Höchst attraktiver Ort für NS-Schergen
Am 29. Januar 1946 starten am Flughafen Madrid-Barajas zwei Flugzeuge in besonderer Mission. Ihr Ziel ist das zerstörte Deutschland. In den Maschinen sitzen 23 Personen. Es sind deutsche Nationalsozialisten, die in ihr Heimatland ausgeflogen werden – zwangsweise. Das Ganze geschieht auf Druck der Alliierten, die die Rückführung der in Spanien lebenden Nazis verlangen.
Vor genau 60 Jahren, im Winter und Frühjahr 1946 beginnt Spanien mit der Ausweisung deutscher Nazis. Nach Jahren engster Partnerschaft schämt sich der Diktator Francisco Franco plötzlich seiner Freunde.
"Die Alliierten haben lange Listen erstellt, und die haben unterschiedliche Kategorien eingeteilt. Die ersten zwei Kategorien, Prioritätsstufen 1 und 2, die umfassten 255 Namen. Also von 255 sind an die 70 zurückgeführt worden. Einige von ihnen sind dann aus der Haft von Hohenasperg geflohen und über Frankreich kurzerhand wieder in Spanien eingetroffen, zur großen Überraschung der Allierten."
Der Historiker Carlos Collado Seidel, Sohn eines spanischen Vaters und einer deutschen Mutter, hat die Geschichte der Deutschen in Spanien nach 1945 untersucht und damit eine Lücke geschlossen. "Spanien als Nazi-Zufluchtsort" – so der Titel seines Buches.
Die Vorgeschichte des von Collado untersuchten Problems ist allerdings weitgehend bekannt. Franco war ein enger Partner Hitlers. Ohne die deutsche militärische Hilfe hätte er womöglich den Bürgerkrieg nicht gewonnen. Die Zerstörung Guernicas durch die Legion Condor ist das wohl bekannteste und traurigste Ergebnis dieser Verbindung.
Franco zeigte sich für die Unterstützung erkenntlich, belieferte Deutschlands Rüstungsindustrie mit Rohstoffen, ließ Gestapo und andere NS-Dienste in Spanien ungehindert agieren und gewährte der deutschen Industrie auf dem spanischen Markt in manchen Bereichen nahezu eine Monopolstellung. 8.000 - 10.000 Deutsche lebten ständig südlich der Pyrenäen.
Kein Wunder, dass Spanien zum Kriegsende das bevorzugte Ziel für belastete Nazis war, die eine Zuflucht suchten. Der deutsche Historiker und Spanien-Spezialist Walther Bernecker:
"Spanien war schon sehr beliebt, das kann man schon sagen. Man darf ja nicht vergessen, dass seit 36 die Beziehungen sehr eng waren, dass sich in Spanien damals doch eine ganze Reihe von höchst interessanten Wirtschaftsbeziehungen angebahnt haben. Nur diejenigen, die in Spanien sich unsicher fühlten und die möglicherweise ausgeliefert hätten werden können, haben dann versucht, von Spanien ausgehend über Italien oder Portugal nach Lateinamerika auszuweichen. Aber wer konnte, blieb in Spanien. Es war höchst attraktiv, dort zu bleiben."
Spanien mit seinem faschistischen Diktator war das geradezu natürliche Ziel der NS-Flüchtlinge in Europa. Doch die Alliierten übten Druck auf das Regime aus, verlangten die Ausweisung zahlreicher Deutscher. Collado stellt die These auf, dass die Alliierten Angst vor einem Weiterleben der NS-Bewegung in Spanien hatte:
"Die Grundthese des Buches ist, dass die Alliierten am Kriegsende gerade Spanien, Franco-Spanien, als einen Gefahrenherd für die Etablierung von NS-Nachfolgeorganisationen gesehen haben und das sehr ernst gesehen und erkannt haben."
Die Alliierten verlangen die Ausweisung zahlreicher Deutscher. Ein Konflikt für die Führung in Madrid. Walther Bernecker:
"Das Franco-Regime hat laviert. Franco war sich schon darüber im Klaren, dass sein Regime gewissermaßen gefährdet war, wenn er demonstrativ Nazis beherbergte. Er musste also vorsichtig sein gegenüber der UNO, gegenüber den Alliierten. Aber andererseits wollte er nicht und hat auch ganz bewusst nicht die gefährdeten Personen ausgeliefert. Deswegen sage ich, er hat laviert. Er hat versucht, so eine Art Gleichgewicht herzustellen. Die meisten Deutschen konnten sich in Spanien doch einigermaßen sicher fühlen."
