Höhere Preise für Milch

Von Georg Ehring |
Man stelle sich das gleiche Ereignis in der Autoindustrie vor: Die Arbeiter streiken für höhere Löhne – und VW erhöht die Preise für die Modelle Golf und Passat. Die Arbeiter brechen daraufhin den Streik ab und hoffen, dass von der Preiserhöhung künftig etwas bei ihnen ankommt.
So ähnlich ist es bei den Milchbauern gelaufen: Der Bund Deutscher Milchviehhalter hat den Lieferboykott beendet, nachdem eine Reihe von Lebensmittelhändlern, allen voran der Discounter Lidl, höhere Milchpreise zugesagt hat. Was das für die Bauern heißt, weiß noch niemand, in den Molkereien wird jetzt gerechnet. Die Milchbauern haben zwar die Zusage erhalten, dass Mehrerlöse vollständig an sie weitergegeben werden. Wie groß sie ausfallen, das hängt jedoch von der Produktpalette der jeweiligen Molkerei ab: Die Lebensmittelketten wollen nämlich nur die Preise für Frischmilch und Butter erhöhen, von Käse, Joghurt oder Quark war nicht die Rede ebenso wenig von Milchbestandteilen wie Fett oder Molkepulver für Schokoriegel, Tütensuppen Kosmetika und viele andere Produkte. Wie stark die Auszahlungspreise der Molkereien an die Bauern steigen, ist also noch nicht klar:

Der Sieg, den die Milchbauern feiern, steht also auf wackligen Füßen. Sie haben den mächtigen Handelskonzernen die Stirn geboten und zehn Tage lang standgehalten, bis der Gegner einlenkte. Und sie haben noch mehr erreicht: Die Sympathie der Öffentlickeit und eine neue Geschlossenheit in den eigenen Reihen. Das wird ihnen nützen, wenn künftig wieder Auseinandersetzungen mit den Lebensmittelhändlern anstehen. Mit ihnen und nicht mit den Molkereien werden sie sich auch in Zukunft in erster Linie auseinandersetzen müssen: Viele Molkereien sind in genossenschaftlicher Hand, gehören den Bauern also selbst und eignen sich schon deshalb nicht als Gegner im Streit um Auszahlungspreise.

Doch es ist zweifelhaft, ob der Erfolg des Boykotts reicht, um höhere Milchpreise auf Dauer durchzusetzen. Denn die Preise für Milch werden am Markt gemacht. Auch wenn Lebensmittel weltweit knapper und teurer werden – Milch gibt es in Europa derzeit im Überfluss. Und das drückt nachhaltig auf die Preise. Dazu kommt die Umstellung der europäischen Agrarpolitik. Die Europäische Union will die Milchquoten erhöhen und auf Dauer ganz abschaffen. Denn für die bisher übliche künstliche Verknappung des Angebots durch Quoten gibt es weder eine überzeugende Begründung noch Mehrheiten in Europa. Diese Zukunftsperspektive zeigt, wohin die Reise geht – hin zu immer mehr großen und effizienten Milchviehbetrieben, weg vom kleinen Bauernhof, wie es ihn seit Jahrhunderten gibt.

Qualität ist ihren Preis wert, die Arbeit zur Lieferung von Qualität soll ordentlich entlohnt werden – das war und ist das Kernargument der Milchbauern. Damit haben sie die Kunden überzeugt, ihr Verhalten wird dies aber kaum ändern: Nur wenige Verbraucher werden aus Solidarität mit den Bauern Milch eines teureren Anbieters der Billigmilch vom Discounter vorziehen. Zu recht, denn im Zweifel weiß der Kunde gar nicht, welcher Anbieter die Bauern besser bezahlt und welcher Bauer mit Kühen und Natur schonender umgeht.

Bauern, die auf Dauer mehr Geld verdienen wollen, müssen also wachsen, oder sich auf diesem Markt von der Konkurrenz absetzen. Durch die Umstellung auf biologische Landwirtschaft zum Beispiel. Die Auszahlungspreise sind hier deutlich höher, so dass dieser Bereich vom Lieferboykott nicht betroffen war. Die Nachfrage nach Biomilch wächst schnell und stetig, das Angebot hält damit kaum Schritt.

Der Erfolg des Lieferboykotts hat den Milchbauern vielleicht eine Atempause in der Anpassung an einen Markt gegeben, der sich schnell ändert. Auf die Dauer werden sie nur bestehen können, wenn sie sich an seine Spielregeln halten – mit niedrigeren Kosten oder nachweislich besseren Produkten, für die die Kunden freiwillig mehr bezahlen.