Hilfsbereitschaft in der Pandemie

Ab wann helfen wir anderen?

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Zwei junge Frauen sitzen mit einem Kaffe auf den Treppenstufen und innerhalb eines eingezeichneten Kreises, um den nötigen Abstand einzuhalten.
Manche Menschen helfen nicht unbedingt aus Empathie, sondern weil sie sich moralisch dazu verpflichtet fühlen. © picture alliance / NurPhoto / Ying Tang
Von Christine Westerhaus · 29.04.2021
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Die Pandemie stellt die Hilfsbereitschaft der Menschen auf eine harte Probe. Wenn nicht viele bei einem mehrwöchigen Lockdown mitmachen, nutzt er nichts. Wie kann man Menschen also motivieren, freiwillig Opfer zu bringen und anderen zu helfen?
"Wir haben uns angeschaut, was junge Menschen dazu motiviert, beispielsweise sich an die "safety behaviours" zu halten, also auf andere Rücksicht zu nehmen im Sinne von Social Distancing beispielsweise", sagt Grit Hein, Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften an der Universität Würzburg.
"Bei den jungen Menschen, also Studierenden, bei denen wir das untersucht haben, haben wir gesehen, dass eben dieses rücksichtsvolle Verhalten nicht durch Emotionen getrieben war, also anscheinend nicht in erster Linie durch Empathie getrieben war, sondern eigentlich eher durch etwas sehr Kognitives, also Informationen. Und auch das Wissen darum, inwieweit die Pandemie ihr eigenes Leben beeinflussen kann."
Konkret bedeutet das: Die Befragten haben die Corona-Maßnahmen nicht befolgt, weil sie sich mit Menschen aus Risikogruppen verbunden fühlen. Vielmehr haben sie aus egoistischen Motiven gehandelt.
"Anhand unserer Ergebnisse kann man sagen, dass es nicht so viel Sinn macht, oder Effekt bringt, bei den jungen Menschen Furcht vor Corona zu erwecken und dadurch Empathie mit der älteren Generation zu erzeugen. Sondern dass es anscheinend wirklich hier darum geht, ganz konkret gut zu informieren und auch darüber aufzuklären, welche Folgen ganz konkret diese Pandemie auch für das eigene Leben beispielsweise für den Fortgang ihres Studiums und so weiter haben kann. Das ist der Hebel, auf dem wir da ansetzen müssen sollen."
Das bedeute zwar nicht, dass sich Menschen nie aus freien Stücken an Restriktionen halten, betont Grit Hein. Auch wenn diese für sie selbst nachteilig sind. Den meisten falle es aber deutlich leichter, wenn sie diese Opfer für Menschen bringen, denen sie sich verbunden fühlen. Genau das sei in Deutschland aber ein Problem, sagt die Forscherin. Denn die junge Generation habe kaum Verständnis für die Probleme älterer Menschen.
"Es gibt Studien, die zeigen, dass Generationenkonflikte auch unter anderem dadurch herrühren könnte, dass teilweise die andere Generation eigentlich fast als Fremdgruppe angesehen wird. Dass diese Kluft zwischen den Generationen immer größer wird und dass es deswegen auch zunehmend schwieriger wird, tatsächlich Empathie für die Probleme zu wecken, die die jeweils andere Generation betreffen. Also das gegenseitige Verständnis und dadurch auch die gegenseitige Empathie, dieses sich nah und verbunden fühlen, wird erschwert. Und ich denke, das ist auch etwas, was wir in der jetzigen Krise sehen."

Neben Empathie spielen auch Moral und Normen eine Rolle

Empathie ist jedoch nicht das einzige Motiv, das Menschen dazu bringt, anderen zu helfen. Manche tun dies, weil sie sich moralisch dazu verpflichtet fühlen oder weil es die sozialen Normen so verlangen. Ganz im Sinne: "Das gehört sich so." Andere helfen, um das Wohlergehen in einer Gruppe zu steigern: So ist ein Klubmitglied demnach eher bereit dazu, einem anderen Mitglied was Gutes zu tun, als jemanden zu helfen, der nicht dazu gehört.
Und andere helfen, weil sie eine Gegenleistung erwarten. Diese Vielfalt von Motiven mache es unmöglich, alle Menschen mit denselben Mitteln zu ködern, sagt Grit Hein. Eine Belohnung beispielsweise kann sehr unterschiedlich wirken, wie die Forscherin in einer Studie zeigen konnte.
"Wir sehen, dass bei hoch empathischen Personen die Belohnung überhaupt keinen Effekt hatte, das ging tatsächlich eher nach hinten los. Als sie die Belohnung bekommen haben, ist eher das prosoziale Verhalten zurückgegangen. In dem Sinne: "Ich lass mich doch hier nicht bestechen." Während bei Personen, die mit weniger Empathie sozusagen angetreten sind, die Belohnung schon einen Effekt hatte."

Was ist mit dem Vertrauen in andere?

Doch wie kann eine Regierung die Bevölkerung dazu motivieren, sich freiwillig an Restriktionen zu halten? Und welche Vor- und Nachteile bringt diese Freiheit? Der Staatswissenschaftler Sverker Jagers von der Göteborg Universität hat sich mit diesen Fragen in einem wissenschaftlichen Artikel auseinandergesetzt.
"Sehr viele Untersuchungen zeigen, dass Menschen eher ihr Verhalten ändern, wenn sie anderen Beteiligten vertrauen. Wenn sie sich darauf verlassen können, dass die übrigen Gruppenmitglieder mitziehen. Und Ähnliches gilt für die Akzeptanz staatlicher Steuerung und verordneter Maßnahmen: Wenn die Menschen großes Vertrauen in die Politik und die staatlichen Behörden haben, fällt es ihnen deutlich leichter, Restriktionen freiwillig zu befolgen."
In Sverker Jagers Heimatland Schweden hat sich die Regierung in der Coronakrise lange Zeit darauf verlassen, dass sich die Menschen freiwillig an Regeln halten: Im Homeoffice arbeiten, Abstand halten und Kontaktbeschränkungen. Und die meisten machen das freiwillig mit. Gleichzeitig habe das entgegengebrachte Vertrauen der Regierung ein Gefühl des Miteinanders in der Bevölkerung hervorgerufen, sagt Sverker Jagers.
"Dieses Gefühl von gemeinsamer Verantwortung zu schaffen funktioniert in Ländern, in denen es ein großes gegenseitiges Vertrauen gibt. Denn dann wissen die Menschen: Halte ich mich an die Vorgaben, werden es auch andere tun."
Doch klar ist: Auch Länder, die Restriktionen eher von oben herab durchsetzen, können viel dafür tun, ihre Bürgerinnen und Bürger mit ins Boot zu holen.
"Man kann die Menschen auf unterschiedlichen Wegen kompensieren. Zum Beispiel, in dem die Politik ihre Entscheidungen sehr transparent macht und den Menschen genau erklärt, warum bestimmte Maßnahmen eingeführt werden. Außerdem ist es wichtig, dass die Meinung der Betroffenen gehört wird. Denn selbst wenn die Menschen nichts verändern können, erhöht es die Akzeptanz für Entscheidungen, wenn die Leute sagen dürfen, was sie davon halten."
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