Historiker Herbert würdigt "Topographie des Terrors"
Angesichts der Eröffnung des Berliner Dokumentationszentrums "Topographie des Terrors" hält der Historiker Ulrich Herbert die nun fertig gestellte NS-Gedenkstätte für gelungen. Durch das schlichte, funktionale Gebäude stünden Ort und Gegenstand der Ausstellung im Mittelpunkt, sagte der Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg.
Britta Bürger: Es gilt als das wichtigste Museumsprojekt der Bundesrepublik in diesem Jahr. Ist die "Topographie des Terrors" in ihrer jetzigen Form gelungen?
Ulrich Herbert: Ja, ich glaube schon. Zunächst mal deswegen, weil es ja die alte Ausstellung ist, im Wesentlichen überarbeitet und modifiziert, also jene Ausstellung, die seit den späten 90er-Jahren im Freien gezeigt wurde in den Überresten des Kellers des ehemaligen Reichssicherheitshauptamts. Da ist nun ein Gebäude, ein sehr schlichtes, funktionales Gebäude errichtet worden, in dem diese Ausstellung zu sehen ist, sodass also der Ort und der Gegenstand im Mittelpunkt stehen und nicht etwa die ästhetische Problematik des Museumsgebäudes. Das halte ich zunächst einmal für richtig. Die Ausstellung ...
Bürger: Diese Freiluftausstellung, die hatte ja einen ganz eigenen Charakter, machte also besonders deutlich, dass es kaum noch sichtbare Spuren auf diesem Gelände gibt. Inwieweit geht jetzt dieses unmittelbare Gefühl in dem modernen Gebäude vielleicht auch verloren? Schafft es möglicherweise mehr Distanz als Nähe zum Thema?
Herbert: Na ja, also diese Unmittelbarkeit ist möglicherweise auch ein Problem, denn was zu sehen war, waren Keller eines Bürogebäudes, und daran sollte ja eigentlich gedacht werden. Es handelte sich hier um einen großen Bürokomplex, in dem die Büros der wichtigsten Verfolgungs- und Sicherheitsorgane des Dritten Reiches versammelt waren, also zunächst der Gestapo und der politischen Polizei, des Sicherheitsdienstes, dann des Reichssicherheitshauptamtes, also etwa 2000 Mitarbeiter, mit Außenstellen vielleicht noch mal 5000, die dort arbeiteten in Büros und gewissermaßen nur zur Aushilfe waren, unten einige Räume als Hausgefängnis ausgekleidet.
Das war aber nicht die Hauptaufgabe dieses riesigen Zentrums der Sicherheitsorgane des Dritten Reiches. Insofern ist die, gewissermaßen die kalte Nüchternheit, die diesen Ort umgibt, genau das Richtige, um zu verstehen, was dort passierte.
Bürger: Es gibt ja eine Vielzahl von NS-Gedenkorten und -Ausstellungen. Was kann jetzt dieses neue Dokumentationszentrum dem breiten Publikum vermitteln? Warum ist es an diesem Ort besonders wichtig?
Herbert: Nun, vielleicht, wenn man dran denkt, was in den 1970er- oder 80er-, 60er-, 70er-, 80er-Jahren dort stand, unmittelbar an der Mauer nämlich nichts, ein Müllhaufen, der das Vergessen und Verdrängen symbolisiert hat wie kaum ein anderer Ort. Außerdem wusste es fast keiner, was dort gewesen war, oder wollte es jedenfalls nicht wissen.
Und insofern war es von außerordentlicher Bedeutung, dass sich damals eine Bürgerinitiative unter der kundigen Führung des Berliner Historikers Reinhard Rürup dran gemacht hat zu erforschen, was dort eigentlich gewesen war. Und dann wurde eben sichtbar, dass die Terrorzentrale der deutschen Herrschaft in ganz Europa, beileibe nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa hier an dieser Straßenkreuzung in diesem Bürokomplex gestanden hatte.
Und so kam ein langsamer Prozess des gewissermaßen Sich-wieder-erinnern-Müssens in Gang, wer dort gesessen hatte, was dort geschah und was aus denen geworden war, die dort gearbeitet hatten. Und das ist der Kern dieser Ausstellung, an die Taten dieser Sicherheitsorgane zu erinnern, also an die Unterdrückung der politischen Gegner, der Gemeinschaftsfremden, an die Unterdrückung der Juden, dann an die Deportation der Juden aus ganz Europa, an die Morde der Einsatzgruppen, der Polizei und des SD und schließlich den Holocaust selbst, der hier erdacht und organisiert worden war, und an die Geschichte nach 45.
