Historienschinken und Räuberpistole
Der 2009 im Alter von 83 Jahren verstorbene Theaterregisseur Peter Zadek markiert in dem postum erscheinenden Band vor allem die eigene Rolle im Theater und betreibt Namedropping der rabiatesten, aber auch vergnüglichsten Sorte.
Der Regisseur Peter Zadek erweist sich auch im letzten Teil als grandioser Erzähler seiner selbst: furios, amüsant, frech. Klar: Oft treibt das eigene Ego Zadek weit aus der Kurve, in der Überschätzung der eigenen und der Geringschätzung anderer Arbeit.
In einer Mischung aus Historienschinken und Räuberpistole markiert er vor allem die eigene Rolle im Theater der Nach-68er-Zeiten und betreibt Namedropping der rabiatesten, aber auch vergnüglichsten Sorte. Kritiker etwa (Benjamin Henrichs oder C. Bernd Sucher) oder auch Regiekollegen (Peter Stein oder Claus Peymann) ironisiert er schonungslos.
Zadeks "Wanderschaft" ab 1977 umfasst viele freie Arbeiten in München und Berlin, wo 1984 Joshua Sobols KZ-Musical "Ghetto" entsteht – die "Ghetto"-Story gehört zu den empfindsamsten Passagen im Buch. 1985 folgt wieder eine Intendanz, am Hamburger Schauspielhaus. Sie wird zur traumatischen Erfahrung – weil der Künstler Zadek zu wenig Verständnis findet, weder bei der Hamburger Politik (wobei er seinerseits auch kein Verständnis für politische Zwänge aufbringt) noch bei der Theaterkritik, die ihrerseits am allerliebsten Politik macht. Zadek reagiert immer öfter mit Krankheit. Dabei bleiben mit "Andi" (nach einem Text von Burkhard Driest und mit der Musik von "Einstürzende Neubauten") und Frank Wedekinds "Lulu" durchaus Großtaten in Erinnerung – letztlich aber flieht Zadek.
Zu tun hat er ja immer genug – liebevoll erzählt Zadek von seiner "Familie", den Schauspielergrößen im Kreis um Ulrich Wildgruber, Eva Mattes und Hermann Lause. Nur mit ihnen kann er wirklich zur eigenen Arbeit finden. Wo er das tut, ist eigentlich wurscht.
Dass er nach der fatalen Hamburger Zeit noch einmal eine Intendanz riskiert – mit Matthias Langhoff, Heiner Müller, Fritz Marquardt und Peter Palitzsch am "Berliner Ensemble" – hält Zadek, der exilierte Berliner Jude, für eine politische, einheitsstiftende Entscheidung. Doch er unterschätzt die unterschiedlichen Theatersprachen, die vier Jahrzehnte lang nebeneinander in DDR und BRD entstanden sind. Den Ostlern im "BE", Müller vor allem und dem zutiefst verachteten Marquardt, tritt Zadek mit einer Haltung gegenüber, die er selbst für weltbürgerlich und also wohlwollend hält – falscher geht's nicht. Die Gräben sind unüberbrückbar. Nach dieser kurzen Berliner Zeit bleiben noch bald eineinhalb Jahrzehnte für Meister-Inszenierungen der Werke von Shakespeare, Tschechow und Ibsen, aber auch Risiko-Stücke wie "Gesäubert" von Sarah Kane. "Timon von Athen" war sein letzter Plan, Shakespeares Stück über die zerstörerische Wirkung von Gier und Besitz.
Mehr und mehr kommt Zadek die "Familie" abhanden. Wildgruber nimmt sich in der Nordsee das Leben, auch Lause stirbt früh. Noch einmal sucht Zadek eine neue "Familie" – und findet Julia Jentsch, August Diehl, zum Schluss noch Robert Hunger-Bühler. Aber die letzten Arbeiten zeigen auch zunehmende Schwäche, abnehmende Kraft. Dies in der eigenen Autobiografie zu erkennen, womöglich gar zu thematisieren, hätte zuviel Selbstkritik erfordert am Ende eines einzigartigen Lebens.
