Hochwasser an der Elbe

Von Christine Heuer |
Huch hoppla, wo kommt denn plötzlich das viele Wasser her? - Aus Tschechien, aus dem Schnee, der dort geschmolzen ist, aus dem Regen, der dort fiel und die Elbe anschwellen ließ. Und: ja, man konnte ahnen, dass es wieder ein Hochwasser geben würde in Deutschland - auch wenn die Sache diesmal glimpflicher ausgegangen ist als beim so genannten Jahrhunderthochwasser, das gerade einmal vier Jahre zurückliegt und dessen Wiederholung wohl kaum die nächsten 96 Jahre auf sich warten lassen wird.
Mit dem Hochwasser an der Elbe war also zu rechnen, und es ist ja auch damit gerechnet worden. Allerdings schlecht und alles andere als nachhaltig. Was war nicht alles angekündigt worden im August 2002, als der wahlkämpfende Kanzler Gerhard Schröder durch die ostdeutschen Fluten watete? Ganz Deutschland rückte zusammen in der Stunde der Not – und die Politiker versprachen, den Hochwasserschutz rasch auf Vordermann zu bringen. Tatsächlich ist seitdem etwas geschehen: Es wurden Deiche gebaut. In der Hoffnung, die höheren und stärkeren Mauern würden die hereinbrechenden Wassermassen zurückhalten. Hat geklappt! Jedenfalls in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die modernen Deiche dort haben dafür gesorgt, dass die beiden ostdeutschen Länder diesmal mit einem blauen Auge davon kamen.

Dieselben Deiche haben aber auch dafür gesorgt, dass es die Niedersachsen und Schleswig-Holsteiner elbabwärts schlimmer traf als 2002. Denn dort haben sich die im Osten zurückgehaltenen Wassermassen ausgebreitet. Im Klartext: Der technische Hochwasserschutz (Deiche bauen statt Flußauen wiederzubeleben oder den Flüssen in Poldern Dehnungsraum zu geben) hat das Problem bloß verlagert. Nach uns die Sintflut! ist hier ganz wörtlich zu nehmen. Und an diesem Punkt erscheint auf der Bildfläche – der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff. Wulff findet es ungerecht, dass nun die Niedersachsen ausbaden müssen, dass die Ostdeutschen sich inzwischen besser vor den Fluten schützen. Deshalb hat er diese Woche einen Staatsvertrag gefordert: einen Vertrag zwischen den Bundesländern, in dem die sich gegenseitig verpflichten, dem St. Floriansprinzizp zu entsagen. Konkret: Wenn die Elbe das nächste Mal anschwillt, dann soll beispielsweise Brandenburg seine Polder fluten, um Niedersachsen das Schlimmste zu ersparen. – Das ist eine gute Idee. Aber wer hat denn eine solche Lösung bislang verhindert? – Richtig, das waren die Ministerpräsidenten der Länder, die den Bund bei der Föderalismusreform erfolgreich erpresst haben. Ihre Bereitschaft, im Bundesrat weniger zu blockieren, haben sich die Länderfürsten nämlich teuer bezahlen lassen: Mit dem Verzicht des Bundes, in bestimmten Politikfeldern noch ein gewichtiges Wort mitreden zu dürfen. Zum Beispiel beim Hochwasserschutz. Was immer Berlin sich dazu ausdenkt, können die Länder jetzt wieder kassieren. Dass Christian Wulff nun länderübergreifende Lösungen fordert, und dies auch noch durch die Bundesregierung moderiert sehen möchte, ist – na, sagen wir’s mal freundlich: ziemlich verblüffend. Trotzdem ist es eine gute Idee. Dass sie umgesetzt wird, ist leider zu bezweifeln.

Denn dass die Länder beim Hochwasserschutz so schlecht zusammenarbeiten, hat ja einen Grund: Sie sind egoistisch. Die lokalen Interessen ihrer Bürger liegen Ländern und Kommunen nun einmal näher als die gemeinsame Sache im föderalen Deutschland. Wenn also ein Landwirt seinen flussnahen Acker nicht hergeben möchte als Flutungsfläche im Notfall, dann wird ihn der Bürgermeister eher selten zum Nachgeben drängen – denn auch der möchte wiedergewählt werden; genauso wie der Ministerpräsident Wulff in Hannover. Und so kommt es, dass Deiche nicht gebaut werden, weil ihr Anblick die Wahl-Bürger in ihrem ästhetischen Empfinden stört, oder dass ein CDU-Ratsherr damit durchkommt, den Bau einer Schutzmauer auf seinem Grundstück zu verhindern: obwohl die Flut 2002 ein für allemal bewiesen hat, dass nur eine solche Mauer eine ganze Altstadt vor dem Absaufen retten kann.

Der Fall kommt Ihnen bekannt vor? – Ja, genau: So ging die Altstadt von Hitzacker unter… Das ist traurig, es ist ärgerlich – und es kostet Niedersachsen jetzt viel Geld – und zwar alle Steuerzahler dort. Der Bund übrigens wird sich diesmal nicht zum Zahlmeister machen lassen. "Die Regulierung von witterungsbedingten Schäden ist keine originäre Aufgabe des Bundes" – heißt es dazu lapidar aus dem Bundesfinanzministerium. Auch Berlin kann sich auf die Föderalismusreform berufen.

Was ist also zu tun? – Zweierlei: Wenn es um lokale Interessen geht und um die Macht von Politikern, müssen die Länder wieder bescheidener werden und Abstriche machen auf ihrer Habenseite bei der Föderalismusreform. Hochwasserschutz ist eine zentralstaatliche, keine Länder- und schon gar keine kommunale Aufgabe. Und: Gemeinsamer Hochwasserschutz darf sich nicht im Bauen und Verstärken von Deichen erschöpfen – so wichtig dies ist. Wir brauchen Breitwasser- statt Hochwasser, Polder also, Überschwemmungsflächen und Flußauen. Damit es beim nächsten Hochwasser nicht wieder heißt: Huch, hoppla, wo kommt denn plötzlich das viele Wasser her?