Hochwasser, Dürre, Faschisten und Kommunisten

Ivan Klímas Buch, 1963 erschienen und erst jetzt übersetzt, bürstet den Aufbauroman im Stile des sozialistischen Realismus gegen den Strich: Auf der einen Seite die Naturgewalten, auf der anderen die menschliche Gewalt und in der Mitte ein Landvermesser, der sich dem Deichbau verschrieben hat.
Dieses Buch ist wie in Schwarzweiß verfasst, es besitzt die archaische Kraft von neorealistischen Filmen. Schauplatz ist eine weite Niederung, über der der Fluss rauscht, mühsam in seinem Bett gehalten von hohen Deichen. Immer wieder schießt das Wasser über die Deichkrone, umspült die ärmlichen Dörfer und bricht in die Häuser mit den festgetretenen Erdfußböden und den undichten Dächern ein, an deren Wänden ein unübersehbarer Strich die Höhe des letzten Hochwassers anzeigt. In Dürrejahren bleibt nicht nur der Regen aus, auch der Fluss. Die Böden sind wegen des ewigen Wechsels nur zur Viehzucht zu gebrauchen, und die Menschen, die nicht nach Böhmen oder in die USA auswandern, ducken sich in ihr Los.

Als ob das alles nicht schon genug wäre, gibt es in Ivan Klímas Roman "Die Stunde der Stille" auch noch die Geschichte, eine blutige Geschichte. Erst suchen die Faschisten die ostslowakischen Dörfer an der Grenze zu Polen, der Sowjetunion und der Ukraine heim, dann übernehmen die Kommunisten die Macht. Auf der einen Seite die Naturgewalten, auf der anderen die menschliche Gewalt und in der Mitte ein Bauingenieur und Landvermesser, der sich dem Deichbau verschrieben hat - so ließe sich die Handlung des Romans knapp zusammenfassen.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ermordeten die Faschisten die erste Geliebte von Martin Petr, eine Widerständlerin. Ihr Tod führt ihn zu den Kommunisten, und mit Evžena, seiner zweiten Frau, will sich Petr in der Neuen Zeit nützlich machen - nicht anders als der Lehrer, der den Warnungen der Dörfler vor dem Wasser keinen Glauben schenkt, bis sein trotzig angelegtes Gemüsebeet davonschwimmt; nicht anders als der Arzt, der die in Tagesmärschen auf Karren herbeigeschleppten Minenopfer hingebungsvoll zusammenflickt, weil es in der Gegend kein Krankenhaus gibt. Doch die rüde Politik der Partei vor allem bei der Landkollektivierung lässt Petr immer stärker zweifeln. Er weiß, dass die lang andauernde Stille, die dem Buch dem Titel gab, ein Schweigen ist, das die Opposition und den Hass verdeckt. So wie die Leute das Wüten des Stroms erdulden, halten sie auch der "Volksherrschaft" stand.

Ivan Klímas Buch, 1963 erschienen und erst jetzt übersetzt, bürstet den Aufbauroman im Stile des sozialistischen Realismus gegen den Strich. Nicht nur in ideologischer, auch in formaler Hinsicht: Acht Kapitel erzählen auf "balladeske Weise", wie die Übersetzerin Maria Hammerich-Maier im gelungenen Nachwort schreibt, von den Schicksalen der Dörfler, und jedes von ihnen endet mit einem Unterkapitel, das Petrs allmähliche Desillusionierung schildert. In das epische Dorfpanorama ist der Roman von Petr eingesprengt wie eine Vergrößerungslupe der Widersprüche.

Maria Hammerich-Maier bettet den Roman zu Recht in die Vorgeschichte des Prager Frühlings ein. Klíma, 1931 geboren und als Kind drei Jahre im KZ Theresienstadt, war wie sein Held KP-Mitglied, verlor aber nach dem Ungarnaufstand 1956 seine Stelle als Redakteur einer Literaturzeitschrift, weil er sich für den freien Zugang zu sämtlicher Literatur ausgesprochen hatte. 1958 brach er mit einem Grafiker zu einer Recherchereise in die ärmliche Ostslowakei auf. Aus den Reportagen entstand ein Filmdrehbuch, das immer wieder zurückgewiesen wurde, weshalb Klíma diesen kraftvollen Roman schrieb.

Besprochen von Jörg Plath

Ivan Klíma: Stunde der Stille
Aus dem Tschechischen übersetzt von Maria Hammerich-Maier,
Transit, Berlin 2012
253 Seiten, 19,80 Euro