Hinter der Gardine
Theatermacher aus dem Iran bringen sechs Stücke beim Festival "Theaterlandschaft Iran" in Mülheim auf die Bühne. Sie reflektieren kritisch, was in ihrer Gesellschaft vor sich geht, dürfen aber auch die Zensur nicht außer Acht lassen. Denn wenn ihre Stücke verboten oder nicht beim Fadjr-Festival in Teheran gezeigt werden, bekommen sie kein Geld.
Großes Geschrei herrscht auf der Bühne, die Frauen können sich gar nicht beruhigen. Sie trauern um ihre Mutter, die an Krebs gestorben ist. Während ihre Gattinnen klagen, beschäftigen sich die Männer mit ihren Handys. Kein Empfang, so ein Mist. "Obwohl sie lebt, ist sie verloren", heißt das Eröffnungsstück des Festivals "Theaterlandschaft Iran".
Die Mutter ist kaum tot, da kämpfen ihre Kinder schon um das Erbe. Die Trauer war zwar laut, aber nicht ehrlich. Deshalb findet der Geist der Mutter keine Ruhe. Sie erscheint hinter einem durchsichtigen Vorhang und beobachtet die hektischen Streitigkeiten ihrer Familie. Im Iran hat diese Aufführung eine provozierende, politische Ebene, erklärt Festivalleiter Roberto Ciulli.
"Die ganze iranische, islamisch-schiitische Kultur baut auf der Trauer. Und hier bekommen wir ein Stück, in dem eindeutig eine Familie, wo eine Mutter stirbt, entlarvt die Lüge der Trauer. Die Leute trauern und sofort kümmern sie sich um was anderes. Die Trauer ist nur eine Fassade."
Schon zum zehnten Mal zeigt Ciulli in dem von ihm gegründeten Mülheimer Theater an der Ruhr Aufführungen aus dem Iran. So viele wie in diesem Jahr waren es noch nie, 60 Theaterleute sind ins Ruhrgebiet gekommen. Sie zeigen eine enorme stilistische Bandbreite. Die Tanzperformance "Unglaublich aber wahr" erzählt mit akrobatischen Verrenkungen von einem Unterleib, der scheinbar vom Rest des Körpers getrennt wurde.
Und "Der Kreislauf der Erde" ist ein Puppenspiel nach einer klassischen persischen Dichtung aus dem 13. Jahrhundert. Es ist das einzige traditionelle Stück in Mülheim. Es gibt zwar konservative Theatermacher, die islamisches Volkstheater inszenieren. Aber die hat Roberto Ciulli nicht eingeladen. Er zeigt vor allem heutige Stücke, die kritisch die iranische Gesellschaft beleuchten und die Grenzen ausloten, was unter den Augen der Zensoren auf der Bühne möglich ist.
In einer Aufführung steht ein Bett auf der Bühne. Das ist im Iran ein großes Wagnis. Männer und Frauen dürfen sich in der Öffentlichkeit nicht berühren. Im Eröffnungsstück kommt es trotzdem fast dazu, als ein Mann eine weinende Frau trösten will. Aber dann fasst er sie doch nicht an, sondern berührt nur ihre Kleidung.
Im Iran, erzählt Regisseur Nima Deghan, haben die Schauspieler Abstand gehalten. Die Andeutung einer Berührung wagen sie nur beim Gastspiel in Deutschland. Das iranische Theaterpublikum ist es gewöhnt, auf viel feinere Andeutungen zu achten. Die Künstler im Iran, sagt Nima Deghan, müssen clever sein. Es kommt darauf an, wie sie ihre Botschaften dem Publikum mitteilen. Vieles können die Theatermacher nicht offen sagen. Deshalb benutzen sie Zeichen. Auf persisch sagt man: Sie sprechen hinter der Gardine.
Fast alle Aufführungen der "Theaterlandschaft Iran" erzählen von Tod und Trauer. Eins bringt sogar den Krieg auf die Bühne. Ein Soldat trägt ein Maschinengewehr im Arm. Seine Stimme klingt seltsam hoch, und seine Uniformhose endet schon unter den Knien. Eine Schussverletzung hat ihn entmannt. Trotzdem wirbt er um eine schwangere junge Frau, deren Verlobter zum Tode verurteilt wurde. "Hochzeit im Schatten" ist eine schwarze Satire über Liebe in Zeiten des Krieges. Hinter dem Witz liegt Trauer, hinter der Fantasygeschichte eine bittere Analyse der Gegenwart.
