Hilfe, Touristen!

Die Titelerzählung "Sommerfreuden" spielt in einem etwas heruntergekommenen Hotel. Als die lang erhofften Gäste endlich kommen, bricht Stress und Hektik aus, die auch den Leser schwindlig macht. Mit leichter Hand zeichnet der 1912 verstorbene dänische Autor Hermann Bang, der mit diesem Band wieder entdeckt werden kann, seine karikaturhaften Figuren.
Heute vor 150 Jahren wurde der dänische Schriftsteller Herman Bang geboren, in einem kleinen Ort auf der Insel Alsen, wo sein Vater Pfarrer war; Bang hat später einen wunderschönen kleinen Roman darüber geschrieben, "Das weiße Haus", eine Hommage an diesen Ort und an seine Mutter. Nun ist ein Band mit drei neu übersetzten Erzählungen erschienen.

Ort der Handlung der 180 Seiten langen Titelerzählung "Sommerfreuden" ist ein Fischerdorf im Norden Dänemarks (der berühmte Künstler- und Ferienort Skagen ist nicht weit), genauer gesagt: das etwas heruntergekommene Hotel des Ehepaars Brasen. Die Brasens wollen das Hotel auf Vordermann bringen, denn bislang hatten sie nur Ausgaben, keine Einnahmen.

Für die mehr schlechte als rechte Renovierung haben sie sich in Schulden gestürzt und vom Kaufmann und Krösus des Ortes, dem ambitiösen Vizekonsul Therkildsen, Kredit bekommen. Nun hoffen sie natürlich auf Gäste - an die keiner im Ort glaubt. Herr Brasen hat sogar eine Annonce aufgegeben - an die wiederum er nicht glaubt. Mit dem Schlachter Andersen, der Fleisch ausliefert, lernen wir auch seine Kunden, d.h. die verschiedenen Bewohner des Ortes kennen, eine Welt im Kleinen: den Polizisten, den Kellner, den Pfarrer, den Tierarzt mit seiner lockeren Frau, und wir sehen, wer reich und wer weniger reich ist.

Urplötzlich fallen die heiß ersehnten, aber kaum mehr erwarteten Feriengäste wie ein Heuschreckenschwarm in den kleinen Ort ein und okkupieren Brasens Hotel. Auch sie sind ein fast repräsentativer Querschnitt der kleinbürgerlichen Gesellschaft, es gibt alte Liebschaften, an die man sich wieder erinnert, ein sportlich gebräuntes Männerpaar, eine Herde trockener Lehrerinnen und viele andere mehr, alle für sich Originale.

Und mit ihnen beginnen Hektik und Stress. Was kann für so viele gekocht werden, vor allem, wenn alle was anderes verlangen. Fische werden geschuppt, Hühner gerupft und schnell wird noch eine Torte beim Bäcker bestellt. Es entsteht ein ungeheurer Wirbel, der auch den Leser schwindlig macht. Bang macht das trotzdem mit erstaunlich leichter Hand und zeigt, dass sich Schwerelosigkeit und Stress gar nicht ausschließen müssen.

"Die Raben" ist eine bittere Rachegeschichte, in der das alte Fräulein Sejer, das wegen ihres Buckels keinen Mann abbekommen hat, die geldgierigen Erben einlädt, nur um "sie an ihrem Grab heulen zu sehen". Alle sind sie karikaturhafte Figuren wie von Wilhelm Busch gezeichnet. "Fräulein Caja", nach der die dritte Geschichte benannt ist, ist die Tochter einer Kopenhagener Pensionswirtin, auch sie trifft einen ehemaligen Geliebten wieder, verdrängte Erotik wabert im Untergrund, ungelebtes Leben stresst auch hier. Dazu muss man wissen, dass Bangs Jugend von Verlusten geprägt war, dem Verlust der Heimat - 1864 fiel Alsen an Preußen - und dem Verlust der Eltern, die früh verstarben, sie wurden zum Beweggrund seines Schreibens.

Herman Bang ist ein Dichter der Melancholie einerseits und der Hektik andererseits. Auch in diesen Erzählungen herrscht ein sehnsüchtiges, aber eben auch atemloses, etwas oberflächliches, von Thema zu Thema springendes Leben, das passt in unsere Zeit, deswegen wird er wieder beachtet, endlich wird Bang wieder als moderner Autor
erkannt.

Rezensiert von Peter Urban-Halle

Herman Bang: Sommerfreuden. Erzählungen
Aus dem Dänischen von Ingeborg und Aldo Keel
Manesse Verlag, Zürich 2007. 350 Seiten. € 19,90