Analogien im Ukraine-Krieg

Trügerische Ähnlichkeiten

04:11 Minuten
Demonstration gegen den Krieg von Wladimir Putin in der Ukraine halten ein Plakat in die Luft, auf dem sie Putin mit Stalin und Hitler vergleichen.
Putin ist gleich Hitler? Manche Analogien rund um den Ukraine-Krieg schießen übers Ziel hinaus, meint Pauline Pieper im philosophischen Wochenkommentar. © IMAGO/Joerg Boethling
Von Pauline Pieper · 29.05.2022
Audio herunterladen
Ist Putin wie Hitler und muss um jeden Preis gestoppt werden? Oder droht dabei eine Eskalation wie im Ersten Weltkrieg? Das ist auch eine Frage angemessener Vergleiche. Wie man gute von schlechten Analogien unterscheidet, erläutert Pauline Pieper.
Im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine werden zahlreiche Analogien bemüht. Selenskyj zieht Parallelen zwischen der russischen Invasion und dem Holocaust. Putin wiederum sieht eine Analogie zwischen seinem Krieg und dem sowjetischen Kampf gegen die Nationalsozialisten. Der russische Angriffskrieg wird mal mit dem Irakkrieg, mal mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs verglichen.
Wir mögen einige dieser Analogien geradewegs zurückweisen, während wir andere womöglich für legitim erachten. Woran aber lässt sich das festmachen?

Welche Ähnlichkeiten sind relevant?

Eine Analogie stellt eine Ähnlichkeit zwischen zwei Gegenständen hinsichtlich bestimmter Eigenschaften fest. Wenn sich zwei Gegenstände in bestimmten Punkten ähneln, so erscheint es plausibel, dass weitere Eigenschaften des einen Gegenstands auch für den anderen gelten.
Der schottische Aufklärungsphilosoph Thomas Reid etwa entwirft im 18. Jahrhundert folgende Analogie: Sowohl die Erde als auch andere Planeten unseres Sonnensystems drehen sich um ihre Achse, umkreisen die Sonne und haben Monde. Da die Erde bewohnt ist, kann man annehmen, dass auch andere Planeten bewohnt sind.
Pauline Pieper steht in einem Park, im Hintergrund in der Unschärfe sind Bäume zu sehen, und schaut lächelt in die Kamera.
Ob ein Vergleich hinkt oder nicht, hängt stark davon ab, ob die Ähnlichkeiten des Verglichenen für das jeweilige Ereignis zentral oder nebensächlich sind, argumentiert Pauline Pieper.© Birte Mensing
An diesem Beispiel wird schon deutlich, was der entscheidende Faktor bei der Bewertung von Analogien ist: das Ausmaß der Ähnlichkeiten. Von Aristoteles kann man lernen, dass eine Analogie stärker ist, je mehr Ähnlichkeiten zwischen den verglichenen Gegenständen bestehen.
Aber nicht nur die Anzahl der Ähnlichkeiten, sondern auch ihre Relevanz spielt eine Rolle. Um bewohnbar zu sein, muss ein Planet eben nicht nur um die Sonne kreisen, sondern etwa auch ausreichende Wasservorkommen haben. Da Reids Analogie das nicht berücksichtigt, kommt sie – wie wir heute wissen – zu falschen Schlüssen.

Zwischen Erkenntnis und Propaganda

Mit Blick auf die Analogien, die im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg geäußert werden, müssen wir uns also fragen: Werden die relevanten Ähnlichkeiten geltend gemacht, die eine Analogie zu einer guten Analogie machen?
So gesehen erscheint der Vergleich des Ukrainekriegs mit dem Holocaust reichlich absurd. Sind doch die Unterschiede in quantitativer wie qualitativer Hinsicht so augenfällig, dass sich vielmehr der Verdacht aufdrängt, die Analogie diene hier einem propagandistischen Zweck.
Wer aber an Wahrheitsfindung interessiert ist, sollte mit Analogien keine Verbindungen herbeifantasieren, sondern darauf bedacht sein, aufschlussreiche Zusammenhänge herzustellen.

Pauline Pieper studiert Philosophie im Master an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Interessenschwerpunkte sind Sozialphilosophie und Kritische Theorie.

Denn Analogien kommt wesentlich eine sogenannte „heuristische Funktion“ zu. Sie können neue Perspektiven auf ein Phänomen eröffnen, anhand bekannter Tatsachen Rückschlüsse auf Unbekanntes ermöglichen.
Je mehr Ähnlichkeiten mit einem anderen Phänomen sich auffinden lassen, desto plausibler und wahrscheinlicher erscheint es, dass sie sich auch in anderer Hinsicht ähneln, selbst, wenn wir darüber keine Gewissheit haben. Dienen Analogien so einer sachlichen Auseinandersetzung, ist nichts gegen sie einzuwenden.

Vorsicht vor falschen Schlüssen

Ein historischer Vergleich zwischen der Eskalationsdynamik des Ersten Weltkriegs und dem heutigen Ukraine-Krieg kann ergiebig sein – sofern daraus keine vermeintlich zwingenden Konsequenzen abgeleitet werden. Denn wenn Analogien nicht heuristisch genutzt werden, sondern nur dazu, Scheinargumente zu formulieren – man denke an Putins Behauptung, die Ukraine müsse „entnazifiziert“ werden –, dann sind sie problematisch.
Das gilt auch, wenn Analogien nur in Stellung gebracht werden, um einer inhaltlichen Diskussion auszuweichen. Wenn jemand etwa der Kritik an russischen Kriegsverbrechen mit dem Verweis begegnet, die Amerikaner seien doch „genauso schlimm“, verfängt zu Recht der Vorwurf des „Whataboutism“.
So simpel das auch klingen mag: Es gibt gute und schlechte Analogien. Und es ist wichtig, sie zu unterscheiden und uns vor voreiligen Schlüssen zu hüten – indem wir uns nicht vom Anschein der Plausibilität blenden lassen, sondern hinterfragen, wie tragfähig die unterstellten Ähnlichkeiten wirklich sind. In Kriegszeiten gilt das umso mehr.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema