Hochgradig dysfunktionale Familie
Ein Regisseur kann Richard Wagners "Tristan und Isolde" ganz bequem in die kunsthandwerklich-dekorative Regalecke stellen. Ewige Liebe über den Tod hinaus, ein bisschen Mittelalterdekor und alle sind glücklich. Nichts davon bietet der Regisseur Graham Vick dem Publikum an der Deutschen Oper.
Den Liebestrank nehmen Tristan und Isolde mittels Spritze intravenös zu sich. Und zwar nicht auf einem Schiff, sondern in einer mondänen Wohngruft, die an Helmut Kohls Oggersheimer Villa denken lässt. Statt Couchtisch steht ein Prunksarg vor dem Sofa, hier sitzt Tristan fast den ganzen ersten Aufzug hindurch apathisch rum, auch König Marke hockt bereits im Fernsehsessel und ignoriert hartnäckig das Geschehen um ihn herum.
Die Hausangestellten machen immer wieder obszöne Gesten in Richtung Isoldes, die an der gedemütigten Frau aber weitgehend abprallen. Sie ist ohnehin vor allem mit sich selber beschäftigt, mit ihren Rachefantasien, den Gedanken an Tristan, der ihren Geliebten Morold erschlug und der sie nun seinem Onkel zuführen will:
Eine hochgradig dysfunktionale Familie zeigt der britische Regisseur Graham Vick und lässt kein gutes Haar an den Helden von Richard Wagners grandioser Liebesoper. Erst kurz vor Schluss kommt ein Hauch von Mitleid mit Tristan auf, da ist er aber schon ein heruntergekommener Pflegefall in einem ziemlich heruntergekommenen Altersheim und wartet nur noch verzweifelt auf den Tod.
Von Anfang an beherrschen übergroße Emotionen das deprimierende Leben dieser Durchschnittsmenschen in einer trostlosen Villa. Graham Vick verweigert seinen Figuren konsequent alles Heldenhafte. Alle verfolgen obsessiv ihre kleinen egoistischen Ziele, auch nach dem Liebestrank kommen sich Tristan und Isolde kaum nahe, schließlich sterben sie auch getrennt. Das heißt, sie gehen einfach weg, in den Garten der Villa, in eine andere Welt.
Das ist, wie die ganze, minutiös gearbeitete Inszenierung, immer sehr nah am Libretto und der Partitur und zeichnet die Erkenntnisschritte oder auch die mangelnde Erkenntnis der Figuren sehr detailliert nach. Immer wieder überlagern sich dabei die Zeiten und Bedeutungsebenen. Häufig funktioniert das sehr gut, wenn zum Beispiel keltische Dolmensteine im Wohnzimmer auf die Herkunft der Tristansage aus grauer Vorzeit hinweisen. Oder wenn Passanten in surrealen Konstellationen durch das Geschehen laufen.
Allerdings neigen der Regisseur und sein Ausstatter Paul Brown auch zum überdeutlichen Symbol, etwa mit nackten Statisten, die unter anderem ein Grab ausheben, oder einem andauernden Aschenregen im dritten Aufzug. Dass es in Wagners "Tristan" permanent ums Sterben geht, wäre dem Opernpublikum bestimmt auch ohne diese penetrante Nachhilfe aufgefallen.
Musikalisch sieht die Bilanz auch überwiegend positiv aus. Vor allem ist Peter Seiffert ein sensationeller Tristan, einer der wenigen echten Heldentenöre, die nicht nur die Lautstärke mitbringen, sondern sich auch an die vorgeschriebenen Noten halten und die Komposition gestalten können. Seiner Gattin Petra Maria Schnitzer gelingt bei ihrem Rollendebüt als Isolde nicht alles gleich schön, aber auch sie singt ihre Partie sehr aufrichtig, technisch sicher und differenziert. Kristinn Sigmundsson gibt einen imposant-wütenden König Marke, während Jane Irwin als Brangäne im zweiten Aufzug enttäuscht.
Die kleineren Rollen sind durchgehend auffällig schwach besetzt. Mit dem Orchester der Deutschen Oper betont Generalmusikdirektor Donald Runnicles weniger die sexuelle Ekstase in dieser Musik als vielmehr die dunklen, todessehnsüchtigen Töne. Im ersten Akt gab es noch deutliche Spannungsdurchhänger, aber die Musiker spielen konzentriert für ihn, folgen Runnicles ebenso engagiert in die großen Lautstärkeeruptionen wie bei der Hilfe für in Bedrängnis geratene Sänger.
