Hörbuch: "Der Krieg geht zu Ende"
Die letzten drei Monate des Zweiten Weltkrieges stehen im Mittelpunkt des Hörspiels "Der Krieg geht zu Ende", das vor zehn Jahren teilweise in einer Gesamtlänge von 16 Stunden gesendet wurde - mit einer überraschenden und überwältigenden Hörerresonanz. In der kunstvollen Montage dieses Hörspiels ist ein aufregendes Audiokunstwerk entstanden, das jetzt zum ersten Mal auf CD als Hörbuch erschienen ist.
Mann: "Wenn der Krieg aus ist, dann ist alles sicher wieder schnell vergessen."
Mann: "Wenn der Krieg vorbei ist, ist von alter deutscher Kultur wahrscheinlich in kleinen Städten etwas zu finden. "
Frau: "Hiermit fängt nun ein neues Jahr an, und ich drücke uns beide Daumen, dass es ein gutes Jahr wird, das uns wieder nach Hause bringt und uns Kurt wiedergibt."
Jahreswechsel. Es geht aufs Ende zu. Es erinnern sich die Deutschen, Täter, Mitläufer, Soldaten, Flüchtlinge aus Ostpreußen, die die letzten Monate überlebt haben. Und da sind die anderen, die die Vernichtungsmaschine nicht überlebten.
"Im Krematorium V in Birkenau werden 100 Polen und 100 Polinnen erschossen, die vom Polizeistandgericht zum Tode verurteilt sind. "
1995 - 50 Jahre war der Zweite Weltkrieg zu Ende - traten die Hörspielabteilung des Hessischen Rundfunks mit dem Regisseur Walter Adler an Walter Kempowski heran und fragten an, ob es möglich sei, die Briefe, Tagebücher und Alltagsdokumente, die der Schriftsteller in jahrelanger Such- und Sammelarbeit für sein opus magnum ECHOLOT zusammengetragen hatte, zu einem Hörspiel zu verarbeiten. Der Zeitraum dieser großen Hörcollage - gelesen von der creme de la creme der deutschen Schauspieler - sollte die Zeit vom 1. Januar 1945 bis zum Tag des Kriegsendes, den achten Mai, umfassen. Kempowski stellt sein Material begeistert zur Verfügung. So wurde in der ARD am 7. Mai 1995 - zum Teil in einer Gesamtlänge von 16 Stunden am Stück - das Hörspiel "Der Krieg geht zu Ende - Chronik für Stimmen" gesendet und ist nun in einer neunstündigen Fassung auf CD neu erschienen.
Mann: "Zumindest geht es nicht mehr so hektisch zu wie zu Weihnachten. Die Russen stehen 250 Kilometer vor Berlin und kommen täglich weiter voran. "
"Am Nachmittag kommt eine Abteilung der SS in das Krankenbaulager B2F und befiehlt die Leichen der erschossenen russischen Kriegsgefangenen neben das Krematorium V zu transportieren. "
Erzählt werden in "Der Krieg geht zu Ende" keine repräsentativen Biographien wie Hitler und seine ... Nein, zu hören sind Erinnerungen von so genannten einfachen Menschen aus ihren Tagebüchern oder Briefen - Material, das persönlich und damit subjektiv ist.
Mann: "Die Flüchtlinge aus Ostpreußen liegen tagelang, drei, vier Tage auf Stroh in offenen Güterwagen. Ohne Verpflegung, ohne Heizung. Die Kinder schon halb erfroren; halb tot. Niemand kümmert sich um sie."
Frau: " Eine Schwester, der ich verbinden helfe, sie ist aus einem Treck herausgeholt und von elf Russen vergewaltigt worden. Als wir weiterziehen, schließt sie sich uns an. "
Ergänzt hat Walter Adler die Erinnerungen der Deutschen, die Walter Kempowski ihre Texte zusandten, durch Briefe von alliierten Soldaten und Zeugnisse aus den Konzentrationslagern - teilweise Statistiken, denn die, die das erlitten, was hier beschrieben wird, haben beispielsweise die Todesmärsche, auf die SS sie schickte, sogar noch in den letzten Apriltagen 45, nur die wenigsten haben dies überlebt.
