Hindenburgs Kopf als Bierhumpen
Über Geschmack lässt sich nicht streiten, heißt es. Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe hält dagegen und zeigt in seiner Ausstellung "Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks" einige der angeblich schlimmsten Geschmacksverirrungen aller Zeiten.
Gustav Pazaureks "Böse Dinge" lagern dicht an dicht in zwei alten Wandschränken und einigen Regalen: auf kostbar getrimmtes Billigporzellan, ein Feuerzeug mit Nagelknipser, Hindenburgs Kopf als Bierhumpen, Flaschenöffner aus Tierpfoten. Ein Lehnstuhl aus Hirschgeweihen. Für seine "Abteilung der Geschmacksverirrungen", die Pazaurek vor gut Hundert Jahren im Stuttgarter Landesmuseum einrichtete, sammelte er pompöse Massenware ebenso wie Designerstücke. Diese Zeugnisse des Ungeschmacks konfrontierte er mit den vorbildlichen Stücken seiner Sammlung. Damit entsprach der Verfechter der klaren Form ganz der Idee des Deutschen Werkbundes, der auf Hersteller, Kunsthandwerker und Käufer geschmacksbildend wirken wollte. Kuratorin Imke Volkers:
"Der Deutsche Werkbund wurde ja 1907 gegründet. Und der hat sich gekümmert - im Zuge der großen Kultur-Reformbewegungen - um eine Steigerung der Qualität von industrieller Ware. Man war gegen die Prunksucht, gegen die Schundwaren, die billigen Imitationen, und hat sich bemüht, qualitätsvolle, schlichte, einfache Dinge zu produzieren."
Die Ausstellung übernimmt Pazaureks aufklärerische Methode: Auch sie konfrontiert die bösen Dinge mit den guten Dingen - etwa mit silbernen Kaffeekannen, mit Küchenschalen, Gläsern und Bestecken in den klaren Formen von Werkbund und Bauhaus. Längst sind diese Produkte Designklassiker, denn stets bilden hier Form und Funktion ein Ganzes.
"Das, was der Werkbund auch wollte - und Pazaurek steht ja im Kontext des Werkbundes –: Dass man versucht hat, für alle Leute gute, qualitätsvolle, gut gearbeitete, günstige Dinge zu produzieren. Und sich auch orientieren zu können; Orientierung zu schaffen, vor allen Dingen."
Das war nicht leicht: Werbung und Unternehmerinteressen gab es schließlich schon damals. Und so kann man sich angesichts der versammelten Geschmacksunfälle gut vorstellen, wie Pazaurek über die schnelle, schäbige, billige Massenproduktion seiner Zeit in Rage geriet: Über verdrehte und verknorzte Gläser, die sich nicht abwaschen ließen, über "Material-Pimpeleien", wie er Figuren aus Streichhölzern oder Kissen aus Stoffresten nannte. Oder über Material-Vergewaltigungen, wie gedrechseltes Elfenbein, oder Möbel aus Porzellan. Imke Volkers:
"Pazaurek hat seine Abteilung der Geschmacksverirrungen in vier große Abteilungen eingeteilt. Das sind 1. die Materialfehler, 2. die Konstruktionsfehler, 3. die Dekorfehler und Kitschobjekte. Und er hat das noch in viele kleine Subkategorien unterteilt. Und da gibt es dann so wunderbare Begriffe wie 'Materialübergriffe', 'Dekorbrutalitäten', das ist wie ein Kategoriensystem, was sich vom Strafrecht herleitet."
Schnell wird klar: Pazaureks vernichtende Kritik kommt nicht aus dem hohlen Bauch, sondern basiert auf klar formulierten, bis heute nachvollziehbaren Maßstäben. Damit steht auch fest: Natürlich lässt sich über Geschmack streiten, nur haben das die Unternehmer nicht so gern. Schließlich könnten sich Kategorien wie "Funktionalität" oder gar "Nachhaltigkeit" schnell als Umsatzbremse herausstellen. Und so überrascht es wenig, dass schon Pazaurek einst heftige Kritik einstecken musste von Unternehmern.
""Es gibt zum Beispiel eine Porzellanvase, die ein Hammerschlag-Dekor hat, was ja nicht funktioniert. Man kann Porzellan nicht mit Hammerschlag bearbeiten. Und er hat diese Vase ausgestellt, und der Hersteller ist bis zum Ministerium gegangen. Es gab eine große Korrespondenz, viel Streit darum, dass diese Vase ausgestellt ist, weil sich natürlich Fabrikanten verunglimpft sahen, dadurch. Es gab auch viel Kritik - aber auch sehr viel Lob, internationales Lob, bis hin zur 'New York Times', die damals darüber geschrieben hat.""
Die Ausstellung erweitert Pazaureks Gruselkabinett um aktuelle Zeugnisse des Ungeschmacks. In offenen Regalen stapelt sich der Massentrash unserer Tage: Glitzerhandys, USB-Sticks in Form von Fingern und Augen, Turnschuhe mit Obama-Konterfei, wackelige Gläser, zig Gefäße in Form weiblicher Brüste, eine Stehlampe mit Maschinengewehr als Fuß. Mitkuratorin Claudia Banz:
"Es geht wirklich um die Oberfläche, es geht um den schönen, schnellen Schein, es geht um das Thema Konsumgesellschaft: Wir sollen ganz schnell Dinge kaufen. Und ich glaube, die Erfahrung hat jeder einmal gemacht, der sich so ein Ding gekauft hat: Das erfreut einen vielleicht einen Tag - und dann ist das vorbei. Und dann fragt man sich schon: Hm, weshalb hab ich mir das gekauft?"
