Hörbuch

Wahrhaftiges Grauen

Von Wolfgang Schneider · 15.05.2014
Es ist eines der umstrittensten Bücher des 20. Jahrhunderts: Ernst Jüngers "In Stahlgewittern", in dem der Autor seine Erlebnisse während des Ersten Weltkriegs beschreibt. Jetzt ist das Werk als Hörbuch erschienen, gelesen von Tom Schiller.
"Nun brach ein Artilleriefeuer von gewaltiger Stärke los. Rings spritzten Erdstrahlen aus farbigen Dämpfen, und das dumpfe Dröhnen tief in der Erde berstender Geschosse mischte sich mit einem hellen, metallischen Kreischen, das an den Klang erinnerte, mit dem die Kreissäge die Holzklötze zerreißt. Eisenblöcke brausten in unheimlicher Kürze heran, dazwischen sangen und schwirrten Wolken von Splittern."
Rechtzeitig zum Weltkriegs-Jubiläum wird an der Hörbuchfront eine Lücke geschlossen: "In Stahlgewittern", Ernst Jüngers berühmter Bericht über die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs, in ungekürzter Fassung! Tom Schilling liest Jüngers um höchste visuelle und akustische Genauigkeit bemühte Prosa kühl und trocken, ohne falsche Emphase – gut so, denn die hier in Ich-Form geschilderten Erlebnisse markieren Grenzen der Identifikation für einen Schauspieler.
"Aus zerschossenem Gebälk ragte ein eingeklemmter Rumpf. Kopf und Hals waren abgeschlagen. Weiße Knorpel glänzten aus rötlich schwarzem Fleisch. Es wurde mir schwer zu verstehen."
Jüngers Rettung: Er machte sich zum Medium
Ja, es ist schwer zu verstehen. Und deshalb zieht sich Ernst Jünger auf die Position des Beobachters zurück. Indem er sich zum Medium macht und zwischen den Kämpfen das später überarbeitete Tagebuch führt, bewahrt er seine psychische Stabilität. Momente des Grauens enthält dieses Werk mehr als jedes andere Buch deutscher Sprache.
"Aus den Böschungen starrten Arme, Beine und Köpfe; vor unseren Erdlöchern lagen abgerissene Gliedmaßen und Tote, über die man zum Teil, um dem Anblick der entstellten Gesichter zu entgehen, Mäntel und Zeltbahnen geworfen hatte."
Aus Abenteuerlust, um endlich der Schule zu entkommen, hatte sich Jünger 1914 freiwillig gemeldet, nicht aus Patriotismus. Von Nationalismus ist denn auch nichts zu spüren. Eher vermittelt das Buch – auch durch die Aussparung aller politischen Kontexte – den Eindruck, als hätte sich eine junge Heldenelite Europas zu perfiden Kampfspielen versammelt.
"Dem Sergeanten wurden durch Handgranatensplitter beide Beine fast abgerissen. Trotzdem behielt er mit stoischer Ruhe seine kurze Pfeife bis zum Tode zwischen den zusammengebissenen Zähnen. Auch hier hatten wir wieder, wie überall, wo wir Engländern begegneten, den erfreulichen Eindruck kühner Männlichkeit."
Jüngers Schutzengel hat viel zu tun, ständig sterben neben ihm die Kameraden. Kopfschüsse, Herzschüsse, Bauchschüsse, Granatsplitter. Einmal tötet ein Volltreffer auf einen Schlag 70 von Jüngers 150 Mann: ein Inferno zerfetzter Leiber und schreiender, sich windender Verwundeter. Nur der tollkühne Jünger selbst kommt immer wieder mit dem Leben davon, auch wenn er zahlreiche, zum Teil schwere Verwundungen erleidet.
"So vertrieb ich mir einmal die Zeit, indem ich meine Verwundungen zusammenzählte. (…) In diesem Kriege, in dem bereits mehr Räume als einzelne Menschen unter Feuer genommen wurden, hatte ich es immerhin erreicht, dass elf von diesen Geschossen auf mich persönlich gezielt waren."
Er schlief wie ein Stein
So mischt sich kühle Sachlichkeit mit einem durchaus nicht uneitlen Pathos des Heroischen. Jünger schmächtiger, knabenhafter Körper verbirgt eine robuste Kraftnatur, die Strapazen und Verwundungen mit Leichtigkeit übersteht. Sein Schlaf ist von geradezu märchenhafter Tiefe.
"In der Nacht glaubte ich einige Male ein dumpfes Krachen und Knigges Geschrei zu hören, war aber so schlaftrunken, dass ich nur murmelte: 'Lass man schießen', und mich auf die andere Seite wälzte, obwohl der Staub wie in einer Kalkmühle im Raume hing. Am nächsten Morgen wurde ich durch den Neffen des Obersten von Oppen (…) mit dem Rufe geweckt: 'Mensch, wissen Sie noch gar nicht, dass Ihr Haus zusammengeschossen ist!'"
Aber auch Jünger verliert angesichts des Horrors gelegentlich die Fassung. Er schildert mehrfach Weinkrämpfe; bemüht sich gerade deshalb aber als Erlebender und Schreibender um das Pathos der Distanz, um einen Ästhetizismus, der sich ganz der Wiedergabe von Sinneseindrücken verschreibt.
"Als ich mich einmal allein durch das Gestrüpp arbeitete, befremdete mich ein leise zischelndes und sprudelndes Geräusch. Ich trat näher und stieß auf zwei Leichname, die in Folge der Hitze zu einem gespenstischen Leben erwacht schienen. Die Nacht war schwül und still. Ich stand lange Zeit wie gebannt vor dem unheimlichen Bild."
Schillings Stimme trifft
Durchaus nicht kämpferisch klingt Tom Schilling. Mit trockenem, fragilen Ton liest er den Text. Wenn man die hohe, dünne Stimme Ernst Jüngers kennt, wird man diese von jeder Landsknechthaftigkeit freie Lesart als durchaus passend empfinden. Sie verstärkt den sachlichen Charakter des Berichts.
"In Stahlgewittern" ist ein unerbittliches Werk, ohne die erzählerische Ökonomie herkömmlicher Kriegsromane, in denen der Schrecken dosiert eingesetzt wird. Gerade deshalb ist dieses Buch aber auch die bedeutendste Darstellung der Erfahrungswirklichkeit des Ersten Weltkriegs, deren Wirkung in postheroischen Zeiten nur abschreckend, also pazifistisch sein kann.
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