Hirsch: Situation von Armutsflüchtlingen muss verbessert werden

19.02.2013
Die Europaabgeordnete Nadja Hirsch (FDP) fordert, dass sich sowohl der Bund als auch die EU finanziell an der Integration von Armutsflüchtlingen aus Osteuropa beteiligen. Die Kosten der verstärkten Zuwanderung aus Osteuropa könnten die Kommunen nicht allein tragen.
André Hatting: Es ist die berühmte Wahl zwischen Pest und Cholera: Viele Roma werden in Rumänien diskriminiert, bekommen keine Arbeit, schlagen sich irgendwie durch. Wenn sie in einen anderen EU-Staat fliehen – Deutschland zum Beispiel –, geht es ihnen aber nicht viel besser. Ihre Not wird ausgenutzt, überteuerte Mieten und Dumpinglöhne für teilweise drei Euro die Stunde, wenn der Arbeitgeber überhaupt zahlt. Trotzdem kommen immer mehr, die aktuellsten Zahlen sind von 2011, da waren es 150.000 – doppelt so viele wie 2007.

Diese Armutszuwanderung überfordert die Kommunen, warnt jetzt der deutsche Städte- und Gemeindetag. Das Problem könnte sich ab Januar nächsten Jahres deutlich verschärfen, denn dann gilt auch für die EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien die Arbeitnehmerfreizügigkeit, das heißt, ihre Bürger dürfen überall in der Union arbeiten und haben vollen Anspruch auf Sozialleistungen. Nadja Hirsch sitzt für die FDP in Europaparlament und ist dort stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. Guten Morgen, Frau Hirsch!

Nadja Hirsch: Guten Morgen!

Hatting: Die deutschen Städte schlagen Alarm – Sie haben den europäischen Blick. Ist Deutschland tatsächlich besonders stark von Armutszuwanderung betroffen?

Hirsch: Deutschland merkt natürlich die Zuwanderung aus Bulgarien und auch schon speziell Rumänien, aber nicht nur und auch nicht seit gestern. Also das Problem ist, glaube ich, am akutesten oder am besten in das Bewusstsein der Leute gekommen, als sie vor zwei Jahren das Thema in Frankreich hatten, als die Roma dort zurückgeschickt wurden.

Hatting: Sie haben es angesprochen, das Problem ist nicht so wahnsinnig neu. Eigentlich begann es ja schon mit der EU-Osterweiterung, und die Kommunen in Deutschland sehen sich jetzt so ein bisschen als Reparaturbetrieb für Unterlassungen von damals. Müsste die EU das Geld dafür bereitstellen?

Hirsch: Aus kommunaler Sicht besteht in vielen Bereichen dringender Handlungsbedarf. Also dass diese Zuwanderung vor allem auch von bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen, die oft keine Sprachkenntnisse haben – das Thema von sozialer Absicherung haben Sie angesprochen, oder auch perspektivisch, also eine berufliche Perspektive –, das sind tatsächlich Themen, die vor Ort am ehesten bei den Kommunen aufschlagen, weil die versuchen müssen, natürlich hier diese Menschen zu integrieren.

Insofern – und das verursacht natürlich auch Kosten –, ja, insofern denke ich, können die Kommunen nicht alleine die Kosten aufbringen für Integrationskurse, Wohnraum et cetera, und insofern ist sowohl der Bund gefragt in der Hinsicht innerhalb Deutschlands, aber auch auf europäischer Ebene gibt es ja Programme wie zum Beispiel den europäischen Sozialfonds, der ganz gezielt sowohl zum Beispiel in Deutschland, in den deutschen Kommunen, eingesetzt werden könnte oder kann, aber auch vor Ort, also in Rumänien, in Bulgarien, um die Situation vor Ort einfach auch besser werden zu lassen.

Hatting: Das ist das, was Bundesinnenminister Friedrich auch möchte, er weist mit dem Finger auf die Herkunftsländer. Rumänien zum Beispiel, da sollen die Roma einfach besser integriert werden. Macht er sich das damit etwas einfach?

