Hochschulverband: Nicht wenige promovieren nur aus Eitelkeit
Unter den rund 25.000 Dissertation, die jährlich geschrieben würden, befänden sich nicht wenige, "die doch letztlich nur dem Befriedigen von individuellen Eitelkeiten dienen", sagt der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen.
Ulrike Timm: Im Sekundentakt trugen sich Studenten, Doktoranden und Professoren in einer Onlineliste ein, in der sie der Bundeskanzlerin ihre Sorge übermitteln, dass der Wissenschaftsstandort Deutschland Schaden nehme durch die Plagiatsaffäre Guttenberg. Mehr als 60.000 Unterschriften kamen bis gestern zusammen, und auch für gestandene Professoren geht es nicht mehr um ärgerliche bis unverzeihliche Fehler, sondern es geht um Kopie, um Täuschung, also letztlich um Betrug. "Rechtstreue ist doch nichts Elitäres", so titelt heute das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" mit Blick auf die, die immer noch eine aufgebauschte Affäre im Elfenbeinturm vermuten. Wir sprechen darüber mit dem Vorsitzenden des Deutschen Hochschulverbandes, mit dem Juristen Professor Bernhard Kempen. Schönen guten Morgen!
Bernhard Kempen: Guten Morgen!
Timm: Herr Kempen, ist nach dem Rücktritt also noch nicht alles wieder gut?
Kempen: Nein, es ist noch nicht alles wieder gut, Frau Timm, es wäre ja schlimm, wenn wir jetzt einfach zur Tagesordnung übergingen und so täten, als wäre nun durch diesen Rücktritt jedes Problem gelöst. Das ist es nicht, und zwar in zweierlei Hinsichten: Einmal, weil das Verhältnis zur Politik und zur Gesellschaft vielleicht doch noch mal einen neuen Reflexionsprozess verdient, aber auch, weil wir unsere Hausaufgaben in den Hochschulen vielleicht noch ein bisschen besser machen müssen.
Timm: Der Brief der Wissenschaftler an die Kanzlerin, unterzeichnet von mehr als 3000 Professoren, spricht sein Bedauern darüber aus, dass die Uni Bayreuth die Aberkennung des Titels nicht mit vorsätzlicher Täuschung begründet hat. Ist das möglicherweise ein Gewinn in diesem ganzen Desaster, dass die Grenzen zwischen einem Fehler und einer Täuschung jetzt noch mal ganz genau austariert werden müssen?
Kempen: Also da werden wir jetzt mal abwarten müssen, was die Universität Bayreuth dazu herausfinden wird. Es wird ja wahrscheinlich doch etwas schwierig sein bei der Fülle von Fehlzitaten und plagiierten Stellen, dann, wie soll man sagen, zu der Schlussfolgerung zu kommen, dass es sich nicht um eine bewusste Täuschung gehandelt hat. Aber ich will nun wirklich nicht den Kollegen in Bayreuth vorgreifen, die ich um ihre Arbeit nicht beneide.
Timm: Nein, aber Copy und Paste müssen wir nicht mehr diskutieren, das kann sich jeder im Internet anschauen.
Kempen: Nein, Copy und Paste ist klar, das kann sich wirklich jeder im Internet anschauen, aber es geht ja nun um die Frage, ob das sozusagen versehentlich, aus Unübersicht über die Quellen da reingeraten ist in den Text, oder ob da nicht doch eine Absicht dahintersteckt. Und wie gesagt, bei der Fülle wird es wohl ein bisschen schwierig sein, da absichtslose Fehler zu unterstellen.
Timm: Das Versehen wäre dann ja auch seitenweises Abschreiben aus Zeitungen. Das ist schon ziemlich tolldreist und bestimmt eine Ausnahme, aber muss sich die Wissenschaft nicht selbst fragen, wie schmal der Grat geworden ist zwischen Eigen- und Fremdleistung und damit auch zwischen unbedachtem kleinen Fehler und Täuschung? Muss die Wissenschaft sich solchen Fragen nicht verstärkt stellen? Sie hat sich ja reinlegen lassen.
