Hinwegtanzen über das Ende der Weimarer Republik

Von Bernhard Doppler · 09.06.2013
Uraufgeführt kurz vor Hitlers Machtergreifung, am Ende der Weimarer Republik, jetzt zum ersten Mal wieder in Berlin zu sehen: Abrahams Jazz-Operette ist eine schillernde und schräge Revue, die mit Einfällen nicht geizt.
Nach stürmischem Premierenapplaus ein besinnlicher Schluss. Das Ensemble gedachte des Komponisten und stimmte dessen Lied "Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände" an.

Hier, in dem Haus der Komischen Oper Berlin, hätte Paul Abrahams Operette 1932 nämlich ursprünglich uraufgeführt werden sollen, nun ist sie erstmals nach 80 Jahren wieder nach Berlin zurückgekehrt. Die Uraufführung selbst hatte unmittelbar vor Hitlers Machtergreifung im Berliner Schauspielhaus stattgefunden, wenige Wochen später wurde Paul Abraham aus Deutschland vertrieben.

Eröffnet hatte den Abend in der Komischen Oper ein Männerquintett in Art der Comedian Harmonist mit dem Song "Der schönste Gedanke bist du", doch in Barrie Kosky Inszenierung schienen sonst die schwermütigen Nummern und Gedanken, die durchaus auch Abrahams Operette ausmachen, in den Hintergrund zu treten. Auch an dem sich zur Uraufführung im Dezember 1932 ja schon ankündigende Ende der Weimarer Republik, über das Abrahams Operette hinwegtanzte und vergessen machen wollte, war Kosky höchstens ganz am Rande interessiert, bestenfalls wenn das Dienstpersonal, Zofe und Kammerdiener, in jiddisch ein Liebesduett ("Pardon Madame") singen.

Gezeigt wird in der Komischen Oper vor allem eine schrille, schräge Revue, die an das hektisch mondäne Leben im Berlin Anfang der 30er Jahre anschließen will; hyperaktiv insbesondere das Ballett (Choreographie Otto Pichler) - die Männer sexy in Unterhosen und Stiefeln - und der Chor der Komischen Oper.

Bei einer Figur geht dieses Regiekonzept auch glänzend auf: bei der amerikanischen Jazzkomponistin Daisy Darlington. Die Komponistin, die ihr männliches Pseudonym, unter dem sie in der Öffentlichkeit bekannt war, lüftet, steht auch für Abrahams Musik, seinen frechen, erfindungsreichen Operettenjazz, und die tempramentvolle Katharine Mehrling, die hin und wieder auch ins "Big-Band-Jodeln" verfällt, ist der unbestrittene umjubelte Mittelpunkt des Abends.

Ihr zur Seite mit wohltuender komödiantischer Professionalität Helmut Baumann als sechs Mal verheirateter türkischer Attaché Mustafa Bey. Die übergroßen Erwartungen, die Dagmar Manzel sich als allseits bewunderte Diva und Sängerschauspielerin in mehreren Rollen in der Komischen Oper erarbeitet hatte, erfüllt sie als treue/ untreue Ehefrau Madeleine diesmal nicht so ganz, wohl auch weil die Inszenierung Revue und Klamauk gegenüber Szenen einer Ehe in den Vordergrund rückte, vielleicht aber auch weil gerade bei ihr die nicht optimal eingestellte elektronische akustische Verstärkung die Intimität der Nummern reduzierte. Ihren Ehemann machte Christoph Späth zur ziemlich einfältigen Lustspielfigur.

Bei dem derben, fast rauhen Zugriff des Orchesters unter Adam Benzwi, das in Abrahams Operettenschlagern viel musikalische Rafinesse erkennen ließ, mögen Mikroports zur Unterstützung der Sänger gewesen nötig sein - streng abgegrenzt davon die allzu wenigen besinnlicheren Teile, nur vom Klavier begleitet - , aber hätte eine Rückbesinnung auf die Operettenkultur der 30er Jahre vielleicht nicht auch hier noch mehr sängerischen Mut und das Wagnis der Unmittelbarkeit eingehen können? An Revueeinfällen wurde allerdings nicht gegeizt. Der Operettenabend hatte mit 3 1/2 Stunden Richard-Wagner-Länge.