Hölzerne Ställe und orientalische Paläste

Von Adolf Stock · 10.12.2011
Seit dem 16. Jahrhundert bilden Krippenberge, Fachwerkscheunen, Ruinen und Grotten den Hintergrund für die Weihnachtsszenerie. An diesen Krippen lässt sich auch ein Stück Architekturgeschichte nachvollziehen.
In dem kleinen Ort Oberstadion zwischen Donau und Bodensee gibt es seit 2008 ein Krippenmuseum. Dazu wurde die alte Pfarrscheuer, ein Fachwerkbau aus dem frühen 17. Jahrhundert, umgebaut. Im Besitz des Museums befinden sich wächserne Krippenfiguren aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie stammen aus dem Aachener Kloster Zum armen Kinde Jesu. Für sie wurde ein aufwändiges architektonisches Ambiente geschaffen: Ein 14 Meter langes Wandgemälde zeigt das örtliche Pfarrhaus, die Kirche und den nahegelegenen Wallfahrtsort Bussen, den Heiligen Berg Oberschwabens.

Der Krippenstall ist eine Nachbildung der alten Pfarrscheuer. Wer aufmerksam durch die Ausstellung geht, findet viel Architektur: alpenländische Scheunen, den Nachbau eines Spitzweg-Gemäldes und eine detailgetreue Nachbildung des Doms von Bergamo.

Die Architektur dient als Kulisse für das Weihnachtsgeschehen. Die Krippenaufsteller inszenieren ihr heiliges Personal wie auf einer Theaterbühne, die durch nach hinten immer kleiner werdende Gebäude und Landschaften entsteht. Thomas Ostendorf, Leiter des Krippenmuseums im westfälischen Telgte, erinnern solche Krippenlandschaften an die überschaubaren Welten der Modelleisenbahn:

"Ich habe an eine Krippe gedacht, die etwa so 1905 auf den Markt gekommen ist, die man selber sich herstellen konnte, aus vielen kleinen Holzteilen einen regelrechten großen Krippenberg sich zu bauen."

Thomas Ostendorf erzählt von einem Krippenbausatz, den es Anfang des letzten Jahrhunderts zu kaufen gab. Mit dem Holzbaukasten ließ sich ein Heiliger Berg mit Szenen der Weihnachtsgeschichte gestalten:

"Und typischerweise wurde diese Krippe auf einem Bauernhof gemacht, der direkt an ein evangelisches Gebiet angrenzt. Also die katholischen Bewohner haben sich ganz deutlich von ihrer Nachbarschaft abgesetzt."

Der westfälische Stolz war ein später Nachklang auf die Krippen als ein Bollwerk gegen den Protestantismus. Das hat sich geändert, heute stellen auch Protestanten Weihnachtskrippen auf, doch ihre Entstehung verdanken die Krippen der Gegenreformation. Dem trockenen Predigtwort sind die Jesuiten mit kleinen Miniaturbühnen begegnet, sagt Konrad Vanja, Direktor des Museums Europäischer Kulturen in Berlin:

"Es ist doch sehr deutlich, dass insbesondere durch Jesuiten eine Art Theatralik ins Feld geführt wurde. Nicht nur so, dass ihre Kirchen im Prunke, etwa des Barocken, sich präsentiert haben in einer Architektur, die ja wie eine Bühne für das liturgische Leben gewirkt hat, sondern dass diese Idee eben auch in die Kirchenkrippen hinübergetragen wurde."

Damals waren die Krippen kein erstarrtes Idyll, sondern bewegtes Geschehen. Nach dem Drehbuch der biblischen Geschichte wurden die Figuren immer wieder neu aufgestellt. Thomas Ostendorf spricht von variablen Figurenensembles:

"Bei der Geburtsszene, wenn die Hirten zur Anbetung kommen, liegt das Kind in der Krippe, in der Futterkrippe, während wenn die drei Könige kommen, dann sitzt das Kind auf dem Schoß der Mutter, und dann ist es schon ein bisschen älter. Man muss also die Figuren auch verstellen, und das kann man nur mit plastischen Puppen."

Das fromme Spiel mit den Jesuspüppchen hat seit dem hohen Mittelalter Tradition. Jesus Christus war die zentrale Gestalt der Mystikerinnen. Frauen wie Begine Hadewijch oder Mechthild von Magdeburg fühlten sich mit Maria verbunden, die als Mutter die leibliche Verwandlung des Wortes Gottes erfahren hatte. Wie die Theaterbühne gehört auch das Jesuskind-Brauchtum zu den Wegbereitern der Weihnachtskrippe.

Thomas Ostendorf: "In der Barockzeit hat man sehr gerne eine Ruine genommen, in der das Geschehen spielte. Die Ruine erinnert an die Ruinen des Palastes von König David. Im Matthäus-Evangelium wird ja der Stammbaum Jesu richtig breit ausgeführt und geht zurück auf das Haus David."