Kempen: Na klar müssen wir uns dieser Frage stellen. Nun ist das Thema allerdings nicht ganz neu, sondern wir haben, seitdem wir die Internetkultur eben auch in der Wissenschaft haben, vermehrt das Problem, dass wir mit Plagiaten zu kämpfen haben. Das ist ja nicht nur bei Doktorarbeiten, sondern das fängt schon bei den Haus- und Seminararbeiten unserer Studierenden an. Und da wissen wir nun schon seit einiger Zeit, was los ist, und arbeiten da auch mit verschiedenen Instrumenten, um dieses Problem zu beheben. Zu den Instrumenten gehört, dass wir die Studierenden schon sehr früh, in den allerersten Semestern dafür sensibilisieren, was eigentlich wissenschaftliches Fehlverhalten ist und was das bedeutet, aber auch, dass wir uns untereinander in der Kollegenschaft sensibilisieren dafür, wie man Lug und Trug auf die Schliche kommt und wie man das entdecken kann. Nun ist da immer noch an vielen Orten ein Aufklärungs- und Informationsbedarf, das Problem ist einerseits schon einige Jahre alt, andererseits aber auch nicht schon mit einer jahrzehntelangen Tradition versehen, sodass wir da also noch viel an Aufklärungs- und Informationsarbeit vor uns haben.
Timm: Nun gibt es jedes Jahr über 20.000 Dissertationen. Haben Sie eine Übersicht, wie viel Plagiate Sie da so finden?
Kempen: Die habe ich leider nicht, darüber wird keine bundesweite Statistik geführt und das dürfte auch einigermaßen schwer sein, das auf eine Zahl zu bringen, sondern wir sind alle auf Mutmaßungen angewiesen. Aber ich kann Ihnen etwas versichern: Die ganz, ganz große Mehrzahl der Dissertationen, die auf dem Tisch liegen, sind fehlerfrei, da sind keine Plagiate drin. Da mag es sein, dass mal ein, zwei Fehlzitate drin sind, bei einer Arbeit von 300, 400 Seiten dürfte das aber wohl nicht ein Problem sein. Das Problem ist, wenn es massenhaft ist, wenn dahinter eine Methode steckt. Aber noch mal, ich muss das zum Schutz all derjenigen sagen, die ganz redlich und ehrlich und fleißig ihren akademischen Grade erworben haben: Hier wird richtig und lauter und ehrlich gearbeitet und nicht unehrlich.
Timm: Die Doktoranden, die den Aufstand probten mit dieser Unterschriftenliste, die wollten sich ja zuletzt auch selber schützen und verwahren sich dagegen, dass man nicht mehr genau trennt zwischen ehrlicher und unehrlicher Arbeit aus schlicht politischen Gründen. Sind Sie stolz auf diese Doktoranden?
Kempen: Na, stolz ist vielleicht das falsche Wort, aber ich muss sagen, ich konnte das sehr gut verstehen, dass jemand auch stinksauer ist, der wirklich über Jahre fleißig an seiner Qualifikationsarbeit sitzt, wenn der dann erleben muss, dass hier ein dreistes Plagiat vorliegt und dann tatsächlich, jedenfalls für einige Stunden und Tage, der Eindruck entstehen musste, man geht da zur Tagesordnung über und man tut so, als sei das alles nur eine lässliche Sünde, ein kleines Kavaliersdelikt, was eigentlich nicht weiter der Rede wert ist. Da kann ich schon verstehen, dass diejenigen, die hier an den Hochschulen arbeiten, sauer sind.
Timm: Meint Professor Bernhard Kempen, der Vorsitzende des Deutschen Hochschulverbandes, hier im Deutschlandradio Kultur. Herr Kempen, es gab ja anfangs von beiden Seiten, später ausschließlich vonseiten der Union Bemühungen, Wissenschaft und Politik strikt zu trennen. Es hat sich rausgestellt: Das ist gar nicht möglich. Politik braucht Experten, die kommen aus der Wissenschaft. Die Bundeskanzlerin hat einen der renommiertesten Wissenschaftler als Partner, ich hätte in den vergangenen Tagen ja gerne mal am Frühstückstisch gelauscht, was man da spricht. Politik und Wissenschaft sind verschwistert. Das nicht zu begreifen, ist wohl eine schlichte Illusion, oder?
