Hochhaus-Träume

München denkt groß - und nach oben

10:53 Minuten
Blick auf die Münchener Innenstadt mit den Türmen der Frauenkirche.
In der Münchener Innenstadt dürfen Gebäude nicht höher aufragen als die Türme der Frauenkirche. © Imago / Panthermedia / sborisov
Von Michael Watzke · 10.09.2020
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Mindestens 150 Meter hoch sollen in München die Hochhäuser an der Paketposthalle werden. Ein Bürgerentscheid besagt allerdings, kein Gebäude darf höher als die Türme der Frauenkirche sein. Nun soll eine Studie Orientierung geben.
Eine Baustelle im Münchner Westen. Hier, vor den Toren der bayerischen Landeshauptstadt, entsteht eines der interessantesten Neubauprojekte, die München derzeit zu bieten hat: das "Belvedere". 164 Wohnungen hinter einer weiß leuchtenden Metallfassade. Bauherr ist Friedrich Neumann. Der Geschäftsführer der Firma München Bau deutet stolz auf den fast fertigen Rohbau.
"Es ist eine besondere, hervorstechende Architektur. Es wird was Tolles, was Wunderschönes. Auch mit dem Gartenplateau hier. Mit den drei Gebäuden, die jeweils eine andere Form haben, einen anderen Kubus. Dann das Hochhaus, das ist was Besonderes!"
Bauherr Friedrich Neumann vor der Baustelle des Belvedere.
Bauherr Friedrich Neumann (rechts) hofft künftig mehr Hochhäuser in München bauen zu dürfen.© Michael Watzke
Das Hochhaus. Neumann zeigt auf ein Gebäude mit neun Etagen und einer Höhe von 26 Metern. Das gilt in München offiziell als Hochhaus, sagt der Architekt des "Belvedere", Markus Allmann.

Manche nennen es Hochhäuschen

"Für ein Hochhaus gibt es zwei Kriterien. Eines ist, wenn man die letzte Decke über 22 Metern hat. Das ist hier der Fall. Dann ist das rein nach den Richtlinien ein Hochhaus. In der Bevölkerung wird ein Hochhaus natürlich anders gelesen. Da würde man sagen, es braucht schon 15 oder 18 Geschosse, damit es als Hochhaus wahrgenommen wird. Insofern ist das hier ein Hochhaus, aber es ist für meine Begriffe lediglich ein höheres Haus."
Manche nennen es auch Hochhäuschen. Oder Wohntürmchen. An den Wolken kratzt das "Belvedere" nur dann, wenn die aus Bodennebel bestehen. Der Dillinger Bauherr Neumann spricht intern manchmal "von einem g‘stumperten Hochhaus, was wir hier haben".
"G’stumpert" ist schwäbisch. Es bedeutet nicht "stümperhaft". Im Gegenteil: das Belvedere ist im renommierten Münchner Architekturbüro "Allmann Sattler Wappner" entstanden. "G’stumpert" bedeutet "stumpf abgeschnitten", so wie ein kurzer Zigarrenstummel, ein Stumpen. Neumann hätte den fünfeckigen Stumpen gern deutlich höher gebaut.

Die Höhe war absolut fixiert

"Das Problem ist die technische Seite: Wir fallen hier im Bereich des Brandschutzes und sonstiger Vorschriften in den Hochhausbereich. Diese Vorschriften haben wir, und dadurch eine enorme Kostensteigerung. Weil wir zum Beispiel andere Aufzüge bauen müssen. Wenn man diese Kosten nach oben in die Länge ziehen könnte, indem wir zehn Geschosse draufpacken könnten, dann wäre dieses Gebäude wesentlich lukrativer."
Nun muss man sicher keine Tränen vergießen aus Mitleid mit der Finanzkalkulation eines Münchner Immobilienentwicklers. Aber zehn zusätzliche Stockwerke bedeuteten etwa 40 zusätzliche Wohnungen für den angespannten Münchner Mietmarkt. Ästhetisch hätte ein höheres Gebäude sicher keinen Schaden im Quartier zwischen Pasing und Nymphenburg angerichtet, findet Architekt Allmann, dessen Büro zahlreiche Architekturpreise schmücken.
"Ich finde nicht, dass es unbedingt endlos hoch hätte sein müssen. Aber vier, fünf Geschosse wären städtebaulich sinnvoll und auch verträglich gewesen. Aber das war im Städtebau genauso vorgegeben. Die Höhe war absolut fixiert. Genau auf diesen Punkt. Die haben wir auch eingehalten."

