Hochhaus unterm Hammer

Von Andrea Lueg · 25.04.2013
In den 1970er-Jahren war der Hochhaus-Riegel im Kölner Stadtteil Chorweiler die größte Plattenbausiedlung in Nordrhein-Westfalen. Mehr als 1000 Wohnungen sollen nun versteigert werden. Die Zukunft der "Wohnsilos" liegt in den Händen der neuen Besitzer.
"Es gab damals geteilte Meinungen. Ich kann mich noch erinnern, als es gebaut wurde, da fuhr man hier mal hin, um zu staunen, was denn hier so entstehen würde, aber es war schon klar, dass die meisten Leute so eine Hochhaussiedlung nicht unbedingt goutiert haben."

Bezirksbürgermeisterin Cornelie Wittsack-Junge schaut aus ihrem Bürofenster direkt in das Ensemble aus Hochhäusern am Pariser Platz, das Zentrum des Stadtteils Chorweiler im Kölner Norden. Viel Beton, in bis zu 23 Stockwerken aufeinander geschichtet, viele versiegelte Flächen, ein paar Parkbänke, einige Bäume.

Als die Häuser mit den gleichförmigen Fassaden im einheitlichen Grau entstanden, war bezahlbarer Wohnraum für alle das Ziel – mit eigenem Bad und WC. In den 70er Jahren baute die gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat hier. Anfangs sollten 100.000 Bewohner Platz finden, gebaut wurde schließlich für 40.000 und es entstand Nordrhein-Westfalens größte Plattenbau-Siedlung. Damals hochmodern.

Carolin Riedel: "Absolut! Das war die Idee der neuen Stadt. Fritz Schumacher hatte diese Idee schon weit früher in den 20er Jahren und die wurde hier wieder aufgegriffen, um natürlich auch einen attraktiven Wohnraum zu schaffen, und das war absolut oberer Standard. Es war noch lange nicht, obwohl wir Anfang der 70er Jahre waren, Standard, dass jede Wohnung eine eigene Küche hat und ein eigenes Bad, das war absolut eine gute Wohngegend."

Von Chorweiler existieren alte Postkarten, darauf die neu gebauten Hochhäuser - man war stolz auf die Skyline im Norden. Die Architekten und Hans-Peter Höhn haben sich mit Chorweiler ganz intensiv beschäftigt, denn in ihrer Masterarbeit entwickelten sie einen Masterplan für die Weiterentwicklung des Stadtteils. Dazu gehörte erst mal die Problemanalyse des Stadtteils, in dessen Zentrum heute 7000 Menschen aus 115 Nationen auf gerade mal 0,8 Quadratkilometern leben.

Hans-Peter Höhn: "Es ist nicht die Höhe, das kann ja durchaus auch attraktiv sein. Es ist eine Architektur, die den Menschen keine Möglichkeit zur Identifikation bietet. Man möchte das Gefühl haben: das ist meine Wohnung. Aber wenn ich ne Fassade habe, die völlig gleich ist von oben bis unten, das entspricht nicht mehr unserem Bild heute."

Wer vor einer der Fassaden steht, muss von außen abzählen: fünfte Reihe von unten, drittes Fenster von rechts: da ist mein Wohnzimmer. Einheitlichkeit, Ordnung, Sauberkeit, das waren damals die Maximen für modernen Wohnungsbau. Individualität? Fehlanzeige. Erst mal ging es um Wohnraum für alle.

Riedel: "Man kann alles problemlos abspritzen, Verunreinigungen entfernen, auch die Renovierungsarbeiten, die stattgefunden haben, sind anhand von Warzenblech, abwaschbaren Anstrichen, es ist alles schon so ausgelegt für eine Bevölkerungsstruktur, die sich mit ihrem Wohnraum nicht identifiziert."

Die großen Wohnungsprojekte waren in den 70er Jahren verbreitet, fast jede große deutsche Stadt hat eine solche Siedlung. Oft werden sie Trabantenstädte genannt, weil sie meistens am Rand der gewachsenen städtischen Strukturen liegen.

"Was sich allerdings in Chorweiler schneller verändert hat als in anderen vergleichbaren Großwohnsiedlungen. In Chorweiler fingen die Probleme relativ früh nach der Fertigstellung an."

