Hörbuch

Am Ende treffen sich alle bei der Totenfeier

Die französische Autorin Yasmina Reza
Die französische Autorin Yasmina Reza © dpa / pa / Peer Grimm
Von Wolfgang Schneider · 11.04.2014
Mit "Kunst" und "Der Gott des Gemetzels" ist Yasmina Reza bekannt geworden. Ihr Roman "Glücklich die Glücklichen", der Züge einer Pariser Gesellschaftskomödie trägt, liegt nun in einer Hörbuchfassung vor.
"Odile! Odile! - Ich merke sehr wohl, dass ich die Leute ringsum irritiere, aber das ist mir völlig egal, ich durchpflüge mit dem Einkaufswagen die Gänge, ich hasse diese Supermärkte, und plötzlich sehe ich sie, in der Käseschlange, die noch länger ist als vorhin, sie hat sich wieder in die Käseschlange gestellt! Odile, sage ich, als ich sie erreicht habe, ich spreche wohldosiert. Du willst jetzt nicht den Morbier zurückgeben?, sage ich. - Doch!"
Einmal den falschen Käse gekauft - es ist nicht wieder gutzumachen. Schweizer oder Morbier? Das Ehepaar Robert und Odile Toscano steigert sich darüber in einen heftigen Supermarkt-Streit, bei dem ein prinzipielles Ressentiment gegen das Wesen und die Wichtigkeiten des Partners aufflammt. Gleicht die Ehe des Journalisten und der Anwältin nur noch einem zerlaufenen Camembert? Oder ist solch Streit nur eine andere Form der Zusammengehörigkeit? Allerdings sind auch die Nächte des Paars von Feindseligkeit geprägt:
"Robert sagt, seit drei Nächten kann ich nicht schlafen, soll ich krepieren? Ich hebe den Blick nicht von meinem Buch und sage, nimm doch eine Rohypnol. - Ich nehme diese Scheiße nicht. - Dann jammer nicht rum. - Ich bin müde, Odile. Mach das Licht aus. Mach's aus, verdammt. Er rollt sich unter der Decke zusammen. Ich versuche zu lesen. Ich frage mich, ob das Wort müde aus Roberts Mund nicht mehr als alles andere zu unserer Entfremdung beigetragen hat."
Yasmina Rezas Erfolgskomödien wie "Der Gott des Gemetzels" bieten so etwas wie Botho Strauss light: Die bitter boulevardesken Szenen des Dramatikers sind Vorbild für Rezas Theatralik der gutbürgerlichen Eruptionen. Auch in ihrer Prosa geht es um kumulierte Gekränktheiten und die Bestialität hinter biederer Miene. Und um die Jagd nach dem Glück, bei der mancher Fehlschuss unterläuft. Wie bei der Schauspielerin Loula Moreno, die sich immer in den Falschen verliebt:
"Anders Breivik, der Norweger, der neunundsechzig Personen erschossen und acht weitere mit einer Bombe getötet hat, sagte in Oslo vor Gericht, "unter normalen Umständen bin ich ein sehr netter Mensch". Als ich diesen Satz las, fiel mir sofort Darius Ardashir ein. Unter normalen Umständen, wenn er sich nicht gerade darum bemüht, mich kaputtzumachen, ist Darius Ardashir sehr sympathisch."
Der Sohn hält sich für Céline Dion
Rezas Prosa hat theatralische Qualitäten - ideale Bedingung für eine Hörbuchinszenierung. "Glücklich die Glücklichen" ist ein Erzählreigen, in dem jedes Kapitel als Monolog für sich steht. Erst scheinen die Figuren wenig miteinander zu tun zu haben; aber bald knüpft sich ein Netz von Bezügen, und am Ende treffen sich alle bei der Totenfeier eines angesehenen Mitbürgers. Im Wechsel der Perspektiven gewinnt die Darstellung der Lebens- und Liebesverhältnisse immer weitere Facetten. Das zielt nicht nur auf das manchmal billige Herunterreißen der Masken des Anstands und der Zivilität, sondern auf allgemeine Ängste und Erfahrungen: Einsamkeit, Krankheit, Alter, Tod. Da liefern sich zwei Krebskranke im Wartezimmer ihres Arztes einen Wettstreit, wer der bessere Patient sei.
"Auch Lunge?, fragt der Mann. - Leber, antwortet meine Mutter, erst Brust, dann Leber. Aber ich bin atypisch, wissen Sie ... Chemla sagt mir jedes Mal, Paulette (er nennt mich Paulette, ich bin seine Lieblingspatientin), Sie sind total atypisch, will sagen, Sie hätten schon längst abkratzen müssen. Meine Mutter lacht herzlich, der Mann auch."
Die Kapitel sind auf signifikante Momente hin geschrieben. Da gibt es dieses Familiendesaster bei den Hutners: Der Sohn hält sich für Céline Dion. Was als putziges Rollenspiel begann, hat sich zum manifesten Wahn ausgewachsen. Man lässt wissen, der Junge halte sich zu Ausbildungszecken in London auf; tatsächlich ist er in der Psychiatrie. Bei einem Treffen unter Freunden kommt die Wahrheit heraus - eine Tragödie, zu lächerlich für Mitgefühl.
"Ich weiß nicht mehr, wer von uns beiden als erster geplatzt ist. Wir krümmten uns am Tisch, erstickten vor Lachen. (...) Wir standen auf, immer noch lachend, und flehten Lionel an, uns zu verzeihen. (...) Du weißt ja, dass wir uns nicht lustig machen. - Lionel war großartig, er lächelte freundlich und sagte, ich weiß, ich weiß."
Während bei der Lektüre das immer neue Ansetzen mit anderen Ich-Erzählern verwirren kann, gewinnt das Hörbuch daraus gerade seinen Reiz. Achtzehn Stimmen geben den Figuren eine deutlichere Konturierung, verleihen ihnen je eigenes Temperament und Timbre, darunter erstrangige Schauspieler wie Matthias Brandt, Birgit Minichmayr, Nina Petri, Wolfram Koch, Sebastian Rudolph, Nina Hoger und Hanns Zischler. Glücklicher ist, wer sich für das Hörbuch von "Glücklich die Glücklichen" entscheidet.

Yasmina Reza: Glücklich die Glücklichen.
Ungekürzte Lesung mit achtzehn Sprechern.
Hörbuch Verlag, Hamburg 2014
4 CDs, 300 Minuten, 19,99 Euro