Historiker-Treffen in Czernowitz

"Mit Auschwitz seht ihr nur einen Teil der Shoa"

05:36 Minuten
Jüdischer Friedhof von Czernowitz
Ort der Erinnerung: der jüdische Friedhof von Czernowitz. © Deutschlandradio / Sabine Adler
Von Sabine Adler · 06.09.2019
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Gaskammern, Auschwitz und andere Konzentrationslager stehen symbolisch für den Holocaust. Doch in Osteuropa starben auch rund anderthalb Millionen Juden bei Massenerschießungen. Ein internationales Historiker-Treffen in Czernowitz erinnert daran.
Deutsche und ukrainische Musiker treten in diesen Tagen mehrmals gemeinsam in Czernowitz auf. In der Philharmonie, aber auch zur Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof.
Dem sogenannten Holocaust durch Kugeln fielen anderthalb Millionen Juden in Osteuropa zum Opfer. Diese Massenerschießungen gab es allein in der Ukraine an 2000 Orten.
"Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, dieser eine Satz von Paul Celan beschreibt, warum wir heute hier sind." Um zu gedenken und zu lernen, sagt Marieluise Beck vom Institut Liberale Moderne, Initiatorin der internationalen Historikerkonferenz in Czernowitz, wo Josef Zissels am Rande eines Massengrabes mit 900 Toten steht.
"Hier liegen Erschießungsopfer der deutschen Einsatzgruppe und der rumänischen Armee. Allein hier in der okkupierten Nordbukowina gibt es 52 Orte, an denen solche Massenerschießungen stattfanden."

Vielerorts keine Hinweise auf die Verbrechen

Der Chef der Assoziation der jüdischen Organisationen der Ukraine hat sich nach dem Ende der Sowjetunion für ein Denkmal für die ermordeten Juden in Czernowitz eingesetzt. Doch in rund 1000 Dörfern gibt es keinerlei Hinweise auf diese Verbrechen.
Damit sich das ändert, schufen das American Jewish Comitees in Berlin, die Bundesregierung und ukrainischer Partner 2015 fünf Gedenkstätten und jetzt 15 weitere, sagt Ulrich Baumann von der mitbeteiligten Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas:
"Es gibt tatsächlich an vielen Orten verfallene Denkmäler aus der sowjetischen Zeit, die sagen nicht viel aus, weil in der Sowjetunion an einzelne Opfergruppen nicht erinnert wurde, also friedliche Sowjetbürger liegen dort laut Inschrift begraben."

Deutsche und Ukrainer arbeiten gemeinsam an einer neuen Erinnerungskultur. Die Ex-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck will helfen, Wissenslücken zu schließen, die sie mit einem Zitat aus dem Buch "Bloodlands" von Timothy Snyder beschreibt:
"Euer Synonym für die Shoa ist Auschwitz, aber damit seht ihr nur einen Teil der Shoa. Auschwitz seht ihr nur, weil es Überlebende gab, die erzählen konnten. Den Teil der Shoah, der die Shoa durch Kugeln gewesen ist, den seht ihr nicht, weil es keine Überlebenden gab und gibt."
Josef Zissels in der Trauerhalle des Jüdischen Friedhofs Czernowitz, in der ein Holocaust-Museum entstehen soll
Josef Zissels in der Trauerhalle des Jüdischen Friedhofs Czernowitz, in der ein Holocaust-Museum entstehen soll.© Deutschlandradio / Sabine Adler

Abenteuerliche Umdeutung der Geschichte

Das einst jüdisch dominierte Czernowitz in der Bukowina zählte zu dem Gebiet, das - entsprechend dem Hitler-Stalin-Pakt und dessen geheimen Zusatzprotokoll - die beiden Diktatoren vor 80 Jahren unter sich aufteilten. Der Pakt erfahre derzeit in Russland eine abenteuerliche Umdeutung, berichtet die russische Historikerin Irina Scherbakowa:
"Sie ist noch fast schlimmer als die sowjetische Sicht, weil Stalin nicht nur reingewaschen, sondern fast glorifiziert wird, und als der Sieger dasteht. Da wird nicht nur der Hitler-Stalin-Pakt absolut verneint, sondern von unserem Außenamt indirekt gesagt, dass Polen daran schuld war. Nicht nur an diesem Pakt, sondern an der Entfesselung des zweiten Weltkrieges. Das sind unglaubliche Sachen, die konnte man sich nicht mal in der sowjetischen Ideologie vorstellen."
Die Dichterstadt Czernowitz, wo auch Paul Celan geboren wurde, gehörte erst zur österreichisch-ungarischen k.u. k.-Monarchie, dann zu Rumänien und zur Sowjetunion. Mit deutscher Hilfe entsteht in dem heute ukrainischen Ort ein Holocaust-Museum, das neben den Opfern die Täter benennen wird. Die kamen aus Deutschland und aus Rumänien, wo man erst beginnt, sich der Mitschuld zu stellen, sagt der rumänische Historiker Ottmar Trasca:
"Jetzt kann man sprechen über den Holocaust. In den 90er Jahren war das viel schwerer. Das war ein Tabu. Viele konnten nicht annehmen, dass der Antonescu und die rumänische Armee solche Gräuel in Bessarabien, in der Bukowina oder Transnistrien durchgeführt haben. Das war unmöglich, sie konnten es nicht glauben."

Keine Pauschalurteile gegen Ukrainer fällen

In die Verbrechen verstrickt war zum Teil auch die lokale Bevölkerung, dennoch dürfe nicht pauschal von ukrainischer Kollaboration gesprochen werden, mahnte der Kiewer Holocaust-Experte Anatolii Podolskyi, schließlich habe die Ukraine zu jener Zeit nicht existiert, außerdem seien Sowjetbürger auch aus anderen Teil-Republiken, nicht nur Ukrainer, beteiligt gewesen.

Obwohl es ihr schwerfällt, will die 84jährige Jüdin Klara Kaz, einer der wenigen Überlebenden, Zeugnis ablegen. Sie spricht auf dem Friedhof zu den Gästen. Aber nicht, damit die danach Trauer im Herzen trügen, sondern damit der Krieg nie wieder eine Chance bekomme.
Holocaust-Überlebende Klara Kaz bei Gefenkfeier auf jüdischem Friedhof in Czernowitz
Sie möchte Hoffnung und keine Trauer verbreiten: Holocaust-Überlebende Klara Kaz bei der Gefenkfeier in Czernowitz. © Deutschlandradio / Sabine Adler
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