Hochschulen

Online-Tests zur Studienfachwahl "nützen nicht viel"

Außenansicht eines Universitätsgebäudes bei Nacht mit hellerleuchteten Fenstern, im Vordergrund der Schriftzug "Universität".
Studieren ja - nur was? Online-Selbsttests sollen Studienbewerbern die Entscheidung erleichtern © dpa / Jens Wolf
Moderation: Nana Brink · 06.09.2014
Hochschulen setzen verstärkt auf Online-Tests, mit denen angehende Studierende sich über ihr Studienfach klar werden können. Volker Meyer-Guckel vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft warnt: Die meisten dieser Tests taugen nicht viel.
Nana Brink: Vielleicht bräuchte man wirklich so ein antikes Orakel, um herauszufinden als junger Mensch, der gerade die Hochschulreife erlangt hat: Was bloß soll ich studieren? In wenigen Wochen beginnt das neue Semester, und beileibe noch nicht alle sind entschieden oder wechseln vielleicht schon nach dem ersten Semester das Fach oder geben ganz auf.
Ein Drittel aller Bachelorstudenten tun das, oder sie geben ganz auf, wie gesagt. Wie also schafft man es, das richtige Fach zu wählen? Immer mehr Universitäten setzen nun auf Online-Tests, salopp vielleicht vergleichbar mit einem Wahl-O-Mat, um den Studenten die Qual der Wahl zu erleichtern. Das geht dann um Interessen und Talente, oder auch ganz konkret um Kenntnisse, zum Beispiel in Mathe oder Deutsch.
Diese Online-Tests wiederum hat Volker Meyer-Guckel schon mal getestet. Er ist stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Guten Morgen, Herr Meyer-Guckel!
Volker Meyer-Guckel: Schönen guten Morgen!
Brink: Was haben Sie denn genau getestet?
Meyer-Guckel: Wir haben uns mal stichprobenartig diejenigen Online-Tests angeschaut, die so allgemein zur Verfügung stehen, sechs davon, und zwar zwei Kategorien: Das eine sind reine Interessens-Tests, die sind also relativ einfach aufgebaut und strukturiert, dauern auch nicht lange in der Bearbeitung, also nach 10, 15 Minuten bekommen Sie schon eine Rückmeldung, und dann gibt es Tests, die Interessens-Tests und Fähigkeitstests miteinander kombinieren, also durchaus komplexere Sachen, wo Sie schon mal zweieinhalb Stunden brauchen, um so einen Test zu durchlaufen und dann eine, ja, hoffentlich qualifizierte Rückmeldung bekommen. Das ist jedenfalls das, was diese Tests auch versprechen.
Brink: So, und wenn Sie jetzt einen Strich darunter machen - wie kommt das an? Was ist Ihr Urteil?
Ein bisschen ernüchternd
Meyer-Guckel: Ja, das Urteil ist ein bisschen ernüchternd. Also zunächst mal gibt es eigentlich in der Qualität der Rückmeldung gar keinen großen Unterschied zwischen den Tests, die nicht so lange dauern, und den Tests, die relativ differenzierte Fragen stellen.
Aber vor allen Dingen für diejenigen, die wirklich noch keine genaue Vorstellung haben, wo eigentlich die Reise hingehen soll, wird es teilweise unübersichtlich in den Empfehlungen bis kurios. Also wenn Sie ein relativ klares Profil haben, wenn Sie sagen, mich interessiert Mathematik, mich interessiert die Technik, dann, kann man sagen, sind die Ergebnisse ganz brauchbar.
Wenn Sie aber sagen, ich habe dieses und jenes Interessens-Feld und möchte mal schauen, was gibt es da, dann bekommen Sie wahrscheinlich ähnlich - Sie haben es ja schon gesagt - wie beim Wahl-O-Mat eine ganze Reihe von Paletten.
Brink: Aber eigentlich sind doch genau für diese Leute diese Tests da, oder habe ich das missverstanden?
Meyer-Guckel: Ja, das ist genau richtig. Aber da haben Sie halt nicht die Tiefe und die Qualität, um dann tatsächlich Interessen und Eignung wirklich übereinanderzubringen. Also ich gebe Ihnen mal ein Beispiel.
Es gab da wirklich skurrile Ergebnisse. Wenn jemand beim Thema technisch-praktisches Interesse zwei von 100 möglichen Punkten erreicht und dann die Empfehlung bekommt, Maschinenbau zu studieren, das ist schon ein bisschen grotesk.
Oder wenn Sie in Ihrem Fähigkeitstest zwar gute Ergebnisse zum sprachlichen Denken oder Textverständnis haben, aber drei Mal im Test darauf hinweisen, dass Sie auf keinen Fall sich mit Literatur beschäftigen wollen, und als Ergebnis dann Sprach- und Literaturwissenschaft bekommen, dann zeigt das, dass Interessen und Eignung nicht immer durch die Ergebnisse dann zur Deckung gebracht werden.
Brink: Da fragt man sich ja schon ein bisschen, wer diese Tests entwickelt hat. Was ist denn da nicht präzise genug formuliert worden oder was bleibt auf der Strecke?