Denn die weit überwiegende Zahl der Funktionsträger des Sicherheitsapparates nach 1945 nicht bestraft worden, sondern zum großen Teil ins bürgerliche Leben reintegriert worden. Und diesen Gesamtkomplex stellt die Ausstellung dar, und das ist für die Geschichte der Bundesrepublik von überragender Bedeutung, weil sich dieses Land eben doch, ob es will oder nicht, in der Tradition dieses Regimes befindet und bis vor wenigen Jahren diese Täter ja noch unter uns lebten.
Bürger: Als die engagierten Bürger damals begonnen haben damit, wirklich im wahrsten Sinne des Wortes dort die Geschichte auszugraben, da gab es ja auch immer wieder den Vorwurf, es gebe auf politischer Ebene eine Scheu, den Täterort zur Schau zu stellen. Gibt es diese Scheu heute nicht mehr?
Herbert: Nein, ich glaube nicht. Aber in den 80er-Jahren war das ganz gewiss so, und heute wissen wir auch, welchen Einfluss die ehemaligen Täter über bestimmte Kanäle noch besaßen. Es ist ja so, dass nicht weit von diesem Ort entfernt in einem der großen Gerichtsgebäude in Berlin die Verfahren gegen die Reichssicherheitshauptamt ... , die führenden Funktionäre des Reichssicherheitshauptamtes angestrengt worden waren und 1969 in einer ziemlich obskuren Art und Weise dann niedergeschlagen worden sind, sodass die Führer des NS-Sicherheitsapparates nicht mehr verfolgt werden konnten.
Und dass dieses Verschweigen hat auch damit zu tun, dass die Vorstellung, es handele sich bei den NS-Tätern um Verrückte, Fanatiker, um Asoziale, wie Adenauer zum Beispiel mal gesagt hat, dass diese Überzeugung oder diese Überlegung falsch ist, sondern dass es sich um erstklassig ausgebildete Universitätsabsolventen handelte, häufig um die besten ihrer Jahrgänge, um promovierte Juristen und auch aus anderen Fächern, sehr jung, die sehr jung diese Karrieren gemacht hatten und die eben noch nach 45 diese Karrieren noch fortführen konnten. Das ist dieser Zusammenhang, das sozusagen dem Vergessen entrissen worden ist und wir damit konfrontiert werden, das ist ein bleibendes Verdienst dieser Ausstellung.
Bürger: Vor fünf Jahren, da haben Sie, Herr Herbert, zusammen mit dem Historiker Götz Aly gefordert, dass man die Neukonzeption der "Topographie des Terrors" nutzen sollte, um die NS-Verbrechen in einem Gesamtzusammenhang darzustellen, nicht hier und da regional verstreut, ja jeweils mit eingeschränkter Perspektive. Wie sehen Sie das heute? Schließt die "Topographie des Terrors" diese Lücke? Schafft sie den damals vermissten Gesamtüberblick über die NS-Verbrechen?
Herbert: Nein, das kann sie auch nicht, das ist auch nicht ihre Aufgabe. Die Initiative seinerzeit von Aly, mir und einigen anderen Kollegen, richtete sich eher darauf, dass die Vielzahl der Orte des Gedenkens gerade in Berlin, wenn ich an das Holocaust-Museum mit seinem Museum, Ort der Information, das ...
Bürger: Das Holocaustmahnmal.
Herbert: ... Holocaustmahnmahl mit dem darunter liegenden, mit der darunter liegenden Ausstellung, das Haus der Wannsee-Konferenz oder auch die Ausstellung zum Widerstand, das KZ Sachsenhausen, das ist ja alles in unmittelbarer Umgebung, sehe, dann sucht man eigentlich nach dem Verbindenden dieser ja zum Teil sehr exponierten Positionen.
Und die Frage war, gibt es eigentlich einen Ort, an dem in einer Ausstellung der Zusammenhang der NS, des NS-Regimes im Kontext gezeigt wird und nicht nur in einzelnen Ausprägungen. Die Koordination dieser verschiedenen Gedenkstätten scheint mir nach wie vor ein Problem zu sein.
Das kann aber nicht von der Topographie gelöst werden, sondern eher durch eine Koordination oder eben durch die stärkere Betonung etwa der Ausstellung im Haus der Geschichte, also im Museum der Deutschen Geschichte in Berlin, in dem man sehen kann, was hat denn nun das KZ Sachsenhausen mit dem Holocaust zu tun, was hat das Prinzip der Volksgemeinschaft mit dem Reichssicherheitshauptamt zu tun und was der Krieg mit dem Rüstungswunder und Ähnliches. Die Vielzahl der Gedenkstätten bringt zwar Informationen, aber die Problematik ist doch, ob es gelingt, diese auch in einen Zusammenhang zu stellen.