Ein heißes Eisen

Vorgegeben hat die Höhe die Stadt München. Genauer gesagt das Referat für Stadtplanung und Bauordnung. Kein Bauträger in München kann ohne die Genehmigung dieser mächtigen Behörde auch nur eine Garage bauen. Wichtige Projekte wie das "Belvedere" an der Paul Gerhardt-Allee gehen über den Schreibtisch von Stadtbaurätin Elisabeth Merk. Die Regensburger Professorin sagt:
"München überlegt sich das gut, wo es hohe und höhere Häuser haben will. Dass man nicht jedem Hype hinterherrennt, ist eine Qualität, die unsere Stadt auszeichnet. Das finde ich vom Grundsatz her legitim. Gleichwohl wünsche ich mir Innovation."
Merk grinst ein wenig unsicher. Die Stadtbaurätin weiß: Im traditionsbewussten München führt die Höhe eines Gebäudes schnell zum erbitterten Streit. An diesem heißen Eisen kann man sich leicht die Finger verbrennen.
Im Jahr 2004 sprach sich eine Mehrheit in einem Bürgerbegehren dafür aus, dass kein Gebäude in München höher aufragen dürfe als die Zwillingstürme der Frauenkirche, des berühmten Symbols der Landeshauptstadt. Die beiden Domspitzen sind 99 Meter hoch. Zumindest innerhalb des Münchner Rings, also in der Innenstadt, gibt es tatsächlich bis heute kein höheres Gebäude.

Lebensqualität leidet unter Hochhäusern

Am Stadtrand dagegen sind in den vergangenen Jahrzehnten einige Hochhäuser entstanden. Das höchste ist das "Uptown" im Norden der Stadt. Mit 146 Metern Höhe ist der Bürotower für Kritiker ein Vierkantbolzen, wie ihn der frühere Münchner Oberbürgermeister Schorsch Kronawitter nannte. Befürworter sehen in dem gläsernen Turm, der nachts blau leuchtet, ein markantes Wahrzeichen des modernen München.
Strenggenommen gilt das Hochhausverbot aus dem Bürgerentscheid aber auch für Projekte außerhalb des Mittleren Rings, einer Verkehrsachse, die sich wie ein Gürtel um die Innenstadt legt. Hochhäuser wie das "Uptown" oder die zehn Kilometer entfernten Highlight Towers entstanden schon vor dem Bürgerentscheid.
Danach wuchs nichts Hohes mehr in München. Die rechtliche Bindungskraft des Bürgerbegehrens ist zwar längst abgelaufen, aber politisch entfaltet der 16 Jahre alte Hochhausdeckel noch immer Kraft. Das findet Tobias Ruff auch gut so:
"Es geht vor allem darum, dass die Stadt unglaublich stark wächst und dadurch verdichtet wird. Wir sind der Meinung, dass dann vieles verloren geht an typischem Charakter von diesen Gartenstädten, die sich um München herumziehen. Da werden Frischluftschneisen verbaut, es gehen letzte Rückzugsgebiete von Tier- und Pflanzenarten verloren. Vor allem leidet die Lebensqualität darunter."

Hohe Kosten für Baugrund in München

Ruff, der für die Partei ÖDP im Münchner Stadtrat sitzt, hält Häuser mit einer Höhe von mehr als 23 Metern für unökologisch und ineffektiv:
"Man schafft ab dieser Grenze in der Regel keinen günstigen Wohnraum mehr. Man kann die Abstandsflächen zu den Nachbargebäuden nicht mehr einhalten. Das heißt, man muss abrücken von der Straße, von der Grundstücksgrenze. Das bedeutet, dass im Endeffekt nicht mal mehr mit höheren Häusern gebaut werden kann."
Doch diese Theorie zweifeln viele Experten an. Der Architekt Markus Allmann weist beispielsweise darauf hin, dass man neben den Planungs- und Baukosten vor allem die hohen Kosten des Baugrundes in München berücksichtigen müsse.
"Die Grundstückspreise sind natürlich enorm hoch, der Boden ist nicht unendlich. Meines Erachtens wird in Metropolen der Boden immer teurer werden, das wird gar nicht anders gehen. Allerhöchstens, die Stadt würde einkaufen und Vorkaufsrechte geltend machen und versuchen, Boden zu erwerben. Aber sie hat in den letzten Jahrzehnten eher Boden verkauft. Das führt natürlich zu einem enormen Preis für die Böden. Alles, was man auf den Boden draufstellt – das Bauwerk selbst –, ist oft gar nicht mehr der große Faktor."

