Hirschgeweihe und verspiegelte Helme

Von Carsten Probst · 12.03.2011
Besonders der strenge und von lauter gläsernen Wänden umgebene oberirdische Pavillon der Neuen Nationalgalerie Berlin gilt als für die Kunst kaum bespielbarer Ort, und Udo Kittelmann, ihr aktueller Direktor, sucht seit seinem Amtsantritt redlich nach zeitgemäßen Kunst-Lösungen für das Gebäude.
Apparatjik wirken auf den ersten Blick eigentlich wie eine gelungene Überraschung. Der illuminierte Kubus, den sie in der Raummitte des riesigen Obersaales der Neuen Nationalgalerie platziert haben, spiegelt sich bei Dunkelheit in den umgebenden Glaswänden. Die ersten Licht- und Soundsequenzen zeigen in einer gefälligen Kollage die Lichter der Großstadt, die sich so über die tatsächlichen Lichter der Umgebung am Kulturforum und dem Potsdamer Platz legen.

Eine Idee, für die vielleicht auch ein Laszlo Moholy-Nagy Sympathien entwickelt hätte, auf dessen Licht-Raum-Modulator von 1930 sich Apparatjik zumindest ideell mit ihrer Installation beziehen wollen. Der Licht-Raum-Modulator war ein von dem Bauhaus-Lehrer erfundenes Gerät, bei dem mechanisch sich drehende Teile unter wechselnder Beleuchtung Schattenspiele und den beständigen Wechsel von Formen bewirkten und so wie ein dynamisches abstraktes Theater wirkten. Apparatjik hatten nun die Idee, in der Kombination von Moholy-Nagys Schattenspielen und Mies van der Rohes kubischer Architektur eine neue, populäre Interpretation des Bauhaus-Gedankens zu geben, wie Guy Berrymen erläutert, der im Hauptberuf eigentlich Bassist der Band Coldplay ist:

"Was Sie inhaltlich bei der Show sehen werden, entstammt dem Zusammenspiel einer ganzen Reihe verschiedener Disziplinen aus Kunst, Architektur, Wissenschaft, Musik und Mode. Lauter Dinge, die wir während unserer Zusammenarbeit gesammelt und auf die wir bei dem Produktionsprozess geantwortet haben. Nehmen wir nur die Diagramme, die man ganz am Anfang auf den Flächen des Kubus sieht. Sie wurden von Max Tegmark geschaffen, der ein bekannter Astrophysiker ist, von dessen Theorien wir einiges gelesen und den wir dann für dieses Projekt mehrmals interviewt haben."

Max Tegmark zählt zu den Begründern einer neuen Theorie von Soundwellen im Universum, was zum futuristisch angehauchten Look der Band ganz gut passt. Ob jeder diese Theorie auch versteht, ist eine andere Frage. Vieles vom Auftritt der Band hat etwas Zitathaftes. In einem Einspielvideo ironisieren sich die vier Bandmitglieder selbst mit gemorphten Gesichter und übergroßen Augen, während sie klassische Allerweltstatements aus der sendungsbewussten Welt der Kunstszene abgeben. Eigentlich kein schlechter Anfang. Dann marschieren sie durch das Publikum auf den Kubus zu, in Kostümen, die mit ihren Hirschgeweihen, ihren verspiegelten Helmen und den Roboterbewegungen wie eine Mischung aus Laibach, Kraftwerk und Daft Punk wirken. Martin Terefe:

"Natürlich ist das hier ein außerordentlicher Ort für einen Auftritt, und im übrigen auch der größte, an dem wir bislang in dieser Formation je aufgetreten sind. Im Vergleich mit unserem Auftritt bei der transmediale 2010 ist es schon eine größere Herausforderung, schon allein um die technische Umsetzung zu lösen."

Auf dem Berliner Medienkunstfestival transmediale hatte Udo Kittelmann die Performance der vier vergangenes Jahr gesehen und war auf die Idee gekommen, mit ihnen anlässlich von Mies van der Rohes 125. Geburtstag einen weiteren Versuch zu unternehmen, die Neue Nationalgalerie für ein jüngeres, vielleicht noch nicht restlos für Kunst interesiertes Publikum zu öffnen. Guy Berrymen:

"Eine Menge Leute sind natürlich der Ansicht, dass wir eigentlich nicht hier hineingehören, und in gewisser Hinsicht stimmen wir ihnen auch zu. Unser Projekt fällt irgendwie zwischen alle Kategorien. Es ist kein reines Kunstprojekt, aber auch nicht wirklich ein Musikprojekt. Es ist schwer einzuordnen. Wir erkunden und fordern heraus die Art und Weise, wie die Leute uns wahrnehmen. Deswegen ist die Tatsache, dass wir gerade in diesem Haus hier auftreten auch so etwas wie eine ständige Frage an das Publikum, die wir in den Köpfen auslösen wollen."

Nach einem hoffnungsvollen Beginn steigen also die Musiker in den leuchtenden Kubus und machen sich ans Musizieren. Von innen werden ihre Schatten auf die Oberflächen des Kubus projiziert, doch die Illusionen über eine Wiederauferstehung der großen Zeiten von Laibach oder der Band Bauhaus zerstieben in diesem Moment ziemlich jäh. Über eine leicht experimentelle Version von A-ha-Sounds der 80er-Jahre kommen Apparatjik leider nicht hinaus. Vielleicht sollte Udo Kittelmann den Leuchtkubus für die Nationalgalerie einfach öfter ausleihen und sich einen Berater für gute experimentelle Popmusik holen. Den Versuch wäre es wert.