Hirsch: Er macht sich es insofern einfach, als dass natürlich die Menschen, die bereits hier sind und in den Kommunen sind, nicht wieder – ich gehe davon aus – nicht zwingend wieder sofort zurückgehen werden. Aber es ist natürlich trotzdem richtig, dass die Menschen ja auch oft gerne in Rumänien und Bulgarien bleiben würden, wenn sie dort eine Perspektive haben.

Deswegen haben wir auch als Europäisches Parlament schon vor zwei Jahren eine Roma-Strategie beschlossen, die eben genau das besagt, dass einfach vor Ort es eine gesamteuropäische Aufgabe ist, also Integration von Armutsflüchtlingen, Bekämpfung der Diskriminierung von Minderheiten ist eine gesamteuropäische Aufgabe. Das heißt, in den Mitgliedsstaaten auf kommunaler Ebene, egal ob das jetzt im Aufnahmeland ist oder im Herkunftsland, und eben die EU, die auch eine Strategie da zur Verfügung stellen kann.

Hatting: Sie haben jetzt vorhin vom Sozialfonds gesprochen, nun hat der EU-Rat ja gerade beschlossen, den Haushalt zu kürzen, und zwar auch die Strukturfördermaßnahmen, sehr zur Freude auch der deutschen Regierung an der die FDP beteiligt ist.

Hirsch: Ja, das ist die Position der FDP im Bundestag, jetzt wir als FDP im europäischen Parlament finden die Einigung, die seitens des Rates erreicht worden ist, nicht sehr glücklich, weil eben viele wichtige Aspekte eines europäischen Haushaltes eben nicht berücksichtigt werden. Es ist ein Kompromiss, der sicherlich aus Sicht der Mitgliedsstaaten per se nicht verkehrt ist, wenn man die europäische Dimension sieht – und wir haben jetzt gerade einen einzigen Aspekt angesprochen, wir haben noch viele andere Aspekte, die sicherlich sich in dem aktuellen Entwurf nicht wiederfinden –, dann ist es sicherlich kein guter Haushaltsentwurf.

Hatting: Jetzt haben wir viel über Geld gesprochen, man müsste vielleicht auch über gesetzliche Regelungen nachdenken, zum Beispiel welche, die verhindern, dass Menschen, die nach Deutschland kommen, nicht mehr in Schrottimmobilien gepfercht werden können.

Hirsch: Das ist auch ein ganz typisches Vorkommnis in dem Fall, Sie haben es angesprochen. Hier können natürlich vor Ort ganz gezielt die Kommunen tätig werden, es gibt Regelungen, wann eine Immobilie privat genutzt werden darf, also will heißen, wir haben ja die Unterscheidung zwischen Gewerbe und privater Nutzung, und da müssen die Gemeinden wirklich vor Ort schauen, ob Immobilien diesen Standard auch erfüllen.

Hatting: Wir reden viel über das in Anführungszeichen "Problem" der Armutszuwanderung, aber eigentlich könnte man die Arbeitskräfte ja auch nutzen, denn es sind ja auch Fachkräfte darunter, also helfen statt sparen, besser integrieren durch Sprachkurse et cetera, um auch dieses Potential abzuschöpfen, oder?

Hirsch: Ja, absolut, also wir haben sicherlich auch Menschen mit dabei, die gerne hier her kommen, gerne arbeiten, die vielleicht noch nicht die optimale Ausbildung haben, weil sie auch noch nicht die Chance gehabt haben, insofern ist es da natürlich absolut notwendig, Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen anzubieten, um den Menschen dann auch die Möglichkeit eben zu bieten, in einen Arbeitsmarkt reinzugehen, wo sie vielleicht auch die Chance haben, eben eine gewisse qualitativ hochwertige Arbeit auch zu machen und dann nicht zwingend einfach nur auf einen sehr geringen Lohn irgendwo was arbeiten müssten.

Hatting: Nadja Hirsch, FDP, Mitglied des Europaparlaments und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Hirsch!

Hirsch: Vielen Dank!


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