Hochschulverbandspräsident über Meinungsfreiheit

"Wir erleben eine Verengung des Diskurskorridors"

13:34 Minuten
Prof. Dr. Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes
Diskussionen erwünscht: An den Universitäten müsse man auch Stimmen hören, die einem nicht genehm sind, sagt Bernhard Kempen, © imago images / Metodi Popow
Bernhard Kempen im Gespräch mit Vladimir Balzer · 16.11.2020
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Auch Außenseiterstimmen haben ein Recht, in der Wissenschaft Gehör zu finden. Das sagt Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes. Offenheit für die Ansichten anderer sei Teil der Universität, nur Populisten hätten dort keinen Platz.
"Ich sorge mich darum, dass wir ganz allmählich eine Verengung des Diskurskorridors erleben", sagt Bernhard Kempen über die Debattenkultur rund um die deutschen Hochschulen. "Das heißt, dass der Bereich dessen, was gesagt werden darf und diskutiert werden kann, immer schmaler wird und dadurch wichtige Impulse und die Auseinandersetzung mit den Rändern wegfallen." In seiner Funktion als Präsident des Deutschen Hochschulverbandes habe er schon viele Fälle der Tabuisierung von Thesen und Themen erlebt.

Unliebsame Stimmen müssen gehört werden

"Das wäre eine traurige Verarmung unserer freien, geistigen Auseinandersetzung, die wir an den Universitäten wie ein Lebenselixier brauchen." Deswegen halte er dagegen, so Kempen. Wenn es beispielsweise bei Themen wie Gendergerechtigkeit, Flüchtlingsproblematik, Klimawandel oder Corona Stimmen gebe, "die wir als Außenseiterstimmen wahrnehmen", dann hätten diese trotzdem ein Recht, in der Wissenschaft Gehör zu finden.
Man müsse sich mit "all diesen Thesen und Gegenthesen" auseinandersetzen, bekräftigt Kempen: "Ich halte gar nichts davon, diese Dinge zu tabuisieren, auszuklammern und auszublenden." Das alles gehöre in die Universität, und es gebe keinen Grund, "bestimmte Ansichten, Thesen und Perspektiven aus unserer Lebenswirklichkeit wegzulassen."

Universität als Stätte geistiger Auseinandersetzung

Einen "sogenannten Klimaleugner" müsse man mit Tatsachen konfrontieren und sich selbst von dessen "falschen Fakten" abgrenzen. Die ganze Wissenschaftsgeschichte sei nichts anderes als eine Geschichte der Widerlegung von Irrtümern, so Kempen, und die Universität sei schon immer eine Stätte geistiger Auseinandersetzung gewesen:
"Da gibt es keinen Mainstream, den wir pflegen und hegen und in dem wir uns dann lauwarm die Hände waschen. Sondern im Grunde ist das ein reißender Strom, der sehr breit ist, und in dem wir auch die Ränder - und zwar besonders die Ränder - pflegen müssen, um tatsächlich das volle Meinungsspektrum und auch das volle wissenschaftliche Spektrum in den Blick nehmen zu können."

Nur gegen Verfassungsfeindliches vorgehen

Auch politische Themen seien da nicht ausgenommen. Nur verfassungsfeindliche Bestrebungen müsse man dringend außen vor lassen. Dennoch habe es den Fall gegeben, dass eine Professorin, die eine Vorlesung zum Thema Kopftuch halten wollte, "als Rassistin diffamiert" wurde. Es sei das gute Recht der Studierenden gegen eine Veranstaltung des ehemaligen AfD-Politikers, Bernd Lucke, auf der Straße zu demonstrieren. Gleichermaßen habe aber auch Lucke als Professor das Recht, eine Vorlesung zu halten.
Man müsse zuhören, so Kempen, und nicht den Diskurs unterbinden. "Das ist das, was ich von mir verlange und von allen, die der Universität angehören, von den Mitarbeitern, von den Professoren wie von den Studierenden."
(kpa)
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