Hinter der grünen Haut

15.09.2008
Im Fernsehen sehen wir patente Kommissarinnen, und wenn es brenzlig wird, kommt auch schon der hilfreiche Kollege um die Ecke, um sie zu beschützen. Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? In "Die Angst ist dein größter Feind" berichten Polizistinnen erstmals von ihrer Arbeit. Lebensnahe, authentische Geschichten über eine ganz besondere Herausforderung.
"Selbsterfahrungsliteratur" und "Literatur der Arbeitswelt" - vor dreißig, vierzig Jahren waren das in der Bundesrepublik zwei sehr populäre Genres. Kinder des linken Aufbruchs und der Frauenbewegung. Endlich erzählten in prima persona, im eigenen Namen, die Subjekte selbst. Vorher waren sie zumeist Objekte geblieben, falls die Konfliktfelder, aus denen sie berichteten, nicht komplett beschwiegen oder verleugnet wurden. In den 80er Jahren mit ihrer geschichtsvergessenen Anything-Goes-Frivolität kamen beide Genres in Verruf. Seitdem riechen sie leicht abgestanden und dümpeln quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit im "grauen Buchmarkt" zwischen Books-on-Demand und dubiosen Verlagen, die sich fürs Verlegen vom Autor bezahlen lassen.

Man sollte diese Vorgeschichte im Hinterkopf haben, um einzuschätzen, mit welcher "Scylla" es Volker Uhl aufnahm, als er 2002 das Internetportal polizei-poeten.de gründete und Kollegen aufrief: "Schreib einfach!" Volker Uhl ist Polizist. Dass die Polizei eine Arbeitswelt ist, die Erzählung in prima persona lohnt, hatte bis dato kaum jemand bemerkt. Polizei gilt gemeinhin als Objekt, über das man schreibt, von außen, oft von oben herab und gern mit spitzen Fingern und ideologischem Tunnelblick. Das war Uhls "Charybdis": Auf das Bild, das man in Deutschland von der Polizei hat, haben Außenstehende fast ein Monopol, vor allem Fernsehkrimimacher.

Zwei Anthologien hat Uhl seit 2005 dagegengesetzt. Die eben erschienene dritte macht die Bühne frei für Frauen in der Polizei. Die gelten - noch immer und leider auch in der Polizei selbst -, als irgendwie "exotische Wesen", aus ihnen saugen TV-Krimis besonders gern surrealen Glamour. "Die Angst ist dein größter Feind" konterkariert dieses schiefe Bild souverän. Siebzehn Polizistinnen erzählen, was sie wirklich umtreibt, mit welchen Komplikationen und Konflikten sie sich herumschlagen müssen und was ihre Arbeit "im Innersten zusammenhält" und faszinierend macht. Real existierende Kripokommissarinnen ebenso wie Bundespolizistinnen, Autobahnpolizistinnen und Frauen, die Funkstreifen fahren – der gefährlichste aller Jobs bei der Polizei. Das ist spannend, auch witzig und oft erschütternd.

Niemand kam zu mir, niemand redete mit mir, es war, als wäre ich überhaupt nicht vorhanden, niemand, der mich aus meinem bösen Traum erlöste. Ich gab mir Mühe, nicht den Verstand zu verlieren.

So erlebt eine Berlinerin die Zeit unmittelbar, nachdem der Kollege neben ihr beim Streife fahren von einer Eisenstange am Hals getroffen wird, womöglich tödlich. In all der Hektik zwischen Feuerwehrleuten, die ihn retten, und Polizisten, die den Tatort sichern müssen, verschwindet sie aus der Optik - wie jeder Nicht-Polizist. Aber als sie endlich "wiederentdeckt" wird, darf sie sich nicht etwa - wie jeder andere - um ihre unmittelbarsten Bedürfnisse kümmern.

Ich wollte nur noch nach Hause, weg von hier, wollte duschen, vergessen, aber der Wachleiter erklärte mir, ich müsse unbedingt sofort einen schriftlichen Bericht fertigen.

Das sind Einblicke in Dramen "hinter der grünen Haut", die man als Außenstehender nicht haben kann. Viele kleine Aha-Erlebnisse für alle, die immer schon ahnen, dass "Polizisten auch nur Menschen" sind, aber nicht wissen, was das genau heißt.

170 Polizeipoeten sind inzwischen aktiv - literarische Ambitionen im engen Sinn haben die meisten nicht. Aber auch die gibt es. Sogar ein preisgekrönter deutscher Krimischreiber ist bisher aus dem Projekt hervorgegangen: Norbert Horst.

Rezensiert von Pieke Biermann

Volker Uhl (Hg.): Die Angst ist dein größter Feind - Polizistinnen erzählen
Serie Piper / München-Zürich 2008
256 Seiten, 8,95 Euro