Hörbares Meisterwerk der Weltliteratur
Natürlich kennt man den Don Quijote, dieses Meisterwerk der Weltliteratur. Aber welcher Literatur-Interessierte hat diesen über 1000-seitigen Roman tatsächlich gelesen? Eine Alternative dazu ist ein knapp 16-stündige Hörbuch.
"In einem Dorfe von La Mancha, an dessen Namen ich mich nicht entsinnen kann, lebte unlängst ein Edler, der eine Lanze und einen alten Schild besaß, einen dürren Klepper und einen Jagdhund. Eine Olla mehr von Rind- als Hammelfleisch, des Abends gewöhnlich kalte Küche, des Sonnabends arme Ritter und freitags Linsen, sonntags aber einige gebratene Tauben zur Zugabe verzehrten drei Viertel seiner Einnahmen...
Die Zeit hatte unseren Edlen mit 50 Jahren beschenkt. Er war von starker Konstitution, mager, von dürrem Gesichte, ein großer Frühaufsteher und Freund der Jagd."
Keine Frage, wer uns hier vorgestellt wird – der berühmteste Ritter aller Zeiten, der gerade aufgrund allzu ausgiebiger Lektüre seiner Lieblingsromane beschlossen hat, sein edles Amt hoch zu Rosinante anzutreten.
Zwar gibt es bereits eine ganze Reihe von Don-Quijote-Hörbüchern; die meisten davon allerdings stark gekürzte Kinderbuchfassungen und Hörspiel-Bearbeitungen. Was sind die Vorzüge gerade dieser Aufnahme? Die knapp 16-stündige NDR-Produktion aus dem Jahr 1984 nimmt es mit dem Originalwerk auf - in der klassischen Übersetzung Ludwig Tiecks. Zwar hätte der komplette Roman noch einmal doppelt solange gedauert. Die Kürzungen lassen die Haupthandlung jedoch weitgehend unversehrt; und der zweite Teil des Romans mit seinen selbstreferentiellen Spielerein dürfte für viele Hörer noch eine Entdeckung sein.
Im Lauf der Jahrhunderte hat sich sehr viel Tiefsinn an das zuerst 1605 erschienene Buch angelagert. Aber mit dem philosophischen Narrentum bei Shakespeare oder den Romantikern hat der "Don Quijote" nur wenig zu tun. Deutlich wird beim Hören, dass die fixe Idee des Ritterwahns immer nur anfallsweise über den ansonsten durchaus vernünftigen Landadligen aus La Mancha kommt. Von daher setzt die komische Kur des Ritterbuch-Entzugs, die Don Quijotes Freunde versuchen, vielleicht nur ein wenig zu spät an:
"Ein Mittel, das der Pfarrer und der Barbier gegen die Krankheit ihres Freundes ersonnen, war, das Bücherzimmer zu vermauern und anzustreichen, damit er es nicht wiederfände, wenn er aufstände, weil mit der weggeräumten Ursache auch die Wirkung aufhören würde, wobei sie sagen wollten, dass ein Zauberer Bücher, Zimmer und alles entführt habe. Dies ward wirklich mit großer Schnelligkeit ins Werk gesetzt. Nach zwei Tagen erhob sich auch Don Quijote und sein erster Gang war, nach seinen Büchern zu sehen, und da er das Zimmer nicht fand, wo er es gelassen hatte, wandelte er suchend von einer Seite zur anderen."
"Wenn der liebe Gott einen Pressesprecher hätte, würde der klingen wie Hans Paetsch", schrieb die "Süddeutsche Zeitung" einmal. Auch dieser "Don Quijote" zeichnet sich durch das emotionale Engagement des 2002 verstorbenen Vorlesers aus. Vor allem bringt Paetsch den vielschichtigen Humor zur Geltung; keine ganz einfache Aufgabe. Denn so großartig die komische Konstellation des Romans erscheint – im Einzelnen wirken die oft groben Verprügelungsszenen, in die Don Quijotes hochgesinnte Ritter-Interventionen regelmäßig münden, auf heutige Hörer nicht unbedingt witzig. Vladimir Nabokov sprach in seiner Cervantes-Vorlesung gar von einer "Enzyklopädie der Grausamkeit".
