Zeigen, wie man das Schicksal erträgt

In Joseph Roths "Hiob" am Schauspielhaus Bonn spielt der seit seinem "Wetten, dass..?"-Auftritt querschnittsgelähmte Samuel Koch einen behinderten Jungen. Regisseurin Sandra Strunz hat Figur und Rolle klug zusammengeführt.
Zum Schluss sitzt Menuchim bewegungslos auf einem Stuhl neben seinem Vater wie ein absurder Zirkusdirektor, in blaues Licht getaucht wie in einer Art Traumsequenz – und zugleich ein Mensch, der ganz real Schweres durchgemacht hat. Samuel Koch, der einst bei "Wetten, dass..?" einen Unfall erlitt, der ihn querschnittsgelähmt machte, verleiht seiner Rolle mit seiner körperlichen Erscheinung eine Versehrtheit, die tatsächlich berührt. Als er seinem Vater lächelnd von seinem nun durch Musik erfolgreichen Leben erzählt, meint man, ein inneres Strahlen und die Lebenskraft von Menuchim fast körperlich zu spüren. Das verleiht dem Schluss dieses "Hiob" im Schauspiel Bonn, inszeniert von Sandra Strunz, sogar tiefere Glaubwürdigkeit.
Wie Phönix aus der Asche
Dem hier wie auch letztens im Schauspiel Köln von Koen Tachelet dramatisierten Roman von Joseph Roth (1930) wurde schon von den Zeitgenossen vorgeworfen, wie kitschig das Ende sei. Der kranke, epileptische und wohl auch geistig behinderte jüngste Sohn des frommen Juden Mendel Singer ersteht wie ein Phönix aus der Asche, als berühmter Dirigent und erfolgreicher, gesunder Mann, von Mendels schwerem Schicksal: die Frau und sein Sohn sind gestorben, die Tochter im Irrenhaus, die Auswanderung nach Amerika hat ihn entwurzelt und einsam gemacht.
Bühnenbildnerin Sabine Kohlstedt hat die Geschichte von Mendels Niedergang auf der Bühne in ein zirkusartiges Klettergerüst mit Rutschstangen verwandelt, in Form einer flachen Weltenscheibe. Die Menschen sind da auch nur traurige Artisten, die in der dünnen Luft des Schicksals rumhängen, schwankend an fragilen Seilen.
Sandra Strunz' Inszenierungskonzept ist, Gemütszustände durch Choreografien und Musik (Rainer und Karsten Süßmilch) sichtbar zu machen – als würden die anderen Figuren überkompensieren durch Klettern und raumgreifende Tänze, was dem jüngsten Singer-Sohn nicht möglich wäre.
Rhythmisch sichere Inszenierung
Bewegungslos liegt Menuchim auf der Erde herum, wird herumgetragen oder von seiner Mutter überbehütet (sehr überzeugend Sophie Basse, die für ihre Kinder verlorene Kämpfe durchsteht und dabei immer mehr verhärmt) und dann wie eine Puppe in eine Schaukel gesetzt. Als er "Mama" sagen kann, bekommt er herrische Allüren wie ein Kleinkind, und immer mehr scheint er alles, was geschieht, zu beobachten. Zwei Blechbläser machen dazu mit Kästen, Blechwannen, Posaunen Geräusche, eine entrückte, zart illustrierende Musik. Wenn sich Mirjam (Mareike Hein) mit den Kosaken einlässt und wie eine rollige Katze über die Bühne windet, kommt Stöhnen aus der Posaune, das Pumpventil bewegt sich rhythmisch auf und ab, die Kosaken machen Liegestütze – mehr braucht es nicht, um zu erklären, welcher Art der Ausbruch der Tochter aus dem engen Elternhaus ist.
Sandra Strunz inszeniert den "Hiob" rhythmisch sicher, die Schauspieler überzeugen durch große Ruhe und Gelassenheit. Nur manchmal werden die Tanzeinlagen zu übertriebenem Gezappel. Dennoch schaffen Musik und Tanz eine Metaebene, die die religiös verbrämte, unwahrscheinliche Geschichte ins Allgemeingültige hebt. Schön ist, wenn die Singers ohne Menuchim nach Amerika gehen und zarte bunte Plastiktüten wie romantische Surrogate von der Decke schweben und die Blechbläser das Straßengetöse durch Jazzelemente andeuten. Künstlichkeit ersetzt Natur, Schneeflocken waren gestern.
Schicksalsschlag als PR-Instrument
Wenn der Literaturwissenschaftler Tobin Siebers sagt, Behinderte auf der Bühne seien "hyper-real", sie träten quasi neben ihre Rolle, so stimmt das natürlich auch bei Samuel Koch. Auf Pressemitteilungen wurde sein Name hervorgehoben wie der eines Filmstars, Karten mit seinem Konterfei gibt es im Foyer, Zuschauer sind von weither für ihn angereist (und begeistert) – es ist schon seltsam, einen Schicksalsschlag als PR-Instrument einzusetzen. Auch im Schauspiel Bonn ist nicht immer zu unterscheiden, wo der Name Samuel Koch beginnt und die Figur des Menuchim aufhört, das ist eben so, wenn ein Name durch die Boulevardpresse geht. Dennoch hat Sandra Strunz Figur und Schauspieler klug und schlüssig zusammengeführt. Ihr Hiob zeigt, wie man so etwas wie Schicksal erträgt.