Hirsch: Es fehlen klare Antworten

Moderation: Birgit Kolkmann · 04.01.2008
Der ehemalige Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch hat die Spitze seiner Partei kritisiert. Bei allen Führungskräften der FDP vermisse er die Nachhaltigkeit der Aussagen. Zu dem Strategiepapier des ehemaligen Parteivorsitzenden Wolfgang Gerhardt meinte Hirsch: "Es lässt mich ein wenig ratlos."
Birgit Kolkmann: Was macht eigentlich die FDP, fragt diese Woche süffisant das Nachrichtenmagazin "Focus". Zentraler Satz: Stell dir vor, es ist FDP und keiner schaut hin – und das, obwohl am Sonntag wieder Dreikönigstreffen in Stuttgart ist, traditionell der Tag, an dem sich die Liberalen zu Jahresbeginn in Szene setzen. In der Bundestagsopposition ist die FDP kaum wahrnehmbar, in den Medien auch nicht. In dieser Woche ist es anders, nicht nur wegen des bevorstehenden Dreikönigstreffens, sondern wegen eines Strategiepapiers, das Ex-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt, jetzt Vorsitzender der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, gerade veröffentlicht hat. Unter dem Titel "Für Freiheit und Fairness" versammelt er alte liberale Forderungen und präsentiert seinen Rücktritt vom Rücktritt, er will nämlich doch wieder für den Bundestag kandidieren. Beim Parteichef Westerwelle kommt das gar nicht gut an, er fühlt sich durch Interviewäußerungen von Gerhardt angegriffen. Wir sind jetzt mit dem FDP-Innenpolitiker und ehemaligen Bundestagsvizepräsidenten Burkhard Hirsch verbunden. Schönen guten Morgen!

Burkhard Hirsch: Schönen guten Morgen!

Kolkmann: Herr Hirsch, wie erklären Sie sich die innerparteiliche Aufregung um das Gerhardt-Papier?

Hirsch: Ja, ich verstehe sie nicht. Ich meine, dass "Focus" mit der FDP nicht sehr freundlich ist, das wissen wir. Jeder soll seinen Beitrag leisten. Wenn man dieses Papier von Herrn Gerhardt liest, dann muss ich sagen, es lässt mich ein bisschen ratlos, nicht wegen einer angekündigten Kandidatur, sondern es endet ja mit der Aufforderung, dass politische Führung bedeutet und dass liberale Politik bedeutet, den Freiheitsgedanken zu vertreten, eine liberale Haltung zu vermitteln. Also sage ich mal: Fangt doch an! Macht’s doch! Wer hindert sie daran, es zu tun?

Kolkmann: Wenn Gerhardt das macht und das zum fünfzigjährigen Jubiläum der Friedrich-Naumann-Stiftung in solch einer appellativen Form, könnte man auf die Idee kommen, dass die FDP ihr Potenzial im Augenblick nicht ausschöpft.

Hirsch: Ja, den Eindruck muss man haben, aber das darf man natürlich nicht alleine bei Herrn Gerhardt oder bei Herrn Westerwelle abladen. Die Führung einer Partei besteht ja aus dem Präsidium, aus dem Bundesvorstand, aus der Bundestagsfraktion. Da erwarte ich nun, wenn die Beteiligten erkennen, dass sie bestimmte publizistische Defizite haben oder in der Darstellung, dass sie sich nun an dieser Diskussion beteiligen. Herr Gerhardt stellt ja eine Analyse dar, er stellt mehr Fragen, als er beantwortet. Man fragt sich nun, gut, wenn ihr also die Probleme seht, wie wollt ihr sie lösen?

Kolkmann: Man fragt sich, wo sind denn die Protagonisten der FDP im Augenblick abgeblieben, sowohl bei den steuerlichen und wirtschaftlichen Experten, und vor allen Dingen in der Debatte um die innere Sicherheit, um den Datenschutz, hat sich die FDP nicht sonderlich profiliert. Hat sie Angst vor dem Streit, vor der Auseinandersetzung mit dem Innenminister?

Hirsch: Nein, in dem letzten Punkt muss ich Ihnen ausdrücklich widersprechen. Die FDP-Fraktion hat ja dieses wirklich merkwürdige Vorratsdatenspeicherungsgesetz vehement abgelehnt. Ich denke, dass Herr Stadler, Frau Leutheusser in der Fraktion und im Bundestag eine wirklich wichtige und gute Rolle spielen.