Das hatte zum einen damit zu tun, dass das ursprüngliche Konzept nicht zu Ende umgesetzt wurde. Statt einer Mischung aus Wohnungen und Büroetagen entstanden nur Wohnungen. Man stellte sich vor, die Bewohner würden zum Beispiel bei den Ford-Werken im nahe gelegenen Merkenich arbeiten. Doch rasch setzte eine Entwicklung ein, infolge der jeder, der es sich leisten konnte, lieber in einem sanierten Altbau oder einem kleineren modernen Mietshaus in der Innenstadt leben wollte. Mit fünf bis sechs Euro Quadratmeterpreis ist Chorweiler heute Billigwohnraum. In der Stadt zahlt man das doppelte, obwohl die Trabantenstadt mit U- und S-Bahn hervorragend angebunden ist.

Abstieg der Neuen Heimat
Nach der Pleite der Neuen Heimat, die die Hochhäuser gebaut hatte, ging es für den Zustand vieler Wohnungen nur noch bergab, erzählt Bürgermeisterin Wittsack-Junge.

"Also, in den ersten Jahren ging es noch, da habe ich auch Aussagen von ehemaligen Bewohnern, da gab es auch noch einen Hausmeisterservice und es wurden kleinere Reparaturen sofort ausgeführt, aber 1989 hat die LEG das ja überführt an den Privatinvestor. Und von da an ging es steil bergab, weil nur noch die Gewinne rausgezogen worden sind. Und seit ich hier in der Bezirksvertretung bin, höre ich eigentlich immer nur die Klage über den Zustand der Häuser."

Sanierungsstau bei vielen Häusern. Sibylle Michel wohnt im achten Stock eines solchen Hauses an der Stockholmer Allee. Sie hat es sich nett gemacht in ihrem Zuhause - die Zimmer sind hell, der Ausblick ist fantastisch und auf dem Balkon lassen sich warme Sommerabende genießen. Erst auf den zweiten Blick werden die Mängel sichtbar.

"Die diversen Rohrbrüche … also alle paar Jahre gibt es hier einen Rohrbruch. Und egal , in welcher Etage dieser Rohrbruch stattfindet, die gehen natürlich durchs Haus, überall wird die Wand feucht. Das war bei mir auch oft gewesen, zum Beispiel dass die Steckdosen dann anfangen zu britzeln."

Schöner Ausblick und Schimmel
Schon längst hätten viele Leitungen erneuert werden müssen. Und manche Mängel gibt es auch schon seit Bestehen der Häuser: vom Balkon des Nachbarn zum Beispiel gibt es ein offenes Loch direkt in Sibylle Michels Wohnung. Wenn es regnet, läuft das Wasser direkt durch. Auch der Wind pfeift durch das Loch, das die Mieterin provisorisch verstopft hat. Und im Bad sind die alten Rohre defekt.

"Leider ist hier alles undicht, also es ist erstens uralt, zweitens, hier unten, das ist eine richtige Sauerei, weil das schließt nicht unterm Waschbecken, da sind ja die Rohre und das das nicht dicht ist, das tropft halt."

Sibylle Michel hat jahrelang in ihrer Badewanne im Hocksitz geduscht – gefliest war dort nur bis zum Abschluss der Wanne. Über die Jahre hat sie sich eine Erhöhung des Fliesenspiegels erkämpft. Erst seit dem ist aufrechtes Duschen möglich. Ein Teil der Wohnungen hat immer noch einfach verglaste Fenster. Die Nebenkostenabrechnung fällt entsprechend hoch aus. Und von Anfang an war für das Haus mit 23 Stockwerken nur ein einziger Aufzug vorgesehen. Darüber kann sich Bürgermeisterin Wittsack-Junge heutzutage wirklich aufregen.

Wittsack: "Es ist mittlerweile bekannt, wenn man beispielsweise als Rettungswagenfahrer hier nach Chorweiler gerufen wird, bestimmte Adressen sind schon bekannt, weil dort die Aufzüge dauernd ausfallen, dann muss man in den 20. Stock hochlaufen. Und wenn man Pech hat, muss man dann die kranke Person mit so einem Tragsessel oder ähnlichem die ganzen Stockwerke runtertragen und das ist für alle beteiligten eine Zumutung."

Wem gehört Chorweiler?
Doch in Chorweiler lässt sich auch gut erkennen, dass Hochhäuser nicht zwangsläufig zu unattraktiven, heruntergekommenen Wohnsilos werden müssen. Einige Häuser an der Florenzer Straße etwa gehören der Sahle Wohnungsbaugesellschaft. Die Wohnungen sind gut in Schuss. Es gibt Gemeinschaftsräume, einen gemeinsam bewirtschafteten Garten, es gibt eine Hausaufgabenbetreuung für die Kinder, eine Ansprechpartnerin für die Mieter. Das Leben hier funktioniert beinah wie in einer Dorfgemeinschaft.