Für unsere Vorfahren endete die Welt zumeist an den Grenzen der eigenen Region. Schon deshalb wurde die Geburt Jesu oft als lokales Ereignis dargestellt. Die Architektur und die Landschaftskulissen waren der unmittelbaren Umgebung nachempfunden.

Erst am Ende des 19. Jahrhunderts wurde über den wahren Schauplatz der Weihnachtsgeschichte nachgedacht. Die Nazarener, eine Gruppe deutscher, christlich gesinnter Maler, die es nach Italien zog, wollten ein realistisches Bild des Heiligen Landes vermitteln und die biblischen Ereignisse originalgetreu in Szene setzen. Unter ihrem Einfluss hat sich die orientalische Krippe verbreitet. Stall und Ruine wurden aufgegeben. Es gab Palmen, die Mondsichel lag waagerecht am Himmel, und die Hirten und Könige trugen orientalische Tracht. Plötzlich lag das Jesuskind in einer Grotte. Das hatte auch einen religiösen Aspekt, weil die Erdhöhle zugleich die Grabstelle Christi symbolisiert.

Konrad Vanja: "Ich wende den Blick noch einmal nach Deutschland, ins Erzgebirge, da finden Sie die großartigen beweglichen Krippenberge. Da ist alleine schon der Berg selber eine architektonische Gestalt. Jerusalem Du hochgebaute Stadt: Man muss und mag das Lied sofort singen, wenn man diese Krippen-Berge sieht, wie sie aufgebaut sind, gestockt sind, ja manchmal über ein, zwei Meter hoch, in einer ganz kleinen Küche von einem Bergarbeiter gebaut worden sind, und dann kommt diese hochgebaute Stadt."

Konrad Vanja erzählt von den Krippenbauern im Erzgebirge. In seinem Museum der Weltkulturen gibt es über 1000 große und kleine Krippen. Dort stehen auch die berühmten Krakauer Krippen, die Nachbildungen der Marienkirche sind fast einen Meter groß und aus Pappe und buntem Stanniolpapier gebaut:

"Eine Szopka aus Krakau ist nicht nur dazu da, diese Kirche wiederzugeben, nein, man geht sofort noch einen Schritt weiter, man braucht natürlich ja auch für die Darstellung der heiligen Szenen einen Platz, wo das Christkind geboren wird, und so baut man in der Kirchenpforte, den Eingang der Kirche, den Stall ein."

Konrad Vanja beschreibt, wie die Hirten herbeieilen und aus der Ferne die Heiligen Drei Könige dem Jesuskind entgegen gehen:

"Aber nicht genug davon. Das zweite große bekannte Monument der Architektur Krakaus ist ja der Wawel. Das Herzstück des alten Polen ist an und für sich selbst ja ein architektonisches Monument. Auf diesem Wawel-Felsen baut sich dann die Marienkirche auf. Ganz besonders schön ist es natürlich, wenn die großen jugendstiligen Glasfenster der Franziskanerkirche auch noch aufleuchten."

Von den Krakauer Krippen führt Konrad Vanja den Museumsbesucher nach Tschechien bis in den Süden Europas:

"Wir gehen diese Linie Richtung Österreich, Südtirol, Richtung Italien weiter. Wir sehen ganze Dörfer, die nichts anderes tun, als solche Krippenfiguren zu gestalten. Wir gehen natürlich weiter in das Eldorado eines jedes Krippensammlers, nach Neapel, und finden dort ganze Straßenzüge, die nichts anderes machen, als dem heimischen Krippenfreund die Figuren zur Verfügung zu stellen."

Das gesamte Personal der Stadt ist versammelt: der gemeine Mann, das Kind, der Polizist, der Bäcker, die Waschfrau, der Bürgermeister, der Räuber und der Dieb. Thomas Ostendorf erzählt von Krippen mit weit mehr als 1000 Figuren, ganze Straßenzüge werden nachgebaut:

"Und das Problem eigentlich, wenn man vor so einer großen neapolita-nischen Krippe steht, ist, die Heilige Familie zu erkennen. Wo ist das Ereignis, um das es geht? Wo ist das Gotteskind?"

Im 20. Jahrhundert ändert sich in einer ständig profaner gewordenen Welt auch das Bild von der Krippe. Die Verkündigungsengel, der Heiligenschein oder der Weihnachtsstern, Insignien, die uns zeigen sollen, dass alles nach Gottes Plan verläuft, werden immer seltener gebraucht. Zurück bleibt die Kleinfamilie: Maria, Joseph und das Kind.

Literatur:

Gerhard Bogner: Das neue Krippenlexikon. Lindenberg (Kunstverlag Josef Fink/Beuroner Kunstverlag) 2003

Gemeinde Oberstadion (Hg.): Krippen Museum Oberstadion. Lindenberg (Kunstverlag Josef Fink) 2009