"Die Häftlinge des Nebenlagers Bismark-Hütte werden in der typischen Häftlingskleidung und in Holzpantinen - zum Teil barfuß - auf den Marsch geschickt. Sie müssen Plattformen hinter sich herziehen, die mit verschiedenen Dingen beladen sind. Führer dieses Transportes ist SS-Oberscharführer Kleemann aus Hamburg. "
Mann: "Görlitz. Zwei Uhr in Liegnitz. Bahnhof überfüllt mit Flüchtlingen aus Oberschlesien. Die roten Panzerspitzen tauchten überall überraschend schnell auf. Was fällt den Roten alles in die Hände. "
"Der Krieg geht zu Ende" von Walter Kempowski und Walter Adler unterscheidet sich in seiner Komplexität und in seiner formalen ästhetischen Strenge in vielerlei Hinsicht von der Konjunktur der Nazivergangenheits-Erinnerung. Widersprüchlichkeit, Vielfältigkeit der Erzählung, keine einfache Orientierung geben - das ist das Grundprinzip dieser Chronik für Stimmen.
"Er ist erst siebzehn Jahre alt. Seit acht Wochen liegt er in hohem Fieber mit viel Schmerzen. Bedeckt mit großen eiternden Wunden. Ganz, ganz langsam stirbt er. Seit acht Wochen sitzt die Mutter am Bett ihres Sohnes und bittet Gott, dass er ihn sterben lassen möge. "
Das Leiden der vergewaltigten Flüchtlingsfrau, der Verlust der Stadt Dresden, die Angst um den Vater an der Ostfront: Dies alles wird hier erzählt, aber es wird erzählt zusammen mit dem Holocaust. Wenn man die neun Stunden hörend ertragen hat, wird man nicht der Erkenntnis entkommen können, das keine Schuld aufzurechnen oder zu vergleichen ist, dass es aber ein Faktum ist, dass dieses, was hier erzählt über das Grauen, ausgegangen ist von diesem Land.
"Ungefähr 150 Juden und ungefähr 200 Jüdinnen werden vor das Tor geführt. Einige jüdische Häftlinge werden hinter die Blockführerstube geführt und erschossen. Darunter der aus Köln stammende jüdische Häftling Harf. Erschossen werden auch diejenigen Häftlinge, die während des Abmarsches nicht Schritt halten können. "
Erinnerung, wie sie in "Der Krieg geht zu Ende" vorgeführt wird, hat nichts Verdrängendes, ist nicht geleitet von Gut-Böse oder Schwarz-Weiß-Schemata. Erinnerung ist hier - auch beim Hören - Arbeit. Verarbeitung. Damit steht dieses Kunstwerk neben anderen Kunstwerken der Vergangenheitsbewältigung wie Claude Lanzmans Shoa.
Walter Kempowski/Walter Adler
"Der Krieg geht zu Ende"
Chronik für Stimmen - Januar bis Mai 1945
7 CD Laufzeit ca. 540 Minuten
Produktion: HR/BR/SWR/NDR 1995
Erschienen im HörVerlag München
Preis: 39,93 Euro
Mann: "Wenn der Krieg vorbei ist, ist von alter deutscher Kultur wahrscheinlich in kleinen Städten etwas zu finden. "
Frau: "Hiermit fängt nun ein neues Jahr an, und ich drücke uns beide Daumen, dass es ein gutes Jahr wird, das uns wieder nach Hause bringt und uns Kurt wiedergibt."
Jahreswechsel. Es geht aufs Ende zu. Es erinnern sich die Deutschen, Täter, Mitläufer, Soldaten, Flüchtlinge aus Ostpreußen, die die letzten Monate überlebt haben. Und da sind die anderen, die die Vernichtungsmaschine nicht überlebten.
"Im Krematorium V in Birkenau werden 100 Polen und 100 Polinnen erschossen, die vom Polizeistandgericht zum Tode verurteilt sind. "
1995 - 50 Jahre war der Zweite Weltkrieg zu Ende - traten die Hörspielabteilung des Hessischen Rundfunks mit dem Regisseur Walter Adler an Walter Kempowski heran und fragten an, ob es möglich sei, die Briefe, Tagebücher und Alltagsdokumente, die der Schriftsteller in jahrelanger Such- und Sammelarbeit für sein opus magnum ECHOLOT zusammengetragen hatte, zu einem Hörspiel zu verarbeiten. Der Zeitraum dieser großen Hörcollage - gelesen von der creme de la creme der deutschen Schauspieler - sollte die Zeit vom 1. Januar 1945 bis zum Tag des Kriegsendes, den achten Mai, umfassen. Kempowski stellt sein Material begeistert zur Verfügung. So wurde in der ARD am 7. Mai 1995 - zum Teil in einer Gesamtlänge von 16 Stunden am Stück - das Hörspiel "Der Krieg geht zu Ende - Chronik für Stimmen" gesendet und ist nun in einer neunstündigen Fassung auf CD neu erschienen.