Der Kunstgriff Hans Paetschs besteht darin, dass er – entsprechend der zeitgenössischen Rezeption des überwältigend erfolgreichen Romans – eine geradezu lauernde Humorerwartung vermittelt, die Schadenfreude bei der Erfüllung jedoch zurück nimmt und sich nicht allzu lustig macht über den geschundenen Ritter. Diese Erwartung von Komik spielt bereits im Roman selbst eine wichtige Rolle. Geht die Initiative der Abenteuer anfangs noch von Don Quijote aus, so werden mit dem zunehmenden Ruhm des Ritters die Ereignisse inszeniert. Wo er auch hinkommt, verspricht man sich das Amüsement einer Donquichotterie und tut alles dafür. Das macht einen Reiz des Romans aus: So lebensprall realistisch er das spanische Leben der Epoche vorführt, nimmt er sich doch zugleich eines sehr modernen Themas an: Wirklichkeit als Konstruktion.
Don Quijotes Kühnheit erzwingt Bewunderung, auch wenn sie auf närrischer Illusion beruht. Aber er nimmt nicht nur den Kampf mit diversen Windmühlen auf. Immer auf der Suche nach unerhörten Bewährungsproben, die seinen Ruhm zugunsten der schönen Dulcinea von Toboso weiter hinaus in die Welt tragen, scheut er auch vor wirklichen Löwen, furchterregend beschrieben, nicht zurück.
"Nur Don Quijote betrachtete ihn mit kalter Aufmerksamkeit und wünschte, dass er schon vom Karren herunter wäre, damit er mit ihm handgemein werden und ihn, wie er sich vorgenommen, in Stücke hauen könnte. So hoch war das Äußerste seiner unerhörten Torheit gestiegen. Aber der Löwe, auf Kinderstreiche und Rauferein nicht ausgehend, nachdem er, wie schon gesagt, nach der einen und nach der anderen Seite ausgeschaut hatte, wandte sich um, zeigte dem Don Quijote seine hinteren Teile und legte sich mit großer Ruhe und Kaltblütigkeit in seinem Käfige wieder nieder."
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Miguel de Cervantes: Don Quijote,
Aus dem Spanischen von Ludwig Tieck. Patmos Verlag. 1 MP-3 CD, 15,5 Stunden, 25 Euro
Die Zeit hatte unseren Edlen mit 50 Jahren beschenkt. Er war von starker Konstitution, mager, von dürrem Gesichte, ein großer Frühaufsteher und Freund der Jagd."
Keine Frage, wer uns hier vorgestellt wird – der berühmteste Ritter aller Zeiten, der gerade aufgrund allzu ausgiebiger Lektüre seiner Lieblingsromane beschlossen hat, sein edles Amt hoch zu Rosinante anzutreten.
Zwar gibt es bereits eine ganze Reihe von Don-Quijote-Hörbüchern; die meisten davon allerdings stark gekürzte Kinderbuchfassungen und Hörspiel-Bearbeitungen. Was sind die Vorzüge gerade dieser Aufnahme? Die knapp 16-stündige NDR-Produktion aus dem Jahr 1984 nimmt es mit dem Originalwerk auf - in der klassischen Übersetzung Ludwig Tiecks. Zwar hätte der komplette Roman noch einmal doppelt solange gedauert. Die Kürzungen lassen die Haupthandlung jedoch weitgehend unversehrt; und der zweite Teil des Romans mit seinen selbstreferentiellen Spielerein dürfte für viele Hörer noch eine Entdeckung sein.