Kempen: Das ist ganz sicher eine Illusion. Dieses Land und auch seine politische Szene braucht Wissenschaftler, die frei und unabhängig und neutral nach wissenschaftlicher Erkenntnis suchen und diese Erkenntnis auch in die Gesellschaft und das politische System einspeisen. Wenn wir darauf verzichten würden, wenn wir da so täten, als wäre das nur so eine Art folkloristisches Beiwerk, dann würden wir, glaube ich, einen gewaltigen Rückschritt in diesem Land erleben.
Timm: Und wie lädiert ist der Ruf, zum Beispiel im Ausland?
Kempen: Ich hoffe, dass er nicht wirklich lädiert ist, sondern dass man auch im Ausland wahrnimmt, dass ja nun, nachdem der Doktorgrad entzogen, das Amt verloren ist, dass man nun doch registriert, dass bei uns Mechanismen am Werk sind, die immerhin noch funktionieren. Es sah nur zwischenzeitlich, für ein paar Stunden, für ein paar Tage so aus, als würden wir da einen ganz gewaltigen Fehler machen, und ich denke mal, dass dieser schlimmste Schaden abgewendet werden konnte.
Timm: Ich meinte jetzt auch gar nicht die Konzentration auf den Fall zu Guttenberg, sondern den Blick auf die deutsche Wissenschaft ganz generell, wo ja immerhin jedes Jahr 20.000 Dissertationen entstehen. Vielleicht sind das auch zu viele?
Kempen: Ich weiß nicht, ob das wirklich zu viele sind. Wir haben zwei Millionen Studierende, und wenn Sie sich jetzt mal vorstellen, dass wir dann 20.000, es sind übrigens mehr, es sind wahrscheinlich 25.000 Dissertationen pro Jahr, die wir hier abschließen, dann glaube ich gar nicht, dass es zu viel ist, sondern dieses Land braucht ja auch höchst qualifizierte Akademiker, die werden händeringend in einigen Bereichen gesucht, und von daher verstehe ich schon, dass wir diese Zahl haben. Was schlecht ist, das will ich Ihnen ganz offen sagen, dass unter diesen Promotionen eben nicht wenige sind, die doch letztlich nur dem Befriedigen von individuellen Eitelkeiten dienen, und da müssen wir vielleicht noch mal ein bisschen nachhaken und überlegen: Welche Motive führen denn eigentlich zur Promotion? Aber ich will noch mal sagen, dass ich den allermeisten, die ein schwieriges Promotionsverfahren beginnen, unterstellen darf, dass sie das aus ehrlicher, wissenschaftlicher Neugier tun.
Timm: Heute ist ein wichtiger Tag für alle Wissenschaftler, Professor Kempen, heute wird gesprochen über die Exzellenzinitiative, welche Hochschulen besonders qualifiziert sind, besondere Unterstützung bekommen für ihre qualifiziertesten Studenten. Führt sich diese Diskussion jetzt leichter nach dem Rücktritt?
Kempen: Das weiß ich nicht. Die Exzellenzinitiative hat ja nun schon einige Jahre Vorlauf. Wir sind alle froh, dass es diese Exzellenzinitiative als ein Mammutprogramm des Bundes gibt, um den Wettbewerb in der Wissenschaft zu beflügeln, und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Causa Guttenberg jetzt in der Fortsetzung der Exzellenzinitiative nicht wirklich eine Rolle spielen wird.
Timm: Aber es wird eben genau heute besprochen, am Tag nach dem Rücktritt. Ich stelle mir vor, wenn der nicht stattgefunden hätte, wäre das schon ein wenig seltsam gewesen.
