Hörspiel zu 50 Jahren Mondlandung

    „Beim Start der Apollo 11 liegt es nahe, an einen Feuerkult zu denken“

    Die Schriftstellerin Patricia Görg sitzt in der Natur.
    Patricia Görg schreibt viel über Natur. Jetzt hat sie ein Hörspiel über die unerhörten Details der Mondlandung geschrieben. © Foto: Renate von Mangoldt
    Patricia Görg im Gespräch mit Sarah Murrenhoff · 13.07.2019
    Wie passen Mondlandung und vedische Astrologie zusammen? Wussten Sie, dass Armstrong & Co. auf ihrem Weg zum Mond Barbra Streisand hörten? Hörspiel-Autorin Patricia Görg verrät, wie sie auf die unerhörten Details der Mondlandung kam.
    Deutschlandfunk Kultur: Frau Görg, zum Zeitpunkt der Mondlandung waren Sie neun Jahre alt. Wie erinnern Sie sich daran?
    Patricia Görg: Ich saß die ganze Nacht vor dem Fernseher. Also, ich war ja ein Kind. Aber ich erinnere mich, dass ich sehr ergriffen war und wusste: das ist eine riesige Geschichte für die Menschheit!
    Deutschlandfunk Kultur: 50 Jahre sind seitdem vergangen. Wie blicken Sie mit Ihrem heutigen Wissen auf die Mondlandung zurück?
    Patricia Görg: Dieses Ereignis hat überhaupt gar nichts von seiner Bedeutung und von seinem – sagen wir mal – Halo verloren. Es ist immer noch DER Punkt, an dem die Menschheit zum ersten Mal einen fremden Himmelskörper betreten hat. Ein bisschen wie der Urknall der bemannten Raumfahrt. Das war ein gewaltiges Unterfangen, das darf man auf keinen Fall unterschätzen. Die Gattung hat zum ersten Mal einen Blick auf die Erde geworfen und gesehen, auf was für einer kleinen Kugel man lebt und wie verletzlich und verloren sie ist im All. Es war ja nicht nur der Stolz, der eine große Rolle spielte, sondern das Ereignis hat auch zu einer gewissen Demut geführt. Es gibt Psychologen, die sagen, das ist ein Effekt, der ins Gesamtbewusstsein eingeflossen ist. Und ich denke nach wie vor, auch heute noch, dass das die Sache wert war.
    Deutschlandfunk Kultur: In ihrem Hörspiel "Die Gesänge der Raumfahrer" bringen sie zwei Themen zusammen: Auf der einen Seite die Mondlandung, dieses Hochtechnische, das geschichtliche Ereignis, um das sich Mythen ranken. Und auf der anderen Seite die vedische Astrologie, anhand derer Sie die Hörer auf eine spirituelle Reise zum Mond mitnehmen. Wie ist diese Verbindung entstanden?
    Patricia Görg: Wenn Sie sich mal in Dokumentarfilmen den Start dieser Saturn-V-Rakete ansehen, dann liegt es nahe, an einen Feuerkult zu denken. Und die alte vedische Religion – quasi der Vorgänger des Hinduismus – war, nach allem, was man weiß, ein Feuerkult. Die Verbindung zu den Göttern wurde dabei durch rezitierte, durch gesungene Hymnen hergestellt. Und für mich hat es eben so eine Verbindung gegeben. Es gibt ja immer unendlich viele Wirklichkeiten und diese Parallelwirklichkeit hat sich mir aufgedrängt.
    Deutschlandfunk Kultur: Woher kommt Ihr Wissen über Vedenrituale? Ich meine, das ist jetzt kein alltägliches Wissen und auch kein Allgemeinwissen?
    Patricia Görg: Zum großen Teil basiert das auf dem faszinierenden Buch "Die Glut" eines italienischen Autors, Roberto Calasso. Er beschäftigt sich darin auf eine sehr interessante halb-philosophische, halb essayistische Weise mit den Spekulationen über diese alte vedische Kultur.
    Deutschlandfunk Kultur: Sie sind aber schon auch der Typ, der sich richtig stark einliest, unheimlich viel konsumiert und erst dann anfängt zu arbeiten. Würden Sie dieser Beobachtung zustimmen?
    Patricia Görg: Ich habe tatsächlich angefangen, den Rigveda durchzulesen. Ich sage nur, 8000 Seiten! Auch im Allgemeinen beschäftige ich mich sehr intensiv mit einem Thema, veranstalte Tiefbohrungen, versuche innerhalb kürzester Zeit so viel wie irgend möglich von der Realität aufzunehmen und wahrzunehmen. Und dann versuche ich, mich davon wieder zu lösen. Ich sage immer, ich brauch ein Trampolin aus Wissen, auf dem ich springen kann.
    Deutschlandfunk Kultur: Haben Sie auch irgendeine persönliche Verbindung zu Spiritualität?