Kolkmann: Was ist mit der Steuer- und Wirtschaftspolitik? Wo sind Solms, Thiele und Brüderle?

Hirsch: Die Kollegen, die Sie genannt haben, haben sich ja zur Erbschaftssteuerfrage geäußert, zu einer ganzen Reihe … Die Frage ist immer, was bewegt die Leute wirklich und wie kommen sie als Opposition in den Medien durch? Ich glaube nicht, dass das Problem der FDP in diesen Bereichen liegt, sondern darin, dass die Positionen, die sie vertritt, dass sie nachhaltiger vertreten werden müssen und eindeutiger. Ich komme noch mal zurück auf das Papier von Herrn Gerhardt. Die demographischen Probleme werden dargestellt, also, dass die Altersversorgung auf eine neue Basis gestellt werden muss. Aber es fehlt die Antwort, wie die Basis aussehen soll und wie man dahin kommen will. Oder es wird gesagt, Mindestlöhne schaffen keine Arbeitsplätze. Richtig, aber wie wollen wir verhindern, dass der Wettbewerb dazu benutzt wird, um an die staatlichen Mittel heranzukommen und sie auszubeuten durch diejenigen, die die Löhne zahlen, von denen man nicht mehr leben kann? Oder Gerhardt stellt dar, dass die Bildungssysteme geradezu entscheidend sind für die Zukunft unseres Landes, aber er sagt nicht, wie er sie verändern will! Das vermisse ich eigentlich bei allen Führungskräften der FDP, nicht nur klare Fragen, sondern klare Antworten!

Kolkmann: Wenn man böse wäre, könnte man ja sagen, dass Gerhardt Allgemeinplätze versammelt hat, auf der anderen Seite entnehme ich auch dem, was Sie eben gesagt haben, dass Sie den Sachverstand bei der FDP durchaus angesiedelt sehen, nur aber dringt er nicht wirklich durch. Aber das liegt ja nun wirklich wieder am Führungspersonal! Wird der Vorsitzende der Partei nach wie vor – auch gerade von Kreisen der Industrie – als Spaßpolitiker nicht ernst genommen?

Hirsch: Das halte ich für ungerecht, das ist ja unbestreitbar, dass er einer der – jedenfalls in der Opposition –, einer der besten Redner des Bundestages ist. Aber was eben fehlt, ist die Nachhaltigkeit der Aussagen, die die Fraktion insgesamt macht, also, dass sie nicht nur Fragen stellt, die richtigen Fragen stellt, sondern die Fragen auch richtig beantwortet.

Kolkmann: Wie wichtig wäre es denn jetzt, Gas zu geben, auch im Hinblick auf die Bundestagswahl 2009?

Hirsch: Na, wir haben erst mal zwei Landtagswahlen vor uns, in Hessen und in Hamburg. Ich glaube, dass die politische Landschaft in dem gegenwärtigen Jahr geprägt sein wird von der Frage, wie die Partner der Großen Koalition miteinander umgehen und ob unter den Wahlkämpfen, denen wir entgegengehen, etwas erhalten bleibt, was in Gefahr ist, nämlich die Gemeinsamkeit der Demokraten. Natürlich muss die FDP, kann sie nicht schweigend danebenstehen. Ich bin ebenso gespannt wie mancher andere darauf, was wir am Dreikönigstag in Stuttgart hören werden.

Kolkmann: Kann die FDP auch jetzt bei den Landtagswahlen, oder je nachdem, welchen Erfolg sie bei den bevorstehenden Landtagswahlen hat, eine wichtige Visitenkarte abgeben für Koalitionsaussagen zugunsten der Union, die dann auch auf den Bund abstrahlen könnten?

Hirsch: Mir wäre es nicht so wichtig, welche Koalitionsaussage sie macht, sondern mir wäre es wichtig, dass sie eine eindeutige, liberale Politik formuliert, und dann den Wähler entscheiden lässt, welche Koalitionen sich aufgrund einer solchen Aussage bilden lassen. Das Ziel kann ja nicht sein, eine Koalitionsaussage zu machen und zu versprechen, sondern das Ziel kann doch nur sein, eine liberale Politik zu versprechen und den Leuten, den Wählern, vorher exakt zu sagen, was man im Einzelnen darunter versteht, wie man die Probleme der Menschen lösen will. Und da fehlt manches, finde ich.
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