Die etwa 70 dann doch ausgewiesenen Deutschen sind vor diesem Hintergrund eher als Feigenblatt für das Regime zu sehen, als ein Versuch, ein wenig guten Willen zu zeigen. Die meisten Nazis blieben unbehelligt. Erfolgreicher war da die Konfiszierung deutschen Vermögens in Spanien, vor allem in Form von Unternehmensbeteiligungen. Das dadurch erzielte Geld wurde als deutsche Reparationsleistung verbucht.
Anders als etwa in Argentinien fanden in Spanien in der Regel keine weltweit gesuchten NS-Kriegsverbrecher Unterschlupf, das war zu riskant. Und doch war Spanien Transitland auch für die schlimmsten NS-Schergen. Der Weg nach Südamerika führte fast immer über die iberische Halbinsel, geduldet durch die Regierung in Madrid. Und auch so manchem weniger Belasteten, der es wagte zu bleiben, hätte in Deutschland wohl ein Verfahren gedroht. Um wie viel angenehmer war da das Leben am Mittelmeer, ein durchaus aktives Leben.
"Sie haben durchaus ein öffentliches Leben geführt, kein provokatives, das nicht. Aber wir dürfen ja nicht vergessen, dass es sich zum größeren Teil um Leute gehandelt hat, die gesellschaftlichen Einfluss hatten, die eine ökonomisch relativ gute Position in Spanien bekleidet haben und die von daher alles andere als zurückgezogen lebten."
Walther Bernecker bezweifelt Collados These, wonach die Auslandsdeutschen ursprünglich vorgehabt hätten, in Spanien eine nationalsozialistische Widerstandsvereinigung zu gründen. Er glaubt eher, dass den meisten der Sinn nach einem ruhigen Lebensabend stand – ermöglicht durch das Franco-Regime.
So mancher ergriff sogar die Chance und begann ein zweites Leben in Spanien. Etwa Hans Hoffmann, ein Informant und enger Mitarbeiter der deutschen Botschaft während des Krieges, wie Collado Seidel durch Aktenstudium herausgefunden haben will. Hoffmann wurde zu einer Schlüsselfigur im deutsch-spanischen Verhältnis der Nachkriegsjahrzehnte, zum engen Freund von Franz-Josef Strauß, zum Generalkonsul der Bundesrepublik in Malaga. Noch heute ist die Deutsche Schule der Costa del Sol nach ihm benannt.
"Die Alliierten haben lange Listen erstellt, und die haben unterschiedliche Kategorien eingeteilt. Die ersten zwei Kategorien, Prioritätsstufen 1 und 2, die umfassten 255 Namen. Also von 255 sind an die 70 zurückgeführt worden. Einige von ihnen sind dann aus der Haft von Hohenasperg geflohen und über Frankreich kurzerhand wieder in Spanien eingetroffen, zur großen Überraschung der Allierten."
Der Historiker Carlos Collado Seidel, Sohn eines spanischen Vaters und einer deutschen Mutter, hat die Geschichte der Deutschen in Spanien nach 1945 untersucht und damit eine Lücke geschlossen. "Spanien als Nazi-Zufluchtsort" – so der Titel seines Buches.
Die Vorgeschichte des von Collado untersuchten Problems ist allerdings weitgehend bekannt. Franco war ein enger Partner Hitlers. Ohne die deutsche militärische Hilfe hätte er womöglich den Bürgerkrieg nicht gewonnen. Die Zerstörung Guernicas durch die Legion Condor ist das wohl bekannteste und traurigste Ergebnis dieser Verbindung.
Franco zeigte sich für die Unterstützung erkenntlich, belieferte Deutschlands Rüstungsindustrie mit Rohstoffen, ließ Gestapo und andere NS-Dienste in Spanien ungehindert agieren und gewährte der deutschen Industrie auf dem spanischen Markt in manchen Bereichen nahezu eine Monopolstellung. 8.000 - 10.000 Deutsche lebten ständig südlich der Pyrenäen.