Bürger: Ein Baustein darin ist das NS-Dokumentationszentrum "Topographie des Terrors", das heute Abend in Berlin mit einem Staatsakt eröffnet worden. Darüber sprach ich mit dem Historiker Ulrich Herbert. Herr Herbert, haben sie vielen Dank!
Herbert: Ich bedanke mich auch.
Ulrich Herbert: Ja, ich glaube schon. Zunächst mal deswegen, weil es ja die alte Ausstellung ist, im Wesentlichen überarbeitet und modifiziert, also jene Ausstellung, die seit den späten 90er-Jahren im Freien gezeigt wurde in den Überresten des Kellers des ehemaligen Reichssicherheitshauptamts. Da ist nun ein Gebäude, ein sehr schlichtes, funktionales Gebäude errichtet worden, in dem diese Ausstellung zu sehen ist, sodass also der Ort und der Gegenstand im Mittelpunkt stehen und nicht etwa die ästhetische Problematik des Museumsgebäudes. Das halte ich zunächst einmal für richtig. Die Ausstellung ...
Bürger: Diese Freiluftausstellung, die hatte ja einen ganz eigenen Charakter, machte also besonders deutlich, dass es kaum noch sichtbare Spuren auf diesem Gelände gibt. Inwieweit geht jetzt dieses unmittelbare Gefühl in dem modernen Gebäude vielleicht auch verloren? Schafft es möglicherweise mehr Distanz als Nähe zum Thema?
Herbert: Na ja, also diese Unmittelbarkeit ist möglicherweise auch ein Problem, denn was zu sehen war, waren Keller eines Bürogebäudes, und daran sollte ja eigentlich gedacht werden. Es handelte sich hier um einen großen Bürokomplex, in dem die Büros der wichtigsten Verfolgungs- und Sicherheitsorgane des Dritten Reiches versammelt waren, also zunächst der Gestapo und der politischen Polizei, des Sicherheitsdienstes, dann des Reichssicherheitshauptamtes, also etwa 2000 Mitarbeiter, mit Außenstellen vielleicht noch mal 5000, die dort arbeiteten in Büros und gewissermaßen nur zur Aushilfe waren, unten einige Räume als Hausgefängnis ausgekleidet.
Das war aber nicht die Hauptaufgabe dieses riesigen Zentrums der Sicherheitsorgane des Dritten Reiches. Insofern ist die, gewissermaßen die kalte Nüchternheit, die diesen Ort umgibt, genau das Richtige, um zu verstehen, was dort passierte.
Bürger: Es gibt ja eine Vielzahl von NS-Gedenkorten und -Ausstellungen. Was kann jetzt dieses neue Dokumentationszentrum dem breiten Publikum vermitteln? Warum ist es an diesem Ort besonders wichtig?
Herbert: Nun, vielleicht, wenn man dran denkt, was in den 1970er- oder 80er-, 60er-, 70er-, 80er-Jahren dort stand, unmittelbar an der Mauer nämlich nichts, ein Müllhaufen, der das Vergessen und Verdrängen symbolisiert hat wie kaum ein anderer Ort. Außerdem wusste es fast keiner, was dort gewesen war, oder wollte es jedenfalls nicht wissen.
Und insofern war es von außerordentlicher Bedeutung, dass sich damals eine Bürgerinitiative unter der kundigen Führung des Berliner Historikers Reinhard Rürup dran gemacht hat zu erforschen, was dort eigentlich gewesen war. Und dann wurde eben sichtbar, dass die Terrorzentrale der deutschen Herrschaft in ganz Europa, beileibe nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa hier an dieser Straßenkreuzung in diesem Bürokomplex gestanden hatte.
Und so kam ein langsamer Prozess des gewissermaßen Sich-wieder-erinnern-Müssens in Gang, wer dort gesessen hatte, was dort geschah und was aus denen geworden war, die dort gearbeitet hatten. Und das ist der Kern dieser Ausstellung, an die Taten dieser Sicherheitsorgane zu erinnern, also an die Unterdrückung der politischen Gegner, der Gemeinschaftsfremden, an die Unterdrückung der Juden, dann an die Deportation der Juden aus ganz Europa, an die Morde der Einsatzgruppen, der Polizei und des SD und schließlich den Holocaust selbst, der hier erdacht und organisiert worden war, und an die Geschichte nach 45.
Denn die weit überwiegende Zahl der Funktionsträger des Sicherheitsapparates nach 1945 nicht bestraft worden, sondern zum großen Teil ins bürgerliche Leben reintegriert worden. Und diesen Gesamtkomplex stellt die Ausstellung dar, und das ist für die Geschichte der Bundesrepublik von überragender Bedeutung, weil sich dieses Land eben doch, ob es will oder nicht, in der Tradition dieses Regimes befindet und bis vor wenigen Jahren diese Täter ja noch unter uns lebten.