Im Lauf der Jahrhunderte hat sich sehr viel Tiefsinn an das zuerst 1605 erschienene Buch angelagert. Aber mit dem philosophischen Narrentum bei Shakespeare oder den Romantikern hat der "Don Quijote" nur wenig zu tun. Deutlich wird beim Hören, dass die fixe Idee des Ritterwahns immer nur anfallsweise über den ansonsten durchaus vernünftigen Landadligen aus La Mancha kommt. Von daher setzt die komische Kur des Ritterbuch-Entzugs, die Don Quijotes Freunde versuchen, vielleicht nur ein wenig zu spät an:
"Ein Mittel, das der Pfarrer und der Barbier gegen die Krankheit ihres Freundes ersonnen, war, das Bücherzimmer zu vermauern und anzustreichen, damit er es nicht wiederfände, wenn er aufstände, weil mit der weggeräumten Ursache auch die Wirkung aufhören würde, wobei sie sagen wollten, dass ein Zauberer Bücher, Zimmer und alles entführt habe. Dies ward wirklich mit großer Schnelligkeit ins Werk gesetzt. Nach zwei Tagen erhob sich auch Don Quijote und sein erster Gang war, nach seinen Büchern zu sehen, und da er das Zimmer nicht fand, wo er es gelassen hatte, wandelte er suchend von einer Seite zur anderen."
"Wenn der liebe Gott einen Pressesprecher hätte, würde der klingen wie Hans Paetsch", schrieb die "Süddeutsche Zeitung" einmal. Auch dieser "Don Quijote" zeichnet sich durch das emotionale Engagement des 2002 verstorbenen Vorlesers aus. Vor allem bringt Paetsch den vielschichtigen Humor zur Geltung; keine ganz einfache Aufgabe. Denn so großartig die komische Konstellation des Romans erscheint – im Einzelnen wirken die oft groben Verprügelungsszenen, in die Don Quijotes hochgesinnte Ritter-Interventionen regelmäßig münden, auf heutige Hörer nicht unbedingt witzig. Vladimir Nabokov sprach in seiner Cervantes-Vorlesung gar von einer "Enzyklopädie der Grausamkeit".
Der Kunstgriff Hans Paetschs besteht darin, dass er – entsprechend der zeitgenössischen Rezeption des überwältigend erfolgreichen Romans – eine geradezu lauernde Humorerwartung vermittelt, die Schadenfreude bei der Erfüllung jedoch zurück nimmt und sich nicht allzu lustig macht über den geschundenen Ritter. Diese Erwartung von Komik spielt bereits im Roman selbst eine wichtige Rolle. Geht die Initiative der Abenteuer anfangs noch von Don Quijote aus, so werden mit dem zunehmenden Ruhm des Ritters die Ereignisse inszeniert. Wo er auch hinkommt, verspricht man sich das Amüsement einer Donquichotterie und tut alles dafür. Das macht einen Reiz des Romans aus: So lebensprall realistisch er das spanische Leben der Epoche vorführt, nimmt er sich doch zugleich eines sehr modernen Themas an: Wirklichkeit als Konstruktion.
Don Quijotes Kühnheit erzwingt Bewunderung, auch wenn sie auf närrischer Illusion beruht. Aber er nimmt nicht nur den Kampf mit diversen Windmühlen auf. Immer auf der Suche nach unerhörten Bewährungsproben, die seinen Ruhm zugunsten der schönen Dulcinea von Toboso weiter hinaus in die Welt tragen, scheut er auch vor wirklichen Löwen, furchterregend beschrieben, nicht zurück.
"Nur Don Quijote betrachtete ihn mit kalter Aufmerksamkeit und wünschte, dass er schon vom Karren herunter wäre, damit er mit ihm handgemein werden und ihn, wie er sich vorgenommen, in Stücke hauen könnte. So hoch war das Äußerste seiner unerhörten Torheit gestiegen. Aber der Löwe, auf Kinderstreiche und Rauferein nicht ausgehend, nachdem er, wie schon gesagt, nach der einen und nach der anderen Seite ausgeschaut hatte, wandte sich um, zeigte dem Don Quijote seine hinteren Teile und legte sich mit großer Ruhe und Kaltblütigkeit in seinem Käfige wieder nieder."
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Miguel de Cervantes: Don Quijote,
Aus dem Spanischen von Ludwig Tieck. Patmos Verlag. 1 MP-3 CD, 15,5 Stunden, 25 Euro