Peter Weiss: Abschied von den Eltern
Regie: Karl Bruckmaier, gesprochen von Robert Stadlober
Produktion des Bayerischen Rundfunks, der Hörverlag 2013
6 CDs, 4h 50 Minuten, 24,99 Euro
Verlust und Befreiung

Der autobiografische Text war Peter Weiss' Durchbruch: 50 Jahre nach dem Erscheinen von "Abschied von den Eltern" präsentiert der Bayerische Rundfunk eine Hörbuchfassung des Selbstfindungsromans: unter der Regie von Karl Bruckmaier, gelesen von einem distanzierten Robert Stadlober.
Robert Stadlober: "Dieses Tasten und Suchen"
Als sich Peter Weiss in den fünfziger Jahren auf biographische Spurensuche begibt, leben seine Eltern noch.
"Dieses Lauschen."
Behutsam, fast zögerlich, arbeitet sich der Erzähler in die Vergangenheit vor. Dem Zeitalter, in dem er aufwuchs, nähert er sich über das Ohr. Bei seiner Erkundungsarbeit will er den Eltern näher kommen, und zugleich hofft er, dabei auch etwas über sich zu erfahren.
Als die Eltern Ende der fünfziger Jahre kurz hintereinander sterben, ist ihr Tod ein Verlust, aber auch eine Befreiung – denn beim Schreiben der Erinnerungen muss er niemanden mehr schonen. Vielmehr fürchtet er nun, dass Erinnerungen der Eltern durch ihren Tod für immer verloren gegangen sind.
Als die Eltern Ende der fünfziger Jahre kurz hintereinander sterben, ist ihr Tod ein Verlust, aber auch eine Befreiung – denn beim Schreiben der Erinnerungen muss er niemanden mehr schonen. Vielmehr fürchtet er nun, dass Erinnerungen der Eltern durch ihren Tod für immer verloren gegangen sind.
"Dieses Verborgensein, oben auf dem dunklen Dachboden"
Kaum hörbar ist Robert Stadlobers Stimme in dieser Textpassage. Er ist ein Suchender, der seinen Platz noch nicht gefunden hat, weshalb seine Stimme nicht nur frontal, sondern aus wechselnden Richtungen zu hören ist. Von rechts über die Mitte ändert sich mit der Position des Erzählers auch die Intensität seines Sprechens.
Über das Wechselspiel von Nähe und Distanz wird auch das gebrochene Verhältnis Peter Weiss’ zu seinem Elternhaus angedeutet, in dem der Junge permanentem Druck ausgesetzt war. Zwischen den Weltkriegen wuchs er in einem großbürgerlichen Elternhaus auf, in dem feststand, welche berufliche Entwicklung er nehmen soll. Er aber wollte Künstler werden.
Über das Wechselspiel von Nähe und Distanz wird auch das gebrochene Verhältnis Peter Weiss’ zu seinem Elternhaus angedeutet, in dem der Junge permanentem Druck ausgesetzt war. Zwischen den Weltkriegen wuchs er in einem großbürgerlichen Elternhaus auf, in dem feststand, welche berufliche Entwicklung er nehmen soll. Er aber wollte Künstler werden.
"Du kannst so nicht weiterleben, sagte mein Vater, du kannst mir nicht länger zur Last liegen in der Situation, in der wir uns befinden, dich nicht länger deinen Träumereien hingeben, die Welt ist nicht so wie du glaubst, du kannst darinnen nie mit deinen Bildern und Gedichten existieren."
Erzähler Stadlober wahrt Distanz
Robert Stadlober spricht den Text des 1916 geborenen und 1982 in Stockholm gestorbenen Peter Weiss ohne Emphase. Als Erzähler wahrt er Distanz und er wird so dem Anliegen des Textes gerecht. Der nüchterne Erzählduktus verleiht der großen Fremdheit und Kälte Ausdruck, in der Peter Weiss aufwuchs. Seine Eltern versuchten, ihn nach ihren Vorstellungen zu formen, was er als Vergewaltigung erlebte. Nichts konnten sie mit seinen künstlerischen Ambitionen anfangen. Er war der Unverstandene, der, der nicht dazu gehörte.
"Ich kam als verlorener Sohn, dem man die Gnade einer Bleibe bot. Eine Mappe mit Zeichnungen, ein paar Hefte mit Noten waren mein einziger Besitz. Meine Bilder, die ich meiner Mutter anvertraut hatte, waren nicht mehr vorhanden. Als sie den Umzug in die Wege leitete, hatte sie meine Bilder in den Keller getragen, mit einer Axt zerschlagen, und im Ofen verbrannt. Sie erklärte diese Vernichtung als eine Schutzmaßnahme.
Sie hatte gefürchtet, daß meine düsteren, unheimlichen Bilder das Mißtrauen der Grenzbehörden wecken würden. Sie hatte das Heim gerettet, die Bilder, Ausdruck einer Krankheit, mussten geopfert werden. Ich kehrte in dieses Heim zurück, und die einzigen Zeichen meiner Stärke waren mir geraubt worden."
Sie hatte gefürchtet, daß meine düsteren, unheimlichen Bilder das Mißtrauen der Grenzbehörden wecken würden. Sie hatte das Heim gerettet, die Bilder, Ausdruck einer Krankheit, mussten geopfert werden. Ich kehrte in dieses Heim zurück, und die einzigen Zeichen meiner Stärke waren mir geraubt worden."
Regisseur Karl Bruckmaier hat "Abschied von den Eltern" minimalistisch inszeniert. Er vertraut ganz der Stimme von Robert Stadlober. Sparsam werden akustische und musikalische Akzente gesetzt. Fast gespenstisch mutet das Knarren an, das wiederholt zu hören ist. Es erinnert an Schiffsplanken, die zerbersten, wenn das Schiff mit all seiner Fracht in den dunklen Tiefen des Meeres verschwindet.
"Und in der dichter werdenden Dunkelheit, ertranken die letzten Reste meiner Kindheit."
Tief muss der Erzähler tauchen, um die versunkene Lebensgeschichte von unten, wo sie vom Vergessen bedroht ist, wieder nach oben zu holen. Vor dem Hintergrund einer längst vergangenen Zwischenkriegszeit werden seine Konturen immer deutlicher erkennbar. Peter Weiss entscheidet sich für seine und gegen die Welt der Eltern.
Es ist eine Absage an das bürgerliche Heim, das nie Heimat war. Stadlober macht durch sein Lesen die Position des Erzählers stark. Als einen, der auf schwierigem Weg ins Leben findet, lässt ihn Stadlober eindrucksvoll gegenwärtig werden.
Es ist eine Absage an das bürgerliche Heim, das nie Heimat war. Stadlober macht durch sein Lesen die Position des Erzählers stark. Als einen, der auf schwierigem Weg ins Leben findet, lässt ihn Stadlober eindrucksvoll gegenwärtig werden.