Bürger: Als die engagierten Bürger damals begonnen haben damit, wirklich im wahrsten Sinne des Wortes dort die Geschichte auszugraben, da gab es ja auch immer wieder den Vorwurf, es gebe auf politischer Ebene eine Scheu, den Täterort zur Schau zu stellen. Gibt es diese Scheu heute nicht mehr?
Herbert: Nein, ich glaube nicht. Aber in den 80er-Jahren war das ganz gewiss so, und heute wissen wir auch, welchen Einfluss die ehemaligen Täter über bestimmte Kanäle noch besaßen. Es ist ja so, dass nicht weit von diesem Ort entfernt in einem der großen Gerichtsgebäude in Berlin die Verfahren gegen die Reichssicherheitshauptamt ... , die führenden Funktionäre des Reichssicherheitshauptamtes angestrengt worden waren und 1969 in einer ziemlich obskuren Art und Weise dann niedergeschlagen worden sind, sodass die Führer des NS-Sicherheitsapparates nicht mehr verfolgt werden konnten.
Und dass dieses Verschweigen hat auch damit zu tun, dass die Vorstellung, es handele sich bei den NS-Tätern um Verrückte, Fanatiker, um Asoziale, wie Adenauer zum Beispiel mal gesagt hat, dass diese Überzeugung oder diese Überlegung falsch ist, sondern dass es sich um erstklassig ausgebildete Universitätsabsolventen handelte, häufig um die besten ihrer Jahrgänge, um promovierte Juristen und auch aus anderen Fächern, sehr jung, die sehr jung diese Karrieren gemacht hatten und die eben noch nach 45 diese Karrieren noch fortführen konnten. Das ist dieser Zusammenhang, das sozusagen dem Vergessen entrissen worden ist und wir damit konfrontiert werden, das ist ein bleibendes Verdienst dieser Ausstellung.
Bürger: Vor fünf Jahren, da haben Sie, Herr Herbert, zusammen mit dem Historiker Götz Aly gefordert, dass man die Neukonzeption der "Topographie des Terrors" nutzen sollte, um die NS-Verbrechen in einem Gesamtzusammenhang darzustellen, nicht hier und da regional verstreut, ja jeweils mit eingeschränkter Perspektive. Wie sehen Sie das heute? Schließt die "Topographie des Terrors" diese Lücke? Schafft sie den damals vermissten Gesamtüberblick über die NS-Verbrechen?
Herbert: Nein, das kann sie auch nicht, das ist auch nicht ihre Aufgabe. Die Initiative seinerzeit von Aly, mir und einigen anderen Kollegen, richtete sich eher darauf, dass die Vielzahl der Orte des Gedenkens gerade in Berlin, wenn ich an das Holocaust-Museum mit seinem Museum, Ort der Information, das ...
Bürger: Das Holocaustmahnmal.
Herbert: ... Holocaustmahnmahl mit dem darunter liegenden, mit der darunter liegenden Ausstellung, das Haus der Wannsee-Konferenz oder auch die Ausstellung zum Widerstand, das KZ Sachsenhausen, das ist ja alles in unmittelbarer Umgebung, sehe, dann sucht man eigentlich nach dem Verbindenden dieser ja zum Teil sehr exponierten Positionen.
Und die Frage war, gibt es eigentlich einen Ort, an dem in einer Ausstellung der Zusammenhang der NS, des NS-Regimes im Kontext gezeigt wird und nicht nur in einzelnen Ausprägungen. Die Koordination dieser verschiedenen Gedenkstätten scheint mir nach wie vor ein Problem zu sein.
Das kann aber nicht von der Topographie gelöst werden, sondern eher durch eine Koordination oder eben durch die stärkere Betonung etwa der Ausstellung im Haus der Geschichte, also im Museum der Deutschen Geschichte in Berlin, in dem man sehen kann, was hat denn nun das KZ Sachsenhausen mit dem Holocaust zu tun, was hat das Prinzip der Volksgemeinschaft mit dem Reichssicherheitshauptamt zu tun und was der Krieg mit dem Rüstungswunder und Ähnliches. Die Vielzahl der Gedenkstätten bringt zwar Informationen, aber die Problematik ist doch, ob es gelingt, diese auch in einen Zusammenhang zu stellen.
Bürger: Ein Baustein darin ist das NS-Dokumentationszentrum "Topographie des Terrors", das heute Abend in Berlin mit einem Staatsakt eröffnet worden. Darüber sprach ich mit dem Historiker Ulrich Herbert. Herr Herbert, haben sie vielen Dank!
Herbert: Ich bedanke mich auch.