Wem gehört die Stadt? In Chorweiler lässt sich das ganz leicht beantworten. Sämtliche Wohnanlagen hier haben ganze fünf Eigentümer. Neben der Sahle gehört die Genossenschaft GAG dazu, dann ein Unternehmen, das die katholische Gemeinde als Heuschrecke bezeichnet. Und ein Teil der Wohnungen befindet sich seit einiger Zeit in Zwangsverwaltung. Hier darf nur das Nötigste repariert werden. Wer der Besitzer ist, lässt sich am Zustand der Wohnungen ablesen, sagt Cornelie Wittsack Junge.

"Die zwangsverwalteten [Wohnungen] sind durch die Bank schlecht, die von den Heuschrecken auch, und dann gibt es noch Sahle-Wohnen und dann gibt es noch ein paar Häuser am Athener Ring und an der Florenzer Straße von der GAG und die sind auch in Ordnung."

1200 Wohnungen in Chorweiler – jene, die zwangsverwaltet werden - sollen nun unter den Hammer kommen. Zuletzt war eine Unternehmerin aus Norddeutschland Besitzerin, die sie mit hohen Hypotheken belastete. Das Land hatte die Immobilie Ende der 80er Jahre an sie verkauft. Die NRW-Bank ist die Hauptgläubigerin für die beiden Häuserblocks in der Stockholmer Allee und in der Osloer Straße und möchte ihr verliehenes Geld nun auf diesem Wege zurück.

Die 3000 Bewohner der betroffenen Häuser, aber auch viele andere Menschen in Chorweiler, haben Angst, dass auch hier eine sogenannte Heuschrecke zum Zuge kommt und die Wohnungen ersteigert. Das wäre dann ein Investor, der kein Interesse an Sanierung und langfristiger Erhaltung der Wohnungen hätte, sondern lediglich über die Mieten Rendite aus den Wohnungen ziehen will. Viele Mieter bekommen Hartz IV, für Heuschrecken heißt das: die Mieten sind sicher und die Bewohner haben keine Lobby, um sich gegen den schlechten Zustand der Wohnungen zu wehren. Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters will das verhindern.

"Deshalb gehen unsere Anstrengungen dahin, dass wir als Stadt im Rahmen dieser Zwangsversteigerung in der Lage sein werden, selbst diese Wohnungen zu ersteigern. Selbst - das heiß ein Konsortium, das gebildet werden soll unter Federführung unserer städtischen Wohnungsbaugesellschaft GAG und anderen, und dass wir dann sicher sein können, dass die Wohnungen auf einen guten Stand gebracht werden."

Allerdings möchte die NRW-Bank mindestens 28 Millionen Euro für die 1199 Wohnungen haben. Gutachter schätzten den Wert der Häuser auf nur 23 Millionen. Und dann wären da noch die erheblichen Kosten für nötige Sanierungsarbeiten – mit bis zu 40 Millionen Euro müsste ein künftiger Besitzer rechnen. Ein erster Zwangsversteigerungstermin im Januar konnte abgeschmettert werden. Doch ob die gefürchteten Heuschrecken damit vertrieben sind, kann auch der Oberbürgermeister nicht sagen.

Kampf gegen die Zwangsversteigerung
Der Stadtsoziologe Jürgen Friedrichs, der sich seit Jahren mit 70er-Jahre-Hochhaussiedlungen beschäftigt, sieht wenig Einflussmöglichkeiten für die Stadt.

"Die Mieten in deutschen Großstädten sind niedrig im europäischen Vergleich und das zieht internationale Investoren an, die investieren und damit unabhängig davon, was die Stadt möchte, die Preise in die Höhe treiben. Ich habe keine Idee im Moment, wie man dagegen steuern kann. Man muss einfach sehen, dass dieser Prozess dazu führen wird, dass die Mieten in den Städten noch weiter steigen werden."

Wer in Chorweiler-Zentrum wohnt, der verfügt in der Regel nicht über einen dicken Geldbeutel. Mit 17 Prozent ist die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie andernorts in der Stadt, etwa 40 Prozent der Menschen beziehen Hartz IV. Also ist es so, dass die Chorweiler einfach nicht wegkönnen aus ihrem Stadtteil, der eigentlich nichts zu bieten hat? Ist die Hochhaussiedlung einfach ein Ort für die Armen, die sich woanders keinen Wohnraum leisten können? Sozialarbeiter Martin Ellerbrock sieht die Probleme in Chorweiler jeden Tag. Aber er sieht auch, dass die Siedlung mehr ist als ein Problem.