    Patricia Görg: In Maßen, aber das war nichts, was diese Arbeit beeinflusst hat. Da ist der Reiz eher intellektueller Natur gewesen, diese Verbindung herzustellen – wenn man so will, zwischen ganz verschiedenen Formen von Mythologien. Einer des 20. Jahrhunderts und einer von vor 1000 Jahren.
    Deutschlandfunk Kultur: Man bekommt den Eindruck, Sie interessieren sich auch für nicht-logisches Denken, Denken in nicht-binären Kategorien, nicht eurozentrische Wissenssysteme…
    Patricia Görg: Ja, unbedingt. Unbedingt habe ich ein Interesse an Denksystemen, die scheinbar unserem entgegengesetzt sind, oder Alternativen dazu darstellen. Ich finde es hochinteressant, unsere Weltsicht, das Kästchen, in dem wir leben, und dessen Wände uns normalerweise in keiner Weise bewusst sind, aufzusprengen.
    Deutschlandfunk Kultur: Auch beim Thema Mondlandung haben Sie das Besondere gesucht, das Unentdeckte. Wie sind sie vorgegangen?
    Patricia Görg: Ich habe von Anfang an geguckt: Was an dieser doch sehr bekannten Geschichte interessiert mich, weil es die weniger bekannten Geschichten sind? Zum Beispiel die Rolle der Mathematikerin und Informatikerin Margaret Hamilton, die mit über 80 Jahren von der NASA zum ersten Mal gewürdigt wurde. Sie hat quasi Codes programmiert – also etwas getan, was damals verpönt war und im Bewusstsein der sogenannten Space Cowboys und der Raketentechniker gar nicht stattfand. Ebenso hat es mich entzückt, als ich mir den Original-Funkverkehr der Apollo 11 angehört habe. Das war eine absolute Trouvaille, ein Fundstück: Unsere drei Helden hatten damals Kassettenrecorder dabei und spielten Schlager der Saison ab, um sich bei Laune zu halten auf diesem Außenposten der Menschheit.
    Deutschlandfunk Kultur: Ja, Barbra Streisand zum Beispiel… Ihr Hörspiel trägt den zusätzlichen Titel "Ein Fernlehrgang". Warum?
    Patricia Görg: Weil uns das, was da geschildert wird, so fern ist. Weil die so weit draußen waren, die drei. Und gleichzeitig können wir alle etwas davon lernen. Wir können als Menschheit von diesem Extremmoment profitieren. Einem Moment, in dem die Spezies zum ersten Mal einen Blick über die eigene Schulter warf, auf ihren Herkunftsort.
    Deutschlandfunk Kultur: Wie viel Fiktion und wie viel Fakt stecken in Ihrem Hörspiel?
    Patricia Görg: Das Prozedere des Starts und des Weges bis zur Mondlandung und auch der Rückflug finden faktenbasiert statt. Erfunden sind eigentlich nur kleine Verschiebungen. Beispielsweise habe ich Fakten aus der Raketentechnik poetisch behandelt. Das ist Fachvokabular, das ich aber mit gewisser Freiheit neu montiert habe.
    Deutschlandfunk Kultur: So mit Sprache umzugehen, technisches Vokabular poetisch zu nutzen, das könnte man auch als eines Ihrer Prinzipien verstehen. Dass Sie einen poetischen Zugang zu technischen Begriffen haben?
    Patricia Görg: Ja. (lacht)
    Deutschlandfunk Kultur: Ihre Sprache ist mir besonders aufgefallen. Sie ist sehr genau, sehr gestaltet und niemals abgenutzt. Wie schreiben Sie?
    Patricia Görg: Ich schreibe erstens mit Bleistift auf Papier, das ist ja heute schon erwähnenswert, mein Hauptarbeitsinstrument ist der Radiergummi, und was so entsteht, was langsam vorangeht, das kann dann in aller Regel auch bestehen bleiben.
    Deutschlandfunk Kultur: Sie sind auch Buchautorin und haben im Juni den Italo-Svevo-Preis für Ihr literarisches Werk erhalten. Welche Bedeutung haben solche Preise für Sie?
    Patricia Görg: Ich bin sehr froh, diesen Preis bekommen zu haben, weil ich länger nichts publiziert habe und so überhaupt mal wieder daran erinnert wird, dass es mich noch gibt. Aber man darf sich von solchen Preisen nicht versprechen, dass sie irgendwelche Wunder bewirken.

    Das Gespräch für Deutschlandfunk Kultur führte Sarah Murrenhoff.

    Zum Hörspiel:
    Hörspiel translunar: Apollo 11 und das Zeremoniell Agnicayna - Die Gesänge der Raumfahrer
    (Deutschlandfunk Kultur, Hörspiel, 17.07.2019, 22.03 Uhr)