"Know-how besteht in Deutschland vielleicht an zwei, drei, vier Standorten"
Meyer-Guckel: Ja, zunächst muss man ja mal sagen, dass es äußerst wissenschaftlich herausfordernd ist, valide, psychometrisch valide Tests zu entwickeln, die tatsächlich dann auch qualifizierte Aussagen über Ihre Fähigkeiten und Ihre Interessen geben.
Dieses wissenschaftliche Know-how besteht in Deutschland vielleicht an zwei, drei, vier Standorten überhaupt, akademischen Standorten. Jetzt gibt es aber allein im Qualitätspakt Lehre 30 Projekte an 30 Hochschulen, die allesamt Self-Assessment-Tests entwickeln.
Also man kann zunächst mal die Frage stellen: Muss das eigentlich an jedem Ort neu erfunden werden, oder sollte man nicht die Standorte auswählen, wo das Know-how vorhanden ist und dann denen den Auftrag geben, ein zentrales Portal für die ganze Republik aufzumachen, was wirklich differenziert ist, was wirklich aufwendig produziert ist, aber dann auch tatsächlich Orientierung schafft, Eignung valide überprüft, und dann auch sofort - und das ist der ganz wichtige Schritt - deutlich macht, hier sind die Grenzen des Tests, jetzt musst du in Beratung gehen, und da sind jetzt Kontaktstellen, die wir dir nennen können?
Brink: Aber ich frage mich jetzt, gerade, als Sie das so erklärt haben: Die Universitäten müssen doch ein Interesse daran haben, dass die Studenten relativ frühzeitig wissen, was sie studieren, dass sie nicht wahllos studieren, nicht abbrechen. Warum kann man sich auf so etwas nicht verständigen?
Meyer-Guckel: Na ja, weil natürlich viele Studierende, viele Universitäten jetzt diese Tests auch ein bisschen als Marketing-Instrument nutzen. Also wir haben zum Beispiel eine große deutsche technische Universität, die einen ziemlich ausgefeilten Test anbietet, untersucht, die natürlich zu 90 Prozent im Studienangebot technische Studiengänge hat.
Wenn Sie nun aber da mit einem relativ unspezifischen Interessens-Mix rangehen und eigentlich technisch-praktisches Interesse so eher in den Hintergrund schieben, bekommen Sie automatisch trotzdem die Studiengänge dieser Universität angeboten, weil das natürlich auch ein Bindungs- und Marketing-Instrument ist. Also die Universität sagt Ihnen dann nicht, bei uns bist du eigentlich falsch, weil du eigentlich ein anderes Interessens-Spektrum hast, sondern die sagt, also du kannst zwar keine Technik, aber wir haben dann ja auch noch Lehramt, dann gehe doch dahin.
Also eigentlich müsste der Test tatsächlich ein Netzwerk von Hochschulen umfassen, das gibt es ja auch schon, in Baden-Württemberg werden solche Tests ja landesweit angeboten, auch in Nordrhein-Westfalen. Aber das könnte man, glaube ich, bundesweit viel besser hinbekommen und dann eine modular ergänzte Testbatterie entwickeln.
Brink: Also ich sehe schon, Sie geben den Universitäten ein paar Hausaufgaben auf. Noch mal die Frage: Sind denn diese Tests wirklich richtig wichtig für die Entscheidung für ein bestimmtes Fach?
Meyer-Guckel: Ich glaube, wenn Sie wirklich Orientierung suchen, nützen sie Ihnen nicht viel. Aber es kann natürlich ein Kommunikationsanlass sein, ein Gesprächsanlass, mit dem Sie dann in Konstellationen gehen, die Beratung wirklich offerieren, also in Beratungsstellen an Hochschulen, mit Ihren Eltern.
Mit Kommilitonen reden
Was ich immer empfehle, ist, mit Kommilitonen, also Leuten, die schon relativ weit fortgeschritten im Studium sind, auf dem Campus zu reden und zu fragen: Wie ist das denn hier? Wie sind deine Berufschancen? Fühlst du dich gut aufgehoben hier? Das sind eigentlich die validesten Aussagen, die man so zu einem Hochschulprofil bekommen kann.
Brink: Also können sie eine persönliche Beratung nicht ersetzen?
Meyer-Guckel: Auf keinen Fall! Und das ist eben auch ein Trugschluss. Wenn die Politik jetzt glaubt, durch technische Verfahren persönliche Beratung ersetzen zu können preisgünstig, dann ist das ein Trugschluss. Wir brauchen mehr Berater, vor allen Dingen auch schon in den Schulen.
Wir brauchen eigentlich eine neue Profession von Übergangsberatern, die sich auch als Profession weiterentwickelt, also nicht Lehrer, die mal irgendwas von Fachhochschule gehört haben, sondern Leute, die sich wirklich mit dem Berufsfeld beschäftigen, auch psychometrisch geschult sind, und dann funktioniert das.
Brink: Volker Meyer-Guckel, stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Haben Sie Dank für das Gespräch!
Meyer-Guckel: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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