Mann: "Zumindest geht es nicht mehr so hektisch zu wie zu Weihnachten. Die Russen stehen 250 Kilometer vor Berlin und kommen täglich weiter voran. "
"Am Nachmittag kommt eine Abteilung der SS in das Krankenbaulager B2F und befiehlt die Leichen der erschossenen russischen Kriegsgefangenen neben das Krematorium V zu transportieren. "
Erzählt werden in "Der Krieg geht zu Ende" keine repräsentativen Biographien wie Hitler und seine ... Nein, zu hören sind Erinnerungen von so genannten einfachen Menschen aus ihren Tagebüchern oder Briefen - Material, das persönlich und damit subjektiv ist.
Mann: "Die Flüchtlinge aus Ostpreußen liegen tagelang, drei, vier Tage auf Stroh in offenen Güterwagen. Ohne Verpflegung, ohne Heizung. Die Kinder schon halb erfroren; halb tot. Niemand kümmert sich um sie."
Frau: " Eine Schwester, der ich verbinden helfe, sie ist aus einem Treck herausgeholt und von elf Russen vergewaltigt worden. Als wir weiterziehen, schließt sie sich uns an. "
Ergänzt hat Walter Adler die Erinnerungen der Deutschen, die Walter Kempowski ihre Texte zusandten, durch Briefe von alliierten Soldaten und Zeugnisse aus den Konzentrationslagern - teilweise Statistiken, denn die, die das erlitten, was hier beschrieben wird, haben beispielsweise die Todesmärsche, auf die SS sie schickte, sogar noch in den letzten Apriltagen 45, nur die wenigsten haben dies überlebt.
"Die Häftlinge des Nebenlagers Bismark-Hütte werden in der typischen Häftlingskleidung und in Holzpantinen - zum Teil barfuß - auf den Marsch geschickt. Sie müssen Plattformen hinter sich herziehen, die mit verschiedenen Dingen beladen sind. Führer dieses Transportes ist SS-Oberscharführer Kleemann aus Hamburg. "
Mann: "Görlitz. Zwei Uhr in Liegnitz. Bahnhof überfüllt mit Flüchtlingen aus Oberschlesien. Die roten Panzerspitzen tauchten überall überraschend schnell auf. Was fällt den Roten alles in die Hände. "
"Der Krieg geht zu Ende" von Walter Kempowski und Walter Adler unterscheidet sich in seiner Komplexität und in seiner formalen ästhetischen Strenge in vielerlei Hinsicht von der Konjunktur der Nazivergangenheits-Erinnerung. Widersprüchlichkeit, Vielfältigkeit der Erzählung, keine einfache Orientierung geben - das ist das Grundprinzip dieser Chronik für Stimmen.
"Er ist erst siebzehn Jahre alt. Seit acht Wochen liegt er in hohem Fieber mit viel Schmerzen. Bedeckt mit großen eiternden Wunden. Ganz, ganz langsam stirbt er. Seit acht Wochen sitzt die Mutter am Bett ihres Sohnes und bittet Gott, dass er ihn sterben lassen möge. "
Das Leiden der vergewaltigten Flüchtlingsfrau, der Verlust der Stadt Dresden, die Angst um den Vater an der Ostfront: Dies alles wird hier erzählt, aber es wird erzählt zusammen mit dem Holocaust. Wenn man die neun Stunden hörend ertragen hat, wird man nicht der Erkenntnis entkommen können, das keine Schuld aufzurechnen oder zu vergleichen ist, dass es aber ein Faktum ist, dass dieses, was hier erzählt über das Grauen, ausgegangen ist von diesem Land.
"Ungefähr 150 Juden und ungefähr 200 Jüdinnen werden vor das Tor geführt. Einige jüdische Häftlinge werden hinter die Blockführerstube geführt und erschossen. Darunter der aus Köln stammende jüdische Häftling Harf. Erschossen werden auch diejenigen Häftlinge, die während des Abmarsches nicht Schritt halten können. "
Erinnerung, wie sie in "Der Krieg geht zu Ende" vorgeführt wird, hat nichts Verdrängendes, ist nicht geleitet von Gut-Böse oder Schwarz-Weiß-Schemata. Erinnerung ist hier - auch beim Hören - Arbeit. Verarbeitung. Damit steht dieses Kunstwerk neben anderen Kunstwerken der Vergangenheitsbewältigung wie Claude Lanzmans Shoa.
Walter Kempowski/Walter Adler
"Der Krieg geht zu Ende"
Chronik für Stimmen - Januar bis Mai 1945
7 CD Laufzeit ca. 540 Minuten
Produktion: HR/BR/SWR/NDR 1995
Erschienen im HörVerlag München
Preis: 39,93 Euro