Hilfe für Libyen wird zur riskanten Gratwanderung

Von Peter Philipp |
Wenn Außenminister Westerwelle deutsche Hilfe und deutsches Know-how beim Aufbau von Polizei und demokratischen Strukturen anbietet, dann brauchen die Libyer nur nach Afghanistan zu schauen, um festzustellen, wie wenig das dort gefruchtet hat, meint Peter Philipp.
Der Vorsitzende des libyschen "Nationalen Übergangsrates", Mustafa Abdul Jalil, ermahnte die Rebellen bei ihrem Einmarsch in die Hauptstadt Tripolis, sie sollten auf unnötige Gewalt verzichten und nicht nach Rache und Vergeltung streben. Nur Stunden später hieß es jedoch aus der Rebellen-Hochburg Benghasi, es sei eine beträchtliche Belohnung auf den Kopf Muammar al-Gaddafis ausgesetzt worden – "tot oder lebendig". Und inzwischen sind im Bereich der libyschen Hauptstadt Massengräber gefunden worden – von Opfern beider Seiten.

Nur einige Beispiele dafür, dass beide Seiten des Konflikts zu Gewalt und Grausamkeiten imstande sind. Und dass all jene im Ausland sich wieder einmal getäuscht haben dürften, die glaubten und immer noch glauben, dass der Sturz eines Tyrannen fast automatisch zu Freiheit und Demokratie führt. Das hat im Irak nicht geklappt und nicht in Afghanistan, ob es in Tunesien und Ägypten funktioniert, muss sich noch erweisen. In Libyen ist es noch zu früh, zuverlässige Prognosen zu stellen, aber der Übergang zu einem besseren und menschlicheren Staatssystem wird noch einige Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden haben. Bei aller Demonstration selbstgerechter Freude und Zufriedenheit in Paris, London, Brüssel und anderswo: Man ist noch längst nicht am Ziel.

Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Zum einen sind 42 Jahre Diktatur noch nie und nirgendwo von heute auf morgen in eine freiheitliche Demokratie verwandelt worden. Auch in Libyen wird das nicht der Fall sein. Zumal der Übergangsrat sich bisher zumindest noch weitgehend auf Personen stützt, die bisher dem Apparat Gaddafis angehört hatten und von denen sich erst noch erweisen muss, ob sie dem alten Regime aus wirklicher Überzeugung den Rücken gekehrt haben oder aus eigenem politischen Überlebenswillen.

Aus dem Übergangsrat soll nun möglichst rasch eine gewählte Regierung werden. Ein löblicher Vorsatz, der aber auch nicht von heute auf morgen umzusetzen ist. Gaddafi hatte doch das gesamte Staatssystem zerschlagen und alles in Libyen wurde letztlich von ihm selbst bestimmt. Um dies zu ändern, müssen politische Parteien entstehen, die es heute nicht einmal im Ansatz gibt. Und es muss verhindert werden, dass nun die althergebrachten Stammesstrukturen des Landes erneut ihren politischen Einfluss einfordern. So wie auch verhindert werden sollte, dass religiös motivierte Gruppen die Macht anstreben oder übernehmen. Besonders nicht islamistische Gruppen.

Der Übergangsrat ist vorläufig ein Sammelbecken der unterschiedlichsten Kräfte – ehemalige Gaddafi-Leute bis hin zu Islamisten, Wirtschaftswissenschaftlern von internationalem Rang bis hin zu einfachen Militärs, die im Frühjahr zu den Rebellen überliefen. In dieser Zusammensetzung ist ein dauerhaftes Funktionieren dieses Rates kaum zu erwarten. Einen Vorgeschmack darauf bekam die Welt im Juli, als der ehemalige Gaddafi-Innenminister und zum Militärchef der Rebellen avancierte Abdulfatah Younes vermutlich von islamistischen Rebellen ermordet wurde.

Das Ausland steht solchen Problemen weitgehend rat- und hilflos gegenüber. Zwar beginnt man nun, eingefrorene Gaddafi-Gelder freizugeben, um den Übergangsrat bei seiner Arbeit nicht auch noch finanziell unterstützen zu müssen. Geld allein reicht aber nicht. Militär soll es auch nicht sein - aus der Nato ist zu hören, die Aufgabe sei mehr oder weniger erfüllt. Wenn Bundesaußenminister Westerwelle deutsche Hilfe und deutsches "Know-how" beim Aufbau von Polizei und demokratischen Strukturen anbietet, dann brauchen die Libyer nur nach Afghanistan zu schauen, um festzustellen, wie wenig das dort gefruchtet hat. Zumal die Rebellen und der Übergangsrat natürlich auch nicht vergessen haben, dass Deutschland sich am Nato-Einsatz in Libyen nicht beteiligen wollte.

Aber auch für die anderen gilt: Unbedachte Anbiederung wird in Libyen nur den Eindruck verstärken, das Ausland habe ohnehin nur aus Eigennutz geholfen – in Sorge um ungestörte Öl- und Gaslieferungen. Libyen nach dem Sturz Gaddafis zu helfen dürfte sich deswegen noch zu einer riskanten Gratwanderung entwickeln.