Kempen: Dann wäre es vielleicht ein bisschen seltsam gewesen, also man kann sich ja den Kopf gar nicht so schnell freimachen von diesen Vorgängen, das stimmt schon. Auf der anderen Seite werden diejenigen, die hier Verantwortung haben und hier Entscheidungen treffen, die werden wissen, dass es um weitaus mehr geht als den Fall Guttenberg.
Timm: Ist der Rücktritt von zu Guttenberg denn nun ein Sieg für die Wissenschaft? Darüber sprach ich mit dem Vorsitzenden des Deutschen Hochschulverbandes, mit dem Juristen Professor Bernhard Kempen. Ich danke Ihnen fürs Gespräch!
Kempen: Gern geschehen!
Bernhard Kempen: Guten Morgen!
Timm: Herr Kempen, ist nach dem Rücktritt also noch nicht alles wieder gut?
Kempen: Nein, es ist noch nicht alles wieder gut, Frau Timm, es wäre ja schlimm, wenn wir jetzt einfach zur Tagesordnung übergingen und so täten, als wäre nun durch diesen Rücktritt jedes Problem gelöst. Das ist es nicht, und zwar in zweierlei Hinsichten: Einmal, weil das Verhältnis zur Politik und zur Gesellschaft vielleicht doch noch mal einen neuen Reflexionsprozess verdient, aber auch, weil wir unsere Hausaufgaben in den Hochschulen vielleicht noch ein bisschen besser machen müssen.
Timm: Der Brief der Wissenschaftler an die Kanzlerin, unterzeichnet von mehr als 3000 Professoren, spricht sein Bedauern darüber aus, dass die Uni Bayreuth die Aberkennung des Titels nicht mit vorsätzlicher Täuschung begründet hat. Ist das möglicherweise ein Gewinn in diesem ganzen Desaster, dass die Grenzen zwischen einem Fehler und einer Täuschung jetzt noch mal ganz genau austariert werden müssen?
Kempen: Also da werden wir jetzt mal abwarten müssen, was die Universität Bayreuth dazu herausfinden wird. Es wird ja wahrscheinlich doch etwas schwierig sein bei der Fülle von Fehlzitaten und plagiierten Stellen, dann, wie soll man sagen, zu der Schlussfolgerung zu kommen, dass es sich nicht um eine bewusste Täuschung gehandelt hat. Aber ich will nun wirklich nicht den Kollegen in Bayreuth vorgreifen, die ich um ihre Arbeit nicht beneide.
Timm: Nein, aber Copy und Paste müssen wir nicht mehr diskutieren, das kann sich jeder im Internet anschauen.
Kempen: Nein, Copy und Paste ist klar, das kann sich wirklich jeder im Internet anschauen, aber es geht ja nun um die Frage, ob das sozusagen versehentlich, aus Unübersicht über die Quellen da reingeraten ist in den Text, oder ob da nicht doch eine Absicht dahintersteckt. Und wie gesagt, bei der Fülle wird es wohl ein bisschen schwierig sein, da absichtslose Fehler zu unterstellen.
Timm: Das Versehen wäre dann ja auch seitenweises Abschreiben aus Zeitungen. Das ist schon ziemlich tolldreist und bestimmt eine Ausnahme, aber muss sich die Wissenschaft nicht selbst fragen, wie schmal der Grat geworden ist zwischen Eigen- und Fremdleistung und damit auch zwischen unbedachtem kleinen Fehler und Täuschung? Muss die Wissenschaft sich solchen Fragen nicht verstärkt stellen? Sie hat sich ja reinlegen lassen.
