Historiker Jürgen Zimmerer

Hartnäckiger Kämpfer gegen das Mauern der Museen

04:55 Minuten
Der Historiker Jürgen Zimmerer hält eine Ansprache bei einem Empfang des Hamburger Senats zur Eröffnung der Ausstellung "Unser Afrika" im Juni 2018.
Jürgen Zimmerer ist Professor für die Geschichte Afrikas und Leiter der Forschungsstelle "Hamburgs postkoloniales Erbe" an der Universität Hamburg. © imago Images / Chris Emil Janßen
Von Axel Schröder |
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Jürgen Zimmerer lässt nicht locker, wenn es um geraubte Kunst, Völkermord, Kolonialismus, Rassismus und die "Benin-Bronzen" geht - damit hat der Historiker auch schon die Bundeskanzlerin genervt. Jetzt startet er eine Vorlesungsreihe in Hamburg.
Ginge es nach Jürgen Zimmerer, wäre die große Wandkarte hinter seinem Schreibtisch nie entstanden. Vor über hundert Jahren hatten deutsche Geografen Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia, akribisch vermessen und zu Papier gebracht:
"Das ist ein Faksimile der Kriegskarte der deutschen Schutztruppe unter von Trotha im Genozid an den Herero und Nama. Und das ist halt wichtig, weil da praktisch die ganzen historischen Orte, wo die Gefechte et cetera waren, aufzufinden sind."
Schätzungen gehen von bis zu 100.000 Herero und Nama aus, die erschossen wurden oder verdursteten. Deutsche Soldaten hatten die Menschen in die weite Omaheke-Wüste getrieben und danach alle Wasserlöcher mit ihren Kanonen, Gewehren und Bajonetten abgeriegelt.

Eine Verordnung für Ausbeutung

Der deutsche Kolonialismus kam spät, aber dafür umso gründlicher und brutaler, sagt Zimmerer:
"Das Systematische der Ausbeutung – das hatte mich damals schon eigentlich beschäftigt. Ausgebeutet haben Kolonialisten immer. Aber in Deutsch-Südwestafrika hat man dazu eine Verordnung erlassen. Da hat man dazu die Obrigkeit genau geregelt. Wie viel Hiebe darf man jemandem geben? Wie dick darf das Tauende sein, welche Peitsche ist noch erlaubt? Darf man Schwangere auspeitschen oder nicht? Und ich stand davor und dachte: 'Das kann ja nicht wahr sein!'"
Die Idee einer überlegenen weißen Rasse, die Rassenlehre, die Entmenschlichung und Vernichtung der "Anderen" gab es eben schon lange vor dem Aufstieg der Nationalsozialisten, nicht nur in Deutschland.

Merkel mahnte: "Lassen Sie es doch gut sein!"

Dass die von deutschen Truppen massenhaft geraubten Kunstschätze aber noch heute in den Kellern und Archiven von medizinischen Sammlungen und deutschen Museen lagern, findet der Historiker unerträglich. Und weil viele Museen sich bei dem Thema lieber wegducken, geht Zimmerer mit dem Thema an die Öffentlichkeit. Nach der Entscheidung des Berliner Humboldt-Forums, das Publikum zur Eröffnung mit ebenfalls geraubten, so genannten Benin-Bronzen zu beeindrucken, schlug Zimmerer vor, es doch umzubenennen in "Benin-Forum".
Seine Ideen und seine Sturheit gefallen nicht jedem. Anfang des Jahres attestierte ihm sogar die Bundeskanzlerin eine besondere Hartnäckigkeit:
"Im Februar waren wir zum Abendessen eingeladen bei ihr. Einige Museumsleute und ich. Unter anderem auch der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Und die Bundeskanzlerin sagte dann irgendwann: 'Herr Professor Zimmerer! Lassen Sie es doch endlich gut sein! Sie haben ja viel erreicht!' Das bezog sich auf meine Forderung, das Humboldt-Forum in 'Benin-Forum' umzubenennen. 'Wie kommen Sie auf diese Idee? Und lassen Sie es doch gut sein!'"

Gegen "koloniale Amnesie" in Deutschland

Aber genau das macht Jürgen Zimmerer nicht. Die gestern von ihm eröffnete Vorlesungsreihe trägt den Titel: "Humboldt, und was nun?" Es geht um die Rückgabe, die Restitution von Raubkunst aus den deutschen Kolonien. Die Vorlesungen an der Uni Hamburg halten der senegalesische Professor Felwine Sarr, der Generalintendant des Humboldt-Forums Hartmut Dorgerloh und die Expertin für das französische, von Emmanuel Macron angestoßene Restitutionsprogramm, Bénédicte Savoy vom Collège de France.
Zimmerer selbst sprach gestern Abend über die Verbindung zwischen der Raubkunst- und Rückgabe-Debatte und der derzeit so heiß diskutierten deutschen Identität. Darüber, wie wichtig es ist, die Vergangenheit, die Wurzeln des deutschen Rassismus zu verstehen:
"Weil das Nicht-Aufarbeiten, die koloniale Amnesie Folgen hat, die unsere Gesellschaft mit zersetzt. Der Rassismus, der jetzt wieder hochkommt, hat auch etwas damit zu tun, dass wir über manche Wurzeln des Rassismus nie geredet haben."

Öffnet die Inventare!

Gerade erst hat er deshalb zusammen mit 20 Unterstützerinnen und Unterstützern einen Appell in der "Zeit" veröffentlicht. Titel: "Öffnet die Inventare!" Dass die völkerkundlichen Sammlungen der deutschen Museen am Ende mit leeren Regalen dastehen, dieses Szenario muss in Deutschland niemand fürchten, sagt Jürgen Zimmerer:
"Da ist ja in der Restitutionsdebatte ein Zerrbild aufgebaut worden: 'Alle Museen werden leer!' Ein Großteil der Objekte sind Alltagsgegenstände, sind Massengegenstände, die auch niemand zurückfordert. Und dann gibt es Objekte wie die 'Benin-Bronzen', da gibt es insgesamt etwa 4.000 weltweit. Da könnte man sich ja auch noch einigen. Sie müssen sich ja auch vorstellen: Im Humboldt-Forum sind 550 Benin-Bronzen, im Humboldt-Forum sollen 230 gezeigt werden. Das heißt, die Hälft wurde nue gezeigt, wird nie gezeigt."
Noch würden viele Museen aber mauern, aus lauter Angst, etwas vom geraubten, so kostbaren Schatz wieder hergeben zu müssen. Also macht Jürgen Zimmerer weiter, erforscht weiter die deutsche Kolonialgeschichte und bleibt hartnäckig.
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