Mit einem professionellen Team produziert sie das 67 Minuten lange Stück über die junge Jelena. Die trampt drei Tage lang mit Truckern durch Europa und erfährt dabei, wer sie eigentlich ist. Am ersten Tag nach Veröffentlichung des "Road-Hörspiels" laden es sich 2.000 Menschen herunter. Irgendwann ruft ein Redakteur des Südwestrundfunks an und will "Buchstabier mir LKW" ins Programm nehmen. Jetzt wird sie rangelassen. Obwohl Johanna Steiner direkt am Anfang der Entwicklung dieses Hörspiels fast aufgegeben hätte.

"Eine Freundin hat sich erbarmt und ich rechne ihr das bis heute sehr hoch an, denn sie hat mir gesagt: 'Johanna? Das ist ganz große Scheiße.' Ich hab gedacht: 'Okay, Du musst nicht alles können. Lass das mit dem Schreiben. Ist Quatsch.' Und das hat mich aber nicht richtig losgelassen."

Im letzten Jahr erscheint ihre zweite große Produktion: "Übernacht". Drei episodenhaft erzählte Geschichten aus einer Silvesternacht, mit Starbesetzung. Es sprechen unter anderem Fritzi Haberlandt und Tom Schilling.

Jan: Du bist nach Weißrussland gegangen nach'm Abi?
Nele: Ja, Au Pair. Naja, war schrecklich.
Jan: Das hast Du mir nie erzählt, dass Du weggehst.
Nele: Doch, Jan! Das hab ich. Aber Du warst zu beschäftigt mit allem. Du hast das einfach nicht gehört. (Pause, Silvesterknaller im Hintergrund) Schwamm drüber! Ist lang her ...


Was im Kino als klassischer Berlin-Film bezeichnet würde, ist hier gewissermaßen ein klassisches Berlin-Hörspiel. Johanna Steiner macht das Leben der jungen, urbanen, hippen Hauptstädter hörbar. Eine Gruppe zu der die im Szene-Kiez lebende und passionierte Hobbyköchin auch selbst gehört. Sie beschreibt die Begegnungen und Seelenwelten ihrer Figuren mit Liebe zum Detail.

"Ja, also Naturalismus ist glaube ich das richtige Wort dafür. Ich versuche, dass die Hürde sich in die Geschichte einzufinden und sich mit den Figuren zu identifizieren möglichst gering ist. Ich will möglichst straßenähnliche Sprache, und ich will möglichst lebensnahe Dialoge, und mir geht es um die Emotionen und um die Brüche der Figuren."

Für "Übernacht" hagelt es Lob. Sie schafft es auf Bestenlisten, wird im "Kulturspiegel" gefeiert und erhält den Preis "Ohrkanus" für das "Beste Hörspiel 2012". Jetzt ist sie sogar für den "Deutschen Hörbuchpreis" nominiert. Wir starten gerade in eine Art "neues Hörspielzeitalter" meint Johanna Steiner. Über das Internet wird es viel leichter für die Hörer an Hörspiele heranzukommen. Eine große Chance für die Szene, sagt sie.

"Ich hab das Gefühl, dass Hörspiel wieder größer werden könnte in der Gesellschaft, wenn wir alle es jetzt nicht versauen. Ich glaube, es gibt Leute, die es hören wollen oder die dafür Platz in ihrem Leben schaffen können. Ich glaube, dass ganz viele Leute noch keine Hörspiele hören, weil sie nicht wissen, dass ihnen das gefallen würde."

Inzwischen sitzt Johanna Steiner seit acht Stunden mit ihrem Team in dem kleinen Tonstudio in Kreuzberg - führt bei einem Hörbuch Regie. Johanna Steiner kann sich ein Leben ohne all das nicht vorstellen. Gerade arbeitet sie an drei neuen Geschichten, in denen sie das normale Leben in kleinen Szenen hörbar machen will.

Johanna Steiner: Machen wir jetzt Schluss für heute?
Sprecherin: Ja!
Johanna Steiner: Ja! Schule aus.
Sprecherin: Und morgen bin ich dann auch gleich von Anfang an konzentriert. (Lachen)
Johanna Steiner: Ich vielleicht auch. Mal gucken.
Sprecherin: Ich geh ja jetzt zum Sport.



Mehr Infos:

Deutscher Hörbuchpreis

"Buchstabier mir LKW" - Hörspiel von Johanna Steiner

"Übernacht" - Hörspiel von Johanna Steiner