Hirnkrankheiten

Zu viel Wasser im Kopf

Von Jutta Rosbach · 15.02.2014
Menschen mit Altershirndruck haben Gedächtnisstörungen, weshalb die Krankheit oft mit Alzheimer verwechselt wird. Doch anders als Alzheimer kann Altershirndruck geheilt oder zumindest gelindert werden - wenn die Krankheit rechtzeitig entdeckt wird.
Wer Birgit von Kameke kennenlernt, sieht eine lebhafte, attraktive Dame von 73 Jahren. Vor einem halben Jahr war sie ein Pflegefall, galt als dement. Denn sie litt unter schweren Gedächtnisstörungen, Inkontinenz und einem unsicheren Gang. Nach einem Oberschenkelbruch hatte sie das Laufen ganz verlernt.
"Da erinnere ich nicht viel. Das war ja das Schlimme, dass es bei mir so an mir vorbei gegangen ist. Da kann ich mich kaum dran erinnern."
Birgit von Kameke - ein typischer Fall von Altershirndruck oder wie der medizinisch korrekte Name lautet: Normaldruckhydrozephalus. Bei dieser Erkrankung des Gehirns schaffen es die Blutgefäße nicht mehr, das Hirnnervenwasser abzuleiten, erklärt der Hamburger Neurochirurg Uwe Kehler:
"Früher hat man geglaubt, das ist ein Problem, dass das Hirnnervenwasser nicht resorbiert werden kann. Heute weiß man aber, dass es in vielen Fällen anders ist, dass es mit dem Mechanismus der nicht mehr elastischen Gefäße zusammenhängt."
Der zunehmende Pulsdruck im Gehirn ist wie ein Presslufthammer - Er zerstört nach und nach die Hirnkammern und führt zu Symptomen wie bei einer Demenz.
"Die Symptome des Altershirndrucks sind typischerweise eine Gangstörung, eine Hirnleistungsstörung bis zur Demenz und eine Inkontinenz."
Diagnose durch Untersuchung des Hirnwassers
Doch im Unterschied zum Beispiel zu Alzheimer ist der Altershirndruck die einzige heilbare Form von Demenz. Vorausgesetzt, sie wird nicht zu spät erkannt. Nach neuesten Erkenntnissen verbirgt sich sogar viel häufiger als früher angenommen hinter einer Demenz in Wahrheit ein Altershirndruck, sagt Uwe Kehler.
"Wir haben früher gesagt, dass ein Prozent der über 65-Jährigen davon betroffen ist, mittlerweile sind die Schätzungen bei 5 Prozent, und damit entwickelt sich das sogar zu einer Volkskrankheit."
Und zwar zu einer, die laut internationalen Studien nur in jedem zehnten Fall erkannt wird. Der wichtigste Diagnose-Schritt ist eine Entnahme des Nervenwassers aus dem Rückgrat. Dadurch wird der Druck des Hirnwassers verringert. Wenn sich daraufhin die Symptome bessern, kann man davon ausgehen, dass ein Altershirndruck vorliegt. Aber Verbesserungen sind nicht immer deutlich oder eindeutig.
"Manchmal ist es nur eine Nuance besser. Und deshalb müssen wir ganz besonders auf Patienten und Angehörige hören, die sagen 'Mein Gehen ist viel besser geworden' auch wenn wir das gar nicht besonders herausbekommen oder erkennen mit unseres Tests. Das ist auch schwierig, gerade in der Früherkennung."
Sogar MRT-Bilder sind nicht immer eindeutig. Birgit von Kameke hatte Pech. Nach der Rückenmarks-Punktion ihres Nervenwassers sahen weder Ärzte noch Angehörige eine Verbesserung. Kurz danach erlitt sie einen Oberschenkelhalsbruch, baute massiv ab, saß im Rollstuhl, galt in den Augen ihrer Umwelt als dement.
"Ich hab die Strippen wieder in der Hand"
Auf Betreiben ihres Mannes schlug Uwe Kehler als letzte Möglichkeit schließlich eine sogenannte Shunt-Operation am Gehirn vor. Dabei wurde der Patientin ein Ventil in die Schädeldecke eingesetzt, überschüssiges Nervenwasser aus den Hirnkammern abgeleitet und in die Bauchhöhle abgeführt.
"Es ist aber wichtig, dass man das relativ frühzeitig durchführt, umso besser sind die Ergebnisse. Bei schwerer Demenz und Bettlägerigkeit ist das Gesamtergebnis deutlich schlechter."
Birgit von Kameke profitierte von der Shunt-OP stärker, als ihr Arzt erwartet hätte. Innerhalb einer Woche lernte sie wieder zu gehen. In den nächsten Monaten gewann sie die Kontrolle über Geist und Körper wieder. Sogar ihr Namensgedächtnis hat sich erholt. In anderen Fällen erleben Ärzte und Angehörige, dass ein länger bestehender Altershirndruck zur endgültigen Zerstörung der anliegenden Hirngefäße geführt hat. Dann gehen die Demenzsymptome gar nicht oder nur gering zurück. Birgit von Kameke hat nur eine leichte Störung des Kurzzeitgedächtnisses zurückbehalten. Für sie ist die Wirkung der Operation schlicht ein Wunder...
"Dass ich seitdem wieder klar denken kann, ich hab die Strippen in der Hand, ich bin wieder da."
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