Nicht alle Theatergruppen kommen aus Teheran. Es gibt auch ein Gastspiel aus der Provinz Yasooj, und wieder spielt ein Geist eine große Rolle, ein Wesen aus dem Reich der Toten. Diesmal ist es ein Kind, das bei einem Autounfall gestorben ist. Der Fahrer floh, aber er wird das Kind nicht los, es erscheint in seinen Träumen. "Traum vom reinen Schnee" heißt das Stück von Reza Gashtasb. Die Zuschauer sitzen um die viereckige Spielfläche herum, mit schnellen Lichtwechseln und psychologischem, leisem Spiel erzählen die Schauspieler ihre Geschichte in einer filmischen Short-Cuts-Dramaturgie. Das Ensemble Shaden aus der iranischen Provinz arbeitet mit einer ganz ähnlichen Ästhetik wie viele Studioproduktionen deutscher Stadttheater.
Der Iran ist eine komplexe Gesellschaft voller Widersprüche. Zwar gab es natürlich unter Präsident Ahmadineschad eine Stärkung der konservativen Kräfte. Andererseits durfte das Theater an der Ruhr in diesem Jahr mit vielen Theatergruppen direkt über die Gastspiele verhandeln, was vorher nicht möglich war. Im nächsten Schritt allerdings brauchten sie für die Reisen eine Genehmigung vom Staat. Roberto Ciulli war im Januar in Teheran, beim Fadjr-Festival. Nur wer dort auftritt, bekommt Geld vom iranischen Staat. Darüber entscheiden Zensoren. Allerdings, sagt Roberto Ciulli, sollte man ihre Rolle nicht nur negativ sehen. Denn oft arbeiten ehemalige Regisseure, Theatermacher, als Zensoren und helfen mit, gesellschaftskritische Aufführungen zu ermöglichen.
Ciulli: "Ich habe sie erlebt als diejenigen, die genau geholfen haben, nicht zu blockieren, aber genau, weiterzukommen."
Allerdings, berichtet Regisseur Nima Deghan, bedeuten finanzielle Zusagen des Staates noch lange nicht, dass man das Geld auch bekommt. Oft müssen die Theaterleute ein Jahr warten. Sie müssen andere Jobs annehmen, um ihre Familien zu ernähren. Deghan arbeitet auch als Fernsehproduzent. Zu den Protesten nach der Wiederwahl Ahmadineschads, die brutal niedergeschlagen wurden, äußert er sich nur vorsichtig, hinter der Gardine. Es ist nicht die Zeit für offene Worte im Iran.
Es ist still, sagt Nima Deghan. Er möchte auch still sein und nicht darüber reden. Die Iraner protestieren auch mit Stille.
Service:
"Theaterlandschaft Iran" läuft vom 13. bis 18. Oktober im Theater an der Ruhr, Akazienallee 61, 45478 Mülheim an der Ruhr. Infos und Karten: 0208 – 599 01 88. Internet: www.theater-an-der-ruhr.de
Die Mutter ist kaum tot, da kämpfen ihre Kinder schon um das Erbe. Die Trauer war zwar laut, aber nicht ehrlich. Deshalb findet der Geist der Mutter keine Ruhe. Sie erscheint hinter einem durchsichtigen Vorhang und beobachtet die hektischen Streitigkeiten ihrer Familie. Im Iran hat diese Aufführung eine provozierende, politische Ebene, erklärt Festivalleiter Roberto Ciulli.
"Die ganze iranische, islamisch-schiitische Kultur baut auf der Trauer. Und hier bekommen wir ein Stück, in dem eindeutig eine Familie, wo eine Mutter stirbt, entlarvt die Lüge der Trauer. Die Leute trauern und sofort kümmern sie sich um was anderes. Die Trauer ist nur eine Fassade."
Schon zum zehnten Mal zeigt Ciulli in dem von ihm gegründeten Mülheimer Theater an der Ruhr Aufführungen aus dem Iran. So viele wie in diesem Jahr waren es noch nie, 60 Theaterleute sind ins Ruhrgebiet gekommen. Sie zeigen eine enorme stilistische Bandbreite. Die Tanzperformance "Unglaublich aber wahr" erzählt mit akrobatischen Verrenkungen von einem Unterleib, der scheinbar vom Rest des Körpers getrennt wurde.
Und "Der Kreislauf der Erde" ist ein Puppenspiel nach einer klassischen persischen Dichtung aus dem 13. Jahrhundert. Es ist das einzige traditionelle Stück in Mülheim. Es gibt zwar konservative Theatermacher, die islamisches Volkstheater inszenieren. Aber die hat Roberto Ciulli nicht eingeladen. Er zeigt vor allem heutige Stücke, die kritisch die iranische Gesellschaft beleuchten und die Grenzen ausloten, was unter den Augen der Zensoren auf der Bühne möglich ist.