Kempen: Na klar müssen wir uns dieser Frage stellen. Nun ist das Thema allerdings nicht ganz neu, sondern wir haben, seitdem wir die Internetkultur eben auch in der Wissenschaft haben, vermehrt das Problem, dass wir mit Plagiaten zu kämpfen haben. Das ist ja nicht nur bei Doktorarbeiten, sondern das fängt schon bei den Haus- und Seminararbeiten unserer Studierenden an. Und da wissen wir nun schon seit einiger Zeit, was los ist, und arbeiten da auch mit verschiedenen Instrumenten, um dieses Problem zu beheben. Zu den Instrumenten gehört, dass wir die Studierenden schon sehr früh, in den allerersten Semestern dafür sensibilisieren, was eigentlich wissenschaftliches Fehlverhalten ist und was das bedeutet, aber auch, dass wir uns untereinander in der Kollegenschaft sensibilisieren dafür, wie man Lug und Trug auf die Schliche kommt und wie man das entdecken kann. Nun ist da immer noch an vielen Orten ein Aufklärungs- und Informationsbedarf, das Problem ist einerseits schon einige Jahre alt, andererseits aber auch nicht schon mit einer jahrzehntelangen Tradition versehen, sodass wir da also noch viel an Aufklärungs- und Informationsarbeit vor uns haben.
Timm: Nun gibt es jedes Jahr über 20.000 Dissertationen. Haben Sie eine Übersicht, wie viel Plagiate Sie da so finden?
Kempen: Die habe ich leider nicht, darüber wird keine bundesweite Statistik geführt und das dürfte auch einigermaßen schwer sein, das auf eine Zahl zu bringen, sondern wir sind alle auf Mutmaßungen angewiesen. Aber ich kann Ihnen etwas versichern: Die ganz, ganz große Mehrzahl der Dissertationen, die auf dem Tisch liegen, sind fehlerfrei, da sind keine Plagiate drin. Da mag es sein, dass mal ein, zwei Fehlzitate drin sind, bei einer Arbeit von 300, 400 Seiten dürfte das aber wohl nicht ein Problem sein. Das Problem ist, wenn es massenhaft ist, wenn dahinter eine Methode steckt. Aber noch mal, ich muss das zum Schutz all derjenigen sagen, die ganz redlich und ehrlich und fleißig ihren akademischen Grade erworben haben: Hier wird richtig und lauter und ehrlich gearbeitet und nicht unehrlich.
Timm: Die Doktoranden, die den Aufstand probten mit dieser Unterschriftenliste, die wollten sich ja zuletzt auch selber schützen und verwahren sich dagegen, dass man nicht mehr genau trennt zwischen ehrlicher und unehrlicher Arbeit aus schlicht politischen Gründen. Sind Sie stolz auf diese Doktoranden?
Kempen: Na, stolz ist vielleicht das falsche Wort, aber ich muss sagen, ich konnte das sehr gut verstehen, dass jemand auch stinksauer ist, der wirklich über Jahre fleißig an seiner Qualifikationsarbeit sitzt, wenn der dann erleben muss, dass hier ein dreistes Plagiat vorliegt und dann tatsächlich, jedenfalls für einige Stunden und Tage, der Eindruck entstehen musste, man geht da zur Tagesordnung über und man tut so, als sei das alles nur eine lässliche Sünde, ein kleines Kavaliersdelikt, was eigentlich nicht weiter der Rede wert ist. Da kann ich schon verstehen, dass diejenigen, die hier an den Hochschulen arbeiten, sauer sind.
Timm: Meint Professor Bernhard Kempen, der Vorsitzende des Deutschen Hochschulverbandes, hier im Deutschlandradio Kultur. Herr Kempen, es gab ja anfangs von beiden Seiten, später ausschließlich vonseiten der Union Bemühungen, Wissenschaft und Politik strikt zu trennen. Es hat sich rausgestellt: Das ist gar nicht möglich. Politik braucht Experten, die kommen aus der Wissenschaft. Die Bundeskanzlerin hat einen der renommiertesten Wissenschaftler als Partner, ich hätte in den vergangenen Tagen ja gerne mal am Frühstückstisch gelauscht, was man da spricht. Politik und Wissenschaft sind verschwistert. Das nicht zu begreifen, ist wohl eine schlichte Illusion, oder?
Kempen: Das ist ganz sicher eine Illusion. Dieses Land und auch seine politische Szene braucht Wissenschaftler, die frei und unabhängig und neutral nach wissenschaftlicher Erkenntnis suchen und diese Erkenntnis auch in die Gesellschaft und das politische System einspeisen. Wenn wir darauf verzichten würden, wenn wir da so täten, als wäre das nur so eine Art folkloristisches Beiwerk, dann würden wir, glaube ich, einen gewaltigen Rückschritt in diesem Land erleben.