Hochhaus-Studie soll Empfehlungen geben

Der Bauunternehmer Neumann drückt das in Prozentzahlen aus. Also im Verhältnis der Grundstückspreise zu den restlichen Baukosten:
"Wie ich nach München gekommen bin, da hat man von 30 Prozent geredet, manchmal von 25 Prozent. Wir sind heute im besten Fall bei 40 Prozent, manchmal 50 oder 60 Prozent, teilweise sogar darüber. Und dann muss man auch noch bauen!"
Soll heißen: Höher bauen, ist für Bauunternehmer finanziell oft attraktiver. Würde die Stadt München es häufiger zulassen, würde mehr gebaut. Auch mehr Wohnraum.
Stadtbaurätin Merk hat auch deshalb eine Studie in Auftrag gegeben, die prüfen soll, wie und wo in München höhere Gebäude entstehen könnten. Diese Studie ist noch nicht abgeschlossen, aber erste Ergebnisse sind schon bekannt. Beispielsweise, dass sich die Einfallsachsen in die Stadt an Auto- und Eisenbahnstrecken grundsätzlich für höhere Gebäude eignen.
Aber die Nutzung dieser Türme spiele eine entscheidende Rolle, so Merk:
"Dass also in einem Turm auch verschiedene Nutzungen sein können, nicht nur da ein Büroturm und da ein Wohnturm. Alles möglichst im Hochpreissegment. Das ist natürlich eine sehr kritische Frage: Wem dienen Hochhäuser? Wie können sie produziert werden? Sind sie überhaupt nachhaltig als Bauform? Wir wissen, dass sie auch große Energiefresser sind. Dass sie in Sachen Brandschutz anspruchsvoll sind. Also da kommen fachliche Themen auch zu Wahrnehmungsthemen."

Stadtbaurätin bewegt sich auf dünnem Eis

Man hört der Stadtbaurätin geradezu an, dass sie sich vorsichtig abwägend auf dünnem Eis bewegt. Aber bei allem Für und Wider: Die Studienergebnisse sind unterm Strich nur als Unterstützung für ein großes Hochhausprojekt zu interpretieren, das nach dem Willen der Mehrheit im Münchner Stadtrat an der Paketposthalle entstehen soll, einem eindrucksvollen, denkmalgeschützten Gebäude mit riesigen Rundbögen aus Stahlbeton.
Zeichnung der in München geplanten Paketpost-Türme.
Die geplanten Paketpost-Türme sollen 155 Meter in die Höhe ragen.© Michael Watzke
Neben dieser Paketposthalle sollen zwei gläserne Türme gebaut werden. Sie sollen die kühn geschwungene Struktur der Paketposthalle aufnehmen und 155 Meter senkrecht in die Höhe tragen. Für München eine geradezu schwindelerregende Höhe. Der Entwurf des Architektenbüros "Herzog - de Meuron" hat im Stadtrat viele Unterstützer. Und auch im Baureferat:
"Grundsätzlich glaube ich, dass so was realisiert werden kann, sonst hätte ich dem Stadtrat nicht einen Grundsatzbeschluss in diese Richtung vorgeschlagen. Wobei man sagen muss: Wir haben jetzt eine Art Masterplan und sind erst dabei zu überprüfen, ob das an Nutzungen und Themen auf dem Areal so geht. Das gilt natürlich auch für diese starken Zeichen. Es werden gerade Sichtfeldanalysen gemacht, die auch auf die Hochhausstudie hin, die ja noch nicht abgeschlossen ist, in Wechselwirkung überprüft werden."

Türme sind umstritten

Wer wissen will, warum sich Elisabeth Merk so vorsichtig äußert, der muss nur zur Paketposthalle im Münchner Westen fahren. Dort diskutieren die Anwohner kein Thema so emotional wie die geplanten Türme.
"Toll, endlich raus aus diesem Scheiß-Provinzialismus!" / "Total überzogen. Gewinnmaximierung, nichts weiter steckt dahinter." / "Endlich mal was Interessantes. Es ist sensationell." / "Es ist eine Katastrophe, was da geplant ist. Zwei Türme mit 150 Meter – ich find´s ´ne Katastrophe. Und wenn sich dort eine Bürgerinitiative gründet dagegen, dann bin ich mit dabei. Vorne." / "Also, vielleicht muss man sich mal daran gewöhnen, dass das hier eine Millionenstadt ist."
Die Nachfrage nach Büroimmobilien hat sich durch die Coronakrise und die zunehmende Heimarbeit eher abgeschwächt. Umso interessanter dürfte ein Hochhauskonzept werden, das Wohnraum, Büroturm und kulturelle Nutzung miteinander verbindet.

Vielleicht steht ein neuer Bürgerentscheid an

Eigentlich wollte die Stadt München schon in diesem Sommer eine erste Informationsoffensive für die Bürger starten. Doch der Lockdown hat das Ganze verschoben. Möglicherweise gibt es nun im Herbst erste Anhörungstermine.
Eine Entscheidung fällt frühestens im nächsten Jahr. Vielleicht auch erst nach einem Ratsbegehren oder gar einem erneuten Bürgerentscheid. Am "Belvedere", dem Hochhäuschen im Münchner Westen, bringt sich Bauherr Neumann von München Bau schon mal in Stellung:
"Mein Wunsch ist es seit eh und je, hier in München auch mal ein Hochhaus zu bauen. Wir haben zwei, drei große Grundstückskäufe getätigt. Und vielleicht gelingt es uns da, ein Hochhaus zu bauen. Oder auch mehrere."
Aber dann, so Neumann, müsse es ein richtiges Hochhaus sein. Und kein g’stumpertes.
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