In einer Aufführung steht ein Bett auf der Bühne. Das ist im Iran ein großes Wagnis. Männer und Frauen dürfen sich in der Öffentlichkeit nicht berühren. Im Eröffnungsstück kommt es trotzdem fast dazu, als ein Mann eine weinende Frau trösten will. Aber dann fasst er sie doch nicht an, sondern berührt nur ihre Kleidung.
Im Iran, erzählt Regisseur Nima Deghan, haben die Schauspieler Abstand gehalten. Die Andeutung einer Berührung wagen sie nur beim Gastspiel in Deutschland. Das iranische Theaterpublikum ist es gewöhnt, auf viel feinere Andeutungen zu achten. Die Künstler im Iran, sagt Nima Deghan, müssen clever sein. Es kommt darauf an, wie sie ihre Botschaften dem Publikum mitteilen. Vieles können die Theatermacher nicht offen sagen. Deshalb benutzen sie Zeichen. Auf persisch sagt man: Sie sprechen hinter der Gardine.
Fast alle Aufführungen der "Theaterlandschaft Iran" erzählen von Tod und Trauer. Eins bringt sogar den Krieg auf die Bühne. Ein Soldat trägt ein Maschinengewehr im Arm. Seine Stimme klingt seltsam hoch, und seine Uniformhose endet schon unter den Knien. Eine Schussverletzung hat ihn entmannt. Trotzdem wirbt er um eine schwangere junge Frau, deren Verlobter zum Tode verurteilt wurde. "Hochzeit im Schatten" ist eine schwarze Satire über Liebe in Zeiten des Krieges. Hinter dem Witz liegt Trauer, hinter der Fantasygeschichte eine bittere Analyse der Gegenwart.
Nicht alle Theatergruppen kommen aus Teheran. Es gibt auch ein Gastspiel aus der Provinz Yasooj, und wieder spielt ein Geist eine große Rolle, ein Wesen aus dem Reich der Toten. Diesmal ist es ein Kind, das bei einem Autounfall gestorben ist. Der Fahrer floh, aber er wird das Kind nicht los, es erscheint in seinen Träumen. "Traum vom reinen Schnee" heißt das Stück von Reza Gashtasb. Die Zuschauer sitzen um die viereckige Spielfläche herum, mit schnellen Lichtwechseln und psychologischem, leisem Spiel erzählen die Schauspieler ihre Geschichte in einer filmischen Short-Cuts-Dramaturgie. Das Ensemble Shaden aus der iranischen Provinz arbeitet mit einer ganz ähnlichen Ästhetik wie viele Studioproduktionen deutscher Stadttheater.
Der Iran ist eine komplexe Gesellschaft voller Widersprüche. Zwar gab es natürlich unter Präsident Ahmadineschad eine Stärkung der konservativen Kräfte. Andererseits durfte das Theater an der Ruhr in diesem Jahr mit vielen Theatergruppen direkt über die Gastspiele verhandeln, was vorher nicht möglich war. Im nächsten Schritt allerdings brauchten sie für die Reisen eine Genehmigung vom Staat. Roberto Ciulli war im Januar in Teheran, beim Fadjr-Festival. Nur wer dort auftritt, bekommt Geld vom iranischen Staat. Darüber entscheiden Zensoren. Allerdings, sagt Roberto Ciulli, sollte man ihre Rolle nicht nur negativ sehen. Denn oft arbeiten ehemalige Regisseure, Theatermacher, als Zensoren und helfen mit, gesellschaftskritische Aufführungen zu ermöglichen.
Ciulli: "Ich habe sie erlebt als diejenigen, die genau geholfen haben, nicht zu blockieren, aber genau, weiterzukommen."
Allerdings, berichtet Regisseur Nima Deghan, bedeuten finanzielle Zusagen des Staates noch lange nicht, dass man das Geld auch bekommt. Oft müssen die Theaterleute ein Jahr warten. Sie müssen andere Jobs annehmen, um ihre Familien zu ernähren. Deghan arbeitet auch als Fernsehproduzent. Zu den Protesten nach der Wiederwahl Ahmadineschads, die brutal niedergeschlagen wurden, äußert er sich nur vorsichtig, hinter der Gardine. Es ist nicht die Zeit für offene Worte im Iran.
Es ist still, sagt Nima Deghan. Er möchte auch still sein und nicht darüber reden. Die Iraner protestieren auch mit Stille.
Service:
"Theaterlandschaft Iran" läuft vom 13. bis 18. Oktober im Theater an der Ruhr, Akazienallee 61, 45478 Mülheim an der Ruhr. Infos und Karten: 0208 – 599 01 88. Internet: www.theater-an-der-ruhr.de