"Viele Menschen sagen schon, dass sie sich in Chorweiler in dem Stadtteil wohlfühlen, dass sie hier gewachsene soziale Beziehungen haben, dass sie hier ne gute Versorgung haben. Das Problem sind in der Tat unverantwortliche Eigentümer von Wohnungen bzw. Zustände unter der Zwangsverwaltung, wo Zustände nicht verbessert werden können."

Viele Bewohner sind aktiv geworden, seit die Zwangsversteigerung ansteht. Die Jugendlichen vom Filmprojekt Pegasus etwa.

Daniel Piedrola ist 18 und hat sein Leben in Chorweiler verbracht. Für ihn ist das hier nicht nur Beton und schlechter Wohnraum.

"Ich wohne gerne in Chorweiler, ich mag eben diese vielen verschiedenen Kulturen hier und dass man sich hier immer treffen kann. Klar, die Wohnsituation ist nicht so perfekt, aber trotzdem leben wir gerne hier mit den vielen verschiedenen Menschen zusammen."

Es gebe nicht nur Hartz-IV-Empfänger hier, sagt Daniel, es gebe auch keine gefährlichen Jugendgangs, wie in der Öffentlichkeit gerne erzählt werde, ein paar Jugendliche würden lediglich mit dem schlechten Image spielen.

"Also ich selber habe keine Angst. Die Zeitung hat uns das vor ein paar Wochen auch schon mal gefragt und ich hab gesagt: Die tun nix, die kucken nur böse."

Einen Verkauf der maroden Wohnungen in Chorweiler an eine Heuschrecke will niemand. Nicht die Bewohner, nicht die Politik und auch nicht die fairen Vermieter im Viertel. Aber was kann geschehen mit den Trabantenstädten aus den 70ern?

Wo sollen die Armen wohnen?
Kann der Plattenbau wieder attraktiver Wohnraum werden? Warum kaufen zum Beispiel nicht die seriösen Wohnungsbaugesellschaften alle Häuser auf, sanieren sie und gestalten sie zu attraktiven Wohnungen? Sybille Jeschonnek von der Sahle Bau, deren Häuser in Chorweiler als Perlen gelten, winkt bei einer Größenordnung von 1200 Wohnungen ab.

"Ne Lösung, die wir und vorstellen könnten, ist ne Zerschlagung, sprich : das muss in sehr viel kleineren Einheiten an verschiedene solide arbeitende Betreiber gehen. Aus kaufmännischen Gesichtspunkten sage ich ganz klar: schwierig. Gerade unter den Rahmenbedingungen, die da gerade noch im Raum stehen, zu den offenen Forderungen, die da noch im Raum stehen an Altschuldenübernahme und dem, was man an Instandsetzungs-, Modernisierungsbedarf hat, geht das ganz klar nicht, denn wir kennen auch die Mieten, die hier in Chorweiler erzielt werden können, die wachsen hier im Gegensatz zum Zentrum nicht in den Himmel. Und deswegen muss man es letztendlich relativ billig bekommen, damit man es gut sanieren kann und gut betreiben kann."

Irgendwo müssen auch die Menschen mit weniger Einkommen Mietwohnungen finden. Deshalb ist auch die Vorstellung, das überholte Konzept der Trabantenstädte einfach zu beseitigen, keine umsetzbare Idee, erklärt der Stadtsoziologe Jürgen Friedrichs, obwohl die Vorstellung ihm sympathisch wäre.

"Ich halte das für eine sinnvolle Lösung, weil ich nicht glaube, dass wir diesen Typ von großen Siedlungen beibehalten müssen. Das Problem ist nur, dass wir das zu einem Zeitpunkt tun müssten, also Wohnraum vernichten, wo eigentlich eine Wohnraumknappheit besteht. Das Problem ist , dass von Mitte der 90er Jahre bis 2005 in allen großen Städten ungefähr die Hälfte des sozialen Wohnungsbaus weggebrochen ist, wir also viel zu wenig Wohnraum haben, insofern muss ich gegen meinen eigenen Vorschlag sprechen."

Die Architekten Riedel und Höhn wollen keinen Wohnraum vernichten, sondern aus dem, was da ist, etwas neues, für heutige Bewohner Attraktives gestalten.

Höhn: "Wir tragen die Gebäude teilweise auch ab oder schneiden Löcher hinein, wir setzen den Gebäuden Penthouse-Wohnungen aufs Dach, so in Form von scheinbar zufällig aufgesetzten Boxen, die dann auch eine potentere Mieterschaft anziehen könnten, um so eine bessere soziale Durchmischung herstellen zu können."

