Hölle auf dem Meer

04.06.2012
Donald befindet sich auf dem letzen Abschnitt eines Segetörns, die kleine Tochter mit an Bord. Dann dreht das Wetter - und diese Novelle beginnt. Der Autor schafft es, in jeder Sekunde die Spannung zu halten und in kurzer Zeit ein Lebensdrama zu entrollen, das den Leser atemlos lässt.
Raus, abhauen, weg – wer hätte nicht schon einmal daran gedacht, nach fünfzehn Jahren Büroarbeit, den ewig gleichen Abläufen einfach mal den Bettel hinzuschmeißen und auszusteigen? Wer hätte es nach der ganzen Plackerei, Überstunden, die einem niemand dankt, nicht einfach mal nötig, wieder zu sich selbst zu kommen?

Manche Firmen gewähren – um dem Burn-out ihrer Mitarbeiter zuvorzukommen – diesen ein Sabbatical, eine Auszeit. Glück für Donald, die Hauptfigur im Roman "Irrfahrt" des niederländischen Journalisten und Autors Toine Heijmans. Für den verheirateten Vater einer siebenjährigen Tochter ist es höchste Zeit, das Büro zu verlassen und sich seinen Traum zu erfüllen: mit seinem Segelboot raus aufs Meer, Mann sein, Kapitän sein, selbstverantwortlich, abhängig nur von Wind und Wetter.

Drei Monate ist er unterwegs, umsegelt mit seinem Schiff "Ismael" von den Niederlanden aus Irland, Schottland und die Shetland-Inseln. Retrospektiv erfährt der Leser vom Verlauf der Reise. Zwei Tage vor deren Ende steigt Heijmans in die Handlung ein.

"Irrfahrt" ist formal mehr eine Novelle als ein Roman. Donald will von Dänemark aus zurück nachhause fahren. Zwei Tage soll der letzte Abschnitt seiner Reise dauern. Das "unerhörte Ereignis" besteht darin, dass nun seine siebenjährige Tochter Maria mit an Bord ist. Sie durfte zusteigen, um Donald wenigstens zum Abschluss der Reise zu begleiten. Der liebevolle Vater hätte sie gerne länger mitgenommen, seiner Frau Hagar erschien das zu gefährlich.

Was wie ein Katzensprung aussieht und als glückliches Ende einer Traumreise gedacht ist, entpuppt sich schnell als lebensgefährliches Abenteuer. Überraschend schlägt das Wetter um, ein Sturm zieht auf, Donald hat zwei Nächte lang nicht geschlafen, das Handy keinen Empfang. Er führt Selbstgespräche, versucht sich zu konzentrieren, verliert die Orientierung. Bloß keinen Fehler machen, bloß die Tochter nicht spüren lassen, dass ihr Vater nicht Herr der Lage ist.

Toine Heijmans schildert die Ereignisse dieser letzten zwei Tage auf See mit ungeheuerlicher Intensität, als Paradebeispiel für die Wirkungsweise von Murphys Gesetz und der Logik unbewusster Selbstzerstörung. Er entwirft eine zunehmend bedrohlicher werdende Szenerie, die durch lakonische Schwarzweiß-Zeichnungen der jungen Illustratorin Jenna Arts wirkungsvoll unterstützt wird.

Heijmans Protagonist Donald erzählt in der ersten Person. Es wird deutlich, dass ihm die Monate, die er allein auf See verbracht hat, nicht unbedingt gut getan, sondern seine Einsamkeit verstärkt, seine überreizten Nerven weiterhin strapaziert haben. Eigentlich monologisiert er, dem Wahnsinn nicht fern.

Die Irrfahrt des Skippers wird zu der des Lesers. Bis zum Ende, das von der Gefahr erlöst, aber kein glückliches ist, sind ihm alle Sicherheiten abhanden gekommen. Heijmans schafft es, über gut 180 Seiten hinweg jede Sekunde die Spannung zu halten, auf engstem Raum und in kurzer Zeit ein Lebensdrama zu entrollen, dessen Wucht so elementar ist, dass man sich danach erst einmal an einen Strand legen und Segelboote nur aus der Ferne betrachten möchte.

Besprochen von Carsten Hueck

Toine Heijmans: Irrfahrt
Aus dem Niederländischen übersetzt von Ilja Braun,
Arche Verlag, Zürich-Hamburg 2012
188 Seiten, 18,00 Euro