Timm: Und wie lädiert ist der Ruf, zum Beispiel im Ausland?
Kempen: Ich hoffe, dass er nicht wirklich lädiert ist, sondern dass man auch im Ausland wahrnimmt, dass ja nun, nachdem der Doktorgrad entzogen, das Amt verloren ist, dass man nun doch registriert, dass bei uns Mechanismen am Werk sind, die immerhin noch funktionieren. Es sah nur zwischenzeitlich, für ein paar Stunden, für ein paar Tage so aus, als würden wir da einen ganz gewaltigen Fehler machen, und ich denke mal, dass dieser schlimmste Schaden abgewendet werden konnte.
Timm: Ich meinte jetzt auch gar nicht die Konzentration auf den Fall zu Guttenberg, sondern den Blick auf die deutsche Wissenschaft ganz generell, wo ja immerhin jedes Jahr 20.000 Dissertationen entstehen. Vielleicht sind das auch zu viele?
Kempen: Ich weiß nicht, ob das wirklich zu viele sind. Wir haben zwei Millionen Studierende, und wenn Sie sich jetzt mal vorstellen, dass wir dann 20.000, es sind übrigens mehr, es sind wahrscheinlich 25.000 Dissertationen pro Jahr, die wir hier abschließen, dann glaube ich gar nicht, dass es zu viel ist, sondern dieses Land braucht ja auch höchst qualifizierte Akademiker, die werden händeringend in einigen Bereichen gesucht, und von daher verstehe ich schon, dass wir diese Zahl haben. Was schlecht ist, das will ich Ihnen ganz offen sagen, dass unter diesen Promotionen eben nicht wenige sind, die doch letztlich nur dem Befriedigen von individuellen Eitelkeiten dienen, und da müssen wir vielleicht noch mal ein bisschen nachhaken und überlegen: Welche Motive führen denn eigentlich zur Promotion? Aber ich will noch mal sagen, dass ich den allermeisten, die ein schwieriges Promotionsverfahren beginnen, unterstellen darf, dass sie das aus ehrlicher, wissenschaftlicher Neugier tun.
Timm: Heute ist ein wichtiger Tag für alle Wissenschaftler, Professor Kempen, heute wird gesprochen über die Exzellenzinitiative, welche Hochschulen besonders qualifiziert sind, besondere Unterstützung bekommen für ihre qualifiziertesten Studenten. Führt sich diese Diskussion jetzt leichter nach dem Rücktritt?
Kempen: Das weiß ich nicht. Die Exzellenzinitiative hat ja nun schon einige Jahre Vorlauf. Wir sind alle froh, dass es diese Exzellenzinitiative als ein Mammutprogramm des Bundes gibt, um den Wettbewerb in der Wissenschaft zu beflügeln, und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Causa Guttenberg jetzt in der Fortsetzung der Exzellenzinitiative nicht wirklich eine Rolle spielen wird.
Timm: Aber es wird eben genau heute besprochen, am Tag nach dem Rücktritt. Ich stelle mir vor, wenn der nicht stattgefunden hätte, wäre das schon ein wenig seltsam gewesen.
Kempen: Dann wäre es vielleicht ein bisschen seltsam gewesen, also man kann sich ja den Kopf gar nicht so schnell freimachen von diesen Vorgängen, das stimmt schon. Auf der anderen Seite werden diejenigen, die hier Verantwortung haben und hier Entscheidungen treffen, die werden wissen, dass es um weitaus mehr geht als den Fall Guttenberg.
Timm: Ist der Rücktritt von zu Guttenberg denn nun ein Sieg für die Wissenschaft? Darüber sprach ich mit dem Vorsitzenden des Deutschen Hochschulverbandes, mit dem Juristen Professor Bernhard Kempen. Ich danke Ihnen fürs Gespräch!
Kempen: Gern geschehen!