Trabantenstädte zu Traumwohnungen?
30.000 Kubikmeter wollen die Architekten aus dem großen Häuserriegel an der Stockholmer Allee herausschneiden, das würde etwa 150 Wohnungen entsprechen. So würde der Gebäudekomplex weniger erdrückend, der ganze Stadtteil bekäme mehr Licht und Luft und eine Öffnung zu den Grünanlagen im Norden von Chorweiler. Das abgetragene Material ließe sich recyclen, daraus könnten kleinere Häuser in Chorweiler entstehen. Mit der Substanz der Hochhäuser, sagen die Architekten, ließe sich durchaus etwas machen.

Riedel: "Ein Großteil der Gebäude sind ja in Tafelbauweise errichtet. Und da haben wir einfach ein ganz klares statisches System, was man mit minimalen Eingriffen in den Grundrissen auch so verändern kann, dass wir eine ganz große Vielfalt von Grundrissen erreichen. Also wir haben zum Beispiel in der Stockholmer Allee neun verschiedene Grundrisse entwickelt und im Moment gibt es aber nur zwei bis drei Zimmer Wohnungen. Der Bedarf fängt aber bei der Einzimmer-Studentenwohnung an und geht hin bis zu Vier-Fünfzimmerwohnungen für größere Familien, was wir im Moment hier gar nicht haben. Und die Freiräume sind viel zu klein, das sind ja nur die Loggien, aber die Substanz könnte dem gerecht werden, weil einfach wir ein ganz klares statisches System haben."

Alle Dächer auf den Hochhäusern könnten unterschiedliche Funktionen bekommen. Als Dachterrassen für die Bewohner. Als Gärten für den gemeinsamen Obst- und Gemüseanbau. Zum Teil könnten dort auch kleine Anlagen zur Energiegewinnung stehen. Denn auch eine energetische Sanierung sieht das Konzept der Architekten vor. Die Hälfte des Stroms und 100 Prozent der Wärme sollen aus regenerativen Energien gewonnen werden. In den Kellern könnte man Brauchwasser aufbereiten, eine Biogasanlage würde die komplette Siedlung versorgen. Überall würde Sonne und Wind genutzt, für kurze Strecken gäbe es E-Bikes, für längere Car-Sharing.

Riedel und Höhn setzen auf umfassende Sanierung statt scheibchenweise Reparaturen.

Höhn: "Wir haben das Projekt angelegt auf einen Zeitraum von 25 Jahren, in sechs Bauabschnitte eingeteilt."

Es gibt keine konkrete Kostenaufstellung für das Projekt. Und schon gar nicht ist ein Investor in Sicht, der das nötige Geld in Chorweiler stecken würde. Doch das man Teile solcher Vorschläge umsetzen könnte, hält Bürgermeisterin Wittsack Junge nicht für völlig unrealistisch.

"Ich persönlich bin der Meinung, man könnte hier sehr gut auch einen Teil zur Energiewende beitragen. Wir könnten hier ne Solarsiedlung draus machen, wir könnten Dachbegrünung, Fassadenbegrünung machen. Man kann es auf jeden Fall attraktivieren, in dem man beispielsweise transparente Außenaufzüge hinsetzen würde. Man könnte auch Mehrgenerationenprojekte ganz toll hier durchführen, also in dem einen Gebäude von Sale haben wir ja eine Dorfgemeinschaft im Hochhaus. Und das kann man natürlich in anderen Hochhäusern mit entsprechenden Voraussetzungen und Umgestaltungen auch bewirken – das ist ja eigentlich gar nicht so schwierig."

Die Wohnungsgrößen müssten flexibler gestaltet werden. Und die Sozialbindung dürfte nicht mehr 80 Prozent der Wohnungen betreffen, sondern nur noch 30 Prozent, meint die Bürgermeisterin. Zwangsläufig wird dann aber immer ein Teil der Mieter nicht in Chorweiler bleiben können, weil sie sich die Mieten nicht leisten könnten. Nimmt man das in Kauf und findet einen Investor, dann wäre in Chorweiler so einiges möglich.

Vielleicht wäre dann auch der Vorschlag von Kasseler Studenten der große Wurf: Chorweiler als Touristenmagnet. Einige Hochhäuser werden mit bunten Platten verziert, in den obersten Etagen – die mit der besten Aussicht - siedeln Hotels an, gläserne Fahrstühle fahren an der Außenwand. Aussichtsplattformen bieten Sicht auf den Dom, Aufenthaltsräume sollen Gäste und Anwohner ins Gespräch bringen. Der Plattenbau West als Sehenswürdigkeit. Dann hätte Chorweiler sogar die Chance, wieder auf eine Postkarte zu kommen.
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