Das kann man sich hundertfach fragen in dieser Ausstellung, in der selbst die Lektüre der Wandtexte Vergnügen bereitet, denn die stammen aus den Lehrbüchern von Gustav Pazaurek - und der formuliert ebenso treffend wie vernichtend. Übrigens forderte der Kunsthistoriker bereits 1899 die "Angliederung solcher Folterkammern für jedes kunstgewerbliche Museum". Die aktuelle Ausstellung zeigt, wie sinnvoll, unterhaltsam und den Blick schärfend so etwas sein kann. Pazaureks Forderung sei hiermit aufs Energischste unterstrichen.
"Der Deutsche Werkbund wurde ja 1907 gegründet. Und der hat sich gekümmert - im Zuge der großen Kultur-Reformbewegungen - um eine Steigerung der Qualität von industrieller Ware. Man war gegen die Prunksucht, gegen die Schundwaren, die billigen Imitationen, und hat sich bemüht, qualitätsvolle, schlichte, einfache Dinge zu produzieren."
Die Ausstellung übernimmt Pazaureks aufklärerische Methode: Auch sie konfrontiert die bösen Dinge mit den guten Dingen - etwa mit silbernen Kaffeekannen, mit Küchenschalen, Gläsern und Bestecken in den klaren Formen von Werkbund und Bauhaus. Längst sind diese Produkte Designklassiker, denn stets bilden hier Form und Funktion ein Ganzes.
"Das, was der Werkbund auch wollte - und Pazaurek steht ja im Kontext des Werkbundes –: Dass man versucht hat, für alle Leute gute, qualitätsvolle, gut gearbeitete, günstige Dinge zu produzieren. Und sich auch orientieren zu können; Orientierung zu schaffen, vor allen Dingen."
Das war nicht leicht: Werbung und Unternehmerinteressen gab es schließlich schon damals. Und so kann man sich angesichts der versammelten Geschmacksunfälle gut vorstellen, wie Pazaurek über die schnelle, schäbige, billige Massenproduktion seiner Zeit in Rage geriet: Über verdrehte und verknorzte Gläser, die sich nicht abwaschen ließen, über "Material-Pimpeleien", wie er Figuren aus Streichhölzern oder Kissen aus Stoffresten nannte. Oder über Material-Vergewaltigungen, wie gedrechseltes Elfenbein, oder Möbel aus Porzellan. Imke Volkers:
"Pazaurek hat seine Abteilung der Geschmacksverirrungen in vier große Abteilungen eingeteilt. Das sind 1. die Materialfehler, 2. die Konstruktionsfehler, 3. die Dekorfehler und Kitschobjekte. Und er hat das noch in viele kleine Subkategorien unterteilt. Und da gibt es dann so wunderbare Begriffe wie 'Materialübergriffe', 'Dekorbrutalitäten', das ist wie ein Kategoriensystem, was sich vom Strafrecht herleitet."
Schnell wird klar: Pazaureks vernichtende Kritik kommt nicht aus dem hohlen Bauch, sondern basiert auf klar formulierten, bis heute nachvollziehbaren Maßstäben. Damit steht auch fest: Natürlich lässt sich über Geschmack streiten, nur haben das die Unternehmer nicht so gern. Schließlich könnten sich Kategorien wie "Funktionalität" oder gar "Nachhaltigkeit" schnell als Umsatzbremse herausstellen. Und so überrascht es wenig, dass schon Pazaurek einst heftige Kritik einstecken musste von Unternehmern.
""Es gibt zum Beispiel eine Porzellanvase, die ein Hammerschlag-Dekor hat, was ja nicht funktioniert. Man kann Porzellan nicht mit Hammerschlag bearbeiten. Und er hat diese Vase ausgestellt, und der Hersteller ist bis zum Ministerium gegangen. Es gab eine große Korrespondenz, viel Streit darum, dass diese Vase ausgestellt ist, weil sich natürlich Fabrikanten verunglimpft sahen, dadurch. Es gab auch viel Kritik - aber auch sehr viel Lob, internationales Lob, bis hin zur 'New York Times', die damals darüber geschrieben hat.""
Die Ausstellung erweitert Pazaureks Gruselkabinett um aktuelle Zeugnisse des Ungeschmacks. In offenen Regalen stapelt sich der Massentrash unserer Tage: Glitzerhandys, USB-Sticks in Form von Fingern und Augen, Turnschuhe mit Obama-Konterfei, wackelige Gläser, zig Gefäße in Form weiblicher Brüste, eine Stehlampe mit Maschinengewehr als Fuß. Mitkuratorin Claudia Banz:
"Es geht wirklich um die Oberfläche, es geht um den schönen, schnellen Schein, es geht um das Thema Konsumgesellschaft: Wir sollen ganz schnell Dinge kaufen. Und ich glaube, die Erfahrung hat jeder einmal gemacht, der sich so ein Ding gekauft hat: Das erfreut einen vielleicht einen Tag - und dann ist das vorbei. Und dann fragt man sich schon: Hm, weshalb hab ich mir das gekauft?"
Das kann man sich hundertfach fragen in dieser Ausstellung, in der selbst die Lektüre der Wandtexte Vergnügen bereitet, denn die stammen aus den Lehrbüchern von Gustav Pazaurek - und der formuliert ebenso treffend wie vernichtend. Übrigens forderte der Kunsthistoriker bereits 1899 die "Angliederung solcher Folterkammern für jedes kunstgewerbliche Museum". Die aktuelle Ausstellung zeigt, wie sinnvoll, unterhaltsam und den Blick schärfend so etwas sein kann. Pazaureks Forderung sei hiermit aufs Energischste unterstrichen.