Besprochen von Michael Laages
Peter Zadek, Die Wanderjahre. 1980-2009,
hg. und mit einem Vorwort von Elisabeth Plessen,
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2010, 519 S., 24,95 EUR
Links bei dradio.de:
Theaterregisseur Peter Zadek ist tot - Ein Nachruf
In einer Mischung aus Historienschinken und Räuberpistole markiert er vor allem die eigene Rolle im Theater der Nach-68er-Zeiten und betreibt Namedropping der rabiatesten, aber auch vergnüglichsten Sorte. Kritiker etwa (Benjamin Henrichs oder C. Bernd Sucher) oder auch Regiekollegen (Peter Stein oder Claus Peymann) ironisiert er schonungslos.
Zadeks "Wanderschaft" ab 1977 umfasst viele freie Arbeiten in München und Berlin, wo 1984 Joshua Sobols KZ-Musical "Ghetto" entsteht – die "Ghetto"-Story gehört zu den empfindsamsten Passagen im Buch. 1985 folgt wieder eine Intendanz, am Hamburger Schauspielhaus. Sie wird zur traumatischen Erfahrung – weil der Künstler Zadek zu wenig Verständnis findet, weder bei der Hamburger Politik (wobei er seinerseits auch kein Verständnis für politische Zwänge aufbringt) noch bei der Theaterkritik, die ihrerseits am allerliebsten Politik macht. Zadek reagiert immer öfter mit Krankheit. Dabei bleiben mit "Andi" (nach einem Text von Burkhard Driest und mit der Musik von "Einstürzende Neubauten") und Frank Wedekinds "Lulu" durchaus Großtaten in Erinnerung – letztlich aber flieht Zadek.
Zu tun hat er ja immer genug – liebevoll erzählt Zadek von seiner "Familie", den Schauspielergrößen im Kreis um Ulrich Wildgruber, Eva Mattes und Hermann Lause. Nur mit ihnen kann er wirklich zur eigenen Arbeit finden. Wo er das tut, ist eigentlich wurscht.
Dass er nach der fatalen Hamburger Zeit noch einmal eine Intendanz riskiert – mit Matthias Langhoff, Heiner Müller, Fritz Marquardt und Peter Palitzsch am "Berliner Ensemble" – hält Zadek, der exilierte Berliner Jude, für eine politische, einheitsstiftende Entscheidung. Doch er unterschätzt die unterschiedlichen Theatersprachen, die vier Jahrzehnte lang nebeneinander in DDR und BRD entstanden sind. Den Ostlern im "BE", Müller vor allem und dem zutiefst verachteten Marquardt, tritt Zadek mit einer Haltung gegenüber, die er selbst für weltbürgerlich und also wohlwollend hält – falscher geht's nicht. Die Gräben sind unüberbrückbar. Nach dieser kurzen Berliner Zeit bleiben noch bald eineinhalb Jahrzehnte für Meister-Inszenierungen der Werke von Shakespeare, Tschechow und Ibsen, aber auch Risiko-Stücke wie "Gesäubert" von Sarah Kane. "Timon von Athen" war sein letzter Plan, Shakespeares Stück über die zerstörerische Wirkung von Gier und Besitz.
Mehr und mehr kommt Zadek die "Familie" abhanden. Wildgruber nimmt sich in der Nordsee das Leben, auch Lause stirbt früh. Noch einmal sucht Zadek eine neue "Familie" – und findet Julia Jentsch, August Diehl, zum Schluss noch Robert Hunger-Bühler. Aber die letzten Arbeiten zeigen auch zunehmende Schwäche, abnehmende Kraft. Dies in der eigenen Autobiografie zu erkennen, womöglich gar zu thematisieren, hätte zuviel Selbstkritik erfordert am Ende eines einzigartigen Lebens.
Besprochen von Michael Laages
Peter Zadek, Die Wanderjahre. 1980-2009,
hg. und mit einem Vorwort von Elisabeth Plessen,
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2010, 519 S., 24,95 EUR
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Theaterregisseur Peter Zadek ist tot - Ein Nachruf