Kein Wunder, dass Spanien zum Kriegsende das bevorzugte Ziel für belastete Nazis war, die eine Zuflucht suchten. Der deutsche Historiker und Spanien-Spezialist Walther Bernecker:
"Spanien war schon sehr beliebt, das kann man schon sagen. Man darf ja nicht vergessen, dass seit 36 die Beziehungen sehr eng waren, dass sich in Spanien damals doch eine ganze Reihe von höchst interessanten Wirtschaftsbeziehungen angebahnt haben. Nur diejenigen, die in Spanien sich unsicher fühlten und die möglicherweise ausgeliefert hätten werden können, haben dann versucht, von Spanien ausgehend über Italien oder Portugal nach Lateinamerika auszuweichen. Aber wer konnte, blieb in Spanien. Es war höchst attraktiv, dort zu bleiben."
Spanien mit seinem faschistischen Diktator war das geradezu natürliche Ziel der NS-Flüchtlinge in Europa. Doch die Alliierten übten Druck auf das Regime aus, verlangten die Ausweisung zahlreicher Deutscher. Collado stellt die These auf, dass die Alliierten Angst vor einem Weiterleben der NS-Bewegung in Spanien hatte:
"Die Grundthese des Buches ist, dass die Alliierten am Kriegsende gerade Spanien, Franco-Spanien, als einen Gefahrenherd für die Etablierung von NS-Nachfolgeorganisationen gesehen haben und das sehr ernst gesehen und erkannt haben."
Die Alliierten verlangen die Ausweisung zahlreicher Deutscher. Ein Konflikt für die Führung in Madrid. Walther Bernecker:
"Das Franco-Regime hat laviert. Franco war sich schon darüber im Klaren, dass sein Regime gewissermaßen gefährdet war, wenn er demonstrativ Nazis beherbergte. Er musste also vorsichtig sein gegenüber der UNO, gegenüber den Alliierten. Aber andererseits wollte er nicht und hat auch ganz bewusst nicht die gefährdeten Personen ausgeliefert. Deswegen sage ich, er hat laviert. Er hat versucht, so eine Art Gleichgewicht herzustellen. Die meisten Deutschen konnten sich in Spanien doch einigermaßen sicher fühlen."
Die etwa 70 dann doch ausgewiesenen Deutschen sind vor diesem Hintergrund eher als Feigenblatt für das Regime zu sehen, als ein Versuch, ein wenig guten Willen zu zeigen. Die meisten Nazis blieben unbehelligt. Erfolgreicher war da die Konfiszierung deutschen Vermögens in Spanien, vor allem in Form von Unternehmensbeteiligungen. Das dadurch erzielte Geld wurde als deutsche Reparationsleistung verbucht.
Anders als etwa in Argentinien fanden in Spanien in der Regel keine weltweit gesuchten NS-Kriegsverbrecher Unterschlupf, das war zu riskant. Und doch war Spanien Transitland auch für die schlimmsten NS-Schergen. Der Weg nach Südamerika führte fast immer über die iberische Halbinsel, geduldet durch die Regierung in Madrid. Und auch so manchem weniger Belasteten, der es wagte zu bleiben, hätte in Deutschland wohl ein Verfahren gedroht. Um wie viel angenehmer war da das Leben am Mittelmeer, ein durchaus aktives Leben.
"Sie haben durchaus ein öffentliches Leben geführt, kein provokatives, das nicht. Aber wir dürfen ja nicht vergessen, dass es sich zum größeren Teil um Leute gehandelt hat, die gesellschaftlichen Einfluss hatten, die eine ökonomisch relativ gute Position in Spanien bekleidet haben und die von daher alles andere als zurückgezogen lebten."
Walther Bernecker bezweifelt Collados These, wonach die Auslandsdeutschen ursprünglich vorgehabt hätten, in Spanien eine nationalsozialistische Widerstandsvereinigung zu gründen. Er glaubt eher, dass den meisten der Sinn nach einem ruhigen Lebensabend stand – ermöglicht durch das Franco-Regime.
So mancher ergriff sogar die Chance und begann ein zweites Leben in Spanien. Etwa Hans Hoffmann, ein Informant und enger Mitarbeiter der deutschen Botschaft während des Krieges, wie Collado Seidel durch Aktenstudium herausgefunden haben will. Hoffmann wurde zu einer Schlüsselfigur im deutsch-spanischen Verhältnis der Nachkriegsjahrzehnte, zum engen Freund von Franz-Josef Strauß, zum Generalkonsul der Bundesrepublik in Malaga. Noch heute ist die Deutsche Schule der Costa del Sol nach ihm benannt.