"Hilfe erzeugt Abhängigkeit"

Yinka Shonibare Im Gespräch mit Holger Hettinger · 04.06.2010
Die Entwicklungshilfe sei das Schlimmste, was man den afrikanischen Staaten antun kann, sagt Yinka Shonibare. Sie lähme die "Selbsthilfekräfte der Afrikaner". Werke des Künstlers werden derzeit in der Ausstellung "Who knows tomorrow" in Berlin gezeigt.
Holger Hettinger: Yinka Shonibare, wir sind hier in diesem sehr lichten, sehr hellen neogotischen Raum der Friedrichswerderschen Kirche, zwei Ihrer Werke sind hier ausgestellt, "Scramble for Africa" und "Colonal Tarleton and Mrs. Oswald shooting", zwei Werke, die sehr direkt auf koloniale Geschehen Bezug nehmen. Mir fällt auf, dass bei diesen Personen (16 Figuren sind es insgesamt, die hier zu sehen sind), keine dieser Figuren hat einen Kopf.

Yinka Shonibare: Nun, diese Ausstellung, diese Installation bezieht sich auf die Kongokonferenz von 1884, 1885. Damals fassten 14 europäische Staaten gemeinsam einen Beschluss, Afrika untereinander aufzuteilen, ohne sich um das, was die Afrikaner selbst wollten, zu kümmern, oder sie hinzuzuziehen. Und aus diesem Grunde habe ich diese Menschen als kopflose, als hirnlose Menschen dargestellt. Ich habe auch eine Art witzige Anspielung auf die Französische Revolution eingebaut, wo ja auch die Aristokraten damals mit der Guillotine geköpft worden sind.

Hettinger: Diese Kongokonferenz war im Jahr 1884, 1885, und der Titel dieses Werks, "Scramble for Africa", also "Wettlauf um Afrika", der steht ja auch für eine Phase, in der die kolonialen Anstrengungen Europas immer stärker wurden. Man hat quasi die Maske fallen lassen, hat ganz offensichtlich auf diese afrikanischen Länder zugegriffen.

Seitdem ist aber viel passiert - die Unabhängigkeit der afrikanischen Länder, teilweise blutig erkauft, hat die gesellschaftlichen Verhältnisse auch erheblich geändert. Wie prägt diese koloniale Vergangenheit, wie prägt diese Geschichte, die Sie erzählen mit dieser Installation, das heutige Verhältnis zwischen Afrika und Europa?

Shonibare: Das Vermächtnis des Kolonialismus ist immer noch ganz deutlich zu spüren, bis zum heutigen Tage prägt es das Verhältnis der afrikanischen und der europäischen und der entwickelten Länder. Und das sieht so aus, dass die afrikanischen Staaten bis zum heutigen Tag wichtige Entscheidungen nicht selbst treffen können. Die anderen Staaten treffen zum Beispiel die Entscheidungen über das Währungssystem, die Afrikaner müssen hinnehmen, dass andere die Preise für die Rohstoffe festsetzen oder sie müssen hinnehmen, dass andere die Bedingungen setzen, unter denen afrikanische Staaten ihre Erzeugnisse verkaufen.

So sind also die Machtverhältnisse zwischen den westlichen Ländern und den afrikanischen Staaten weiterhin von Ungleichheit geprägt. Sehr viele afrikanische Staaten sind weiterhin von Hilfe aus den westlichen Staaten abhängig.

Wir haben nun zwar formal gesehen die Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten, aber in Wirklichkeit besteht noch eine ganz deutliche Abhängigkeit. So können ja die Afrikaner die Preise für ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht selbst bestimmen, sie müssen auch hinnehmen, dass andere eben über ihr Geld entscheiden. Und ich glaube, es wird noch einige 100 Jahre dauern, ehe wir wirklich von einem ausgewogenen Machtverhältnis zwischen Europa und den afrikanischen Staaten sprechen können.

Hettinger: Ich habe mich eines gefragt, gerade diese Installation, die oben zu sehen ist, "Scramble for Africa", die Kolonialherren haben sich verkleidet, als Afrikaner sozusagen, die symbolisieren oder signalisieren in irgendeiner Weise Zugehörigkeit. Wenn ich das jetzt auf heute transportiere, auch heute gibt es viele europäische Staaten, die Verständnis leben, die Hilfe anbieten wollen, aber es doch letztlich nur auf Ertrag, auf Macht, auf Einfluss abgesehen haben. Ist diese subtile Art des Zugriffs womöglich das Tückischere als der offene Zugriff?

Shonibare: Nun, die meisten afrikanischen Länder haben in den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit gewonnen. