Hörbuch

Leben als Zumutung

Von Wolfgang Schneider · 28.02.2014
Für ihren düsteren Roman "Das Ungeheuer" erhielt Terézia Mora im Herbst den Deutschen Buchpreis. In der Hörbuchfassung hat die Geschichte von Darius Kopp und seiner großen Trauer um seine Frau Flora an Dichte und Expressivität gewonnen.
"Sie hat sich erhängt. An einem Baum. Abseits des Wegs. Anderthalb Tage, bis sie jemand fand. Das ist alles ein Albtraum."
Es gibt Bücher, die von tragischen Ereignissen und verdunkelten Gemütern erzählen – und doch die Stimmung des Lesers aufzuhellen vermögen, etwa mit dem Hebel der Komik. Terézia Moras Roman ist kein solches Buch. "Das Ungeheuer" ist ein durch und durch betrübtes Werk, das allein der Sprachglanz aufschimmern lässt. Wer sich auf die Hörbuchfassung einlässt, spürt das stärker noch als bei der Lektüre.
"Dass es schon ein Sieg ist, wenn ich es bis zur Straßenbahn schaffe. Wenn ich warten kann, bis sie kommt. Wenn ich es schaffe einzusteigen. Wenn ich es elf Haltestellen lang aushalte, nicht auszusteigen. Wenn ich es dann schaffe, ins richtige Gebäude zu gehen. Wenn ich es schaffe, in die vierte Etage zu gehen. Wenn ich es schaffe, den Raum zu betreten. Wenn ich es schaffe, mit ihnen zu reden … Man darf nicht weinen."
In tiefer Trauer versunken
Flora, die aus Ungarn gebürtige Übersetzerin, konnte sich dem Griff des "Ungeheuers" Depression nicht mehr entziehen. Seit ihrem Tod ist ihr Mann Darius Kopp in tiefste Trauer versunken.
"Wir hatten gerade unsere Jobs verloren. Beide gleichzeitig, und das nicht zum ersten Mal. Sowas kommt vor. Aber sie hat sich einfach verweigert. Sie hat sich geweigert, die Stadt je wieder zu betreten, sie hat sich geweigert unsere Wohnung zu betreten."
Kopp aber hat diese Wohnung seit zehn Monaten kaum noch verlassen: der vormalige Lebenskünstler als Schmerzensmann. Vor einem Jahr war er noch Sales Engineer, ein Söldner in den Fortschrittstruppen der IT-Branche. Nun ist er ein Verstümmelter auf dem Schlachtfeld der Liebe. Aber schließlich schiebt er die Pizzakartons beiseite und verlässt die Höhle, macht sich auf eine weite Reise in den Osten, bei der er den Lebensspuren Floras folgt und den angemessenen Ort für die Beisetzung ihrer Asche sucht.
Der Roman entwickelt sich zur Road-Novel, zugleich eine Reise in die Vergangenheit, voller Assoziationen und Erinnerungen an die Liebe seines Lebens.
"Du lernst eine Frau kennen, sie erscheint dir fein, zurückhaltend, meinetwegen sensibel. Manche mögen das, andere nicht. Darius Kopp fühlte sich wie aus einer anderen Welt beschenkt. Jemand wie Juri hat von so etwas keinen Begriff; die Frau hat sexy zu sein, fröhlich und trinkfest. Oder zumindest robust und hübsch anzusehen, kurze Beine habe ich schließlich selber, haha."
Die Autorin Terezia Mora freut sich im Rathaus Römer in Frankfurt nach der Auszeichnung mit dem Deutschen Buchpreises 2013.
Die Autorin Terezia Mora freut sich im Rathaus Römer in Frankfurt nach der Auszeichnung mit dem Deutschen Buchpreises 2013.© picture alliance / dpa / Arne Dedert
Schmerzende Seelen
Terézia Mora lässt das auktoriale Erzählen immer wieder in den Monolog übergehen, sie kriecht ihren Figuren unter die Haut, in die schmerzenden Seelen. Diese Intimität wird durch das Hörbuch verstärkt, durch die charismatischen Stimmen von Ulrich Noethen und Mercedes Echerer, die mit dem Anhauch eines Satzes schon Atmosphäre erzeugen.
"Im Traum sah ich mein weißes Gehirn in einer Waschschüssel voller schwarzem Wasser schwimmen. Ich wachte vor Ekel auf."
Auf der Reise hat Darius Kopp Floras Laptop bei sich. Darauf befinden sich ihre Aufzeichnungen – es sind die Textpassagen, die Mercedes Echerer liest. Diese Notate bieten kaum Erzählhandlung, teils sind sie kaum mehr als eine Materialsammlung zum Thema Depression; am interessantesten die tagebuchartigen Notizen einer gequälten Seele, die das Leben als wachsende Zumutung empfindet.
"In meinem ganzen Leben habe ich noch keinen so gehasst wie die jetzt hier. Wie kann jemand Psychosomatikerin werden, wenn es doch klarer als die Sonne ist, dass sie nicht einmal einen Fliegenschiss an Einfühlungsvermögen besitzt! 'Wieso werden Sie nicht lieber Straßenwalze, Sie großärschige Kuh!' Aber natürlich saß ich nur da und schluchzte und sagte gar nichts mehr."
Überzeugende akustische Übertragung
Im Buch sind die Seiten durch einen Strich geteilt: oben die Road-Novel, im unteren Drittel jeweils die Aufzeichnungen Floras. Wie lässt sich diese formale Parallelaktion im Hörbuch inszenieren? Eine Stereophonie der Stimmen ergäbe wenig Sinn, denn die beiden Stränge sind nur sehr lose miteinander verknüpft, außerdem müsste die Lesung ständig mittendrin – für den Hörer unmotiviert – unterbrochen werden. Dass nun die Stimmen etwa alle halbe Stunde wechseln, ist eine überzeugende Übertragung ins akustische Medium.
"Und auf was für Details man auf einmal aufmerksam wird. Auf die Führung des Schlüsselbeins und die Zartheit der darunter pochenden Ader. Überhaupt einmal in einem Lichtanfall: Die Verzweigung der Äderung auf ihrem Brustkorb, ihren Schultern und Armen. Meine Frau ist der Amazonas."
Zwei Ströme der Depression fließen in diesem Buch: die Trauer über eine Tote und die Verzweiflung zum Tode. So wortmächtig das inszeniert ist, es ist zugleich eine sehr monochrome Angelegenheit. Umso mehr aber beeindruckt Darius Kopps Beschwörung der Liebe, wie sie mit dieser Intensität und Leidensschwere lange nicht in deutscher Literatur zu vernehmen war. "Das Ungeheuer" ist ein Werk mit Längen, das in der Hörbuchfassung an Dichte und Expressivität gewinnt.

Terézia Mora: Das Ungeheuer
Gelesen von Mercedes Echerer und Ulrich Noethen
Random House Audio, Köln 2014
9 CDs, 704 Minuten, 29,99 Euro

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