Riesiger Jubel für die Solisten, während das konsequent durchdachte Regiekonzept beim lautstark buhenden Publikum gar nicht gut ankam.
Tristan und Isolde
Oper von Richard Wagner
Regie: Graham Vick
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Deutsche Oper Berlin
Die Hausangestellten machen immer wieder obszöne Gesten in Richtung Isoldes, die an der gedemütigten Frau aber weitgehend abprallen. Sie ist ohnehin vor allem mit sich selber beschäftigt, mit ihren Rachefantasien, den Gedanken an Tristan, der ihren Geliebten Morold erschlug und der sie nun seinem Onkel zuführen will:
Eine hochgradig dysfunktionale Familie zeigt der britische Regisseur Graham Vick und lässt kein gutes Haar an den Helden von Richard Wagners grandioser Liebesoper. Erst kurz vor Schluss kommt ein Hauch von Mitleid mit Tristan auf, da ist er aber schon ein heruntergekommener Pflegefall in einem ziemlich heruntergekommenen Altersheim und wartet nur noch verzweifelt auf den Tod.
Von Anfang an beherrschen übergroße Emotionen das deprimierende Leben dieser Durchschnittsmenschen in einer trostlosen Villa. Graham Vick verweigert seinen Figuren konsequent alles Heldenhafte. Alle verfolgen obsessiv ihre kleinen egoistischen Ziele, auch nach dem Liebestrank kommen sich Tristan und Isolde kaum nahe, schließlich sterben sie auch getrennt. Das heißt, sie gehen einfach weg, in den Garten der Villa, in eine andere Welt.
Das ist, wie die ganze, minutiös gearbeitete Inszenierung, immer sehr nah am Libretto und der Partitur und zeichnet die Erkenntnisschritte oder auch die mangelnde Erkenntnis der Figuren sehr detailliert nach. Immer wieder überlagern sich dabei die Zeiten und Bedeutungsebenen. Häufig funktioniert das sehr gut, wenn zum Beispiel keltische Dolmensteine im Wohnzimmer auf die Herkunft der Tristansage aus grauer Vorzeit hinweisen. Oder wenn Passanten in surrealen Konstellationen durch das Geschehen laufen.
Allerdings neigen der Regisseur und sein Ausstatter Paul Brown auch zum überdeutlichen Symbol, etwa mit nackten Statisten, die unter anderem ein Grab ausheben, oder einem andauernden Aschenregen im dritten Aufzug. Dass es in Wagners "Tristan" permanent ums Sterben geht, wäre dem Opernpublikum bestimmt auch ohne diese penetrante Nachhilfe aufgefallen.
Musikalisch sieht die Bilanz auch überwiegend positiv aus. Vor allem ist Peter Seiffert ein sensationeller Tristan, einer der wenigen echten Heldentenöre, die nicht nur die Lautstärke mitbringen, sondern sich auch an die vorgeschriebenen Noten halten und die Komposition gestalten können. Seiner Gattin Petra Maria Schnitzer gelingt bei ihrem Rollendebüt als Isolde nicht alles gleich schön, aber auch sie singt ihre Partie sehr aufrichtig, technisch sicher und differenziert. Kristinn Sigmundsson gibt einen imposant-wütenden König Marke, während Jane Irwin als Brangäne im zweiten Aufzug enttäuscht.
Die kleineren Rollen sind durchgehend auffällig schwach besetzt. Mit dem Orchester der Deutschen Oper betont Generalmusikdirektor Donald Runnicles weniger die sexuelle Ekstase in dieser Musik als vielmehr die dunklen, todessehnsüchtigen Töne. Im ersten Akt gab es noch deutliche Spannungsdurchhänger, aber die Musiker spielen konzentriert für ihn, folgen Runnicles ebenso engagiert in die großen Lautstärkeeruptionen wie bei der Hilfe für in Bedrängnis geratene Sänger.
Riesiger Jubel für die Solisten, während das konsequent durchdachte Regiekonzept beim lautstark buhenden Publikum gar nicht gut ankam.
Tristan und Isolde
Oper von Richard Wagner
Regie: Graham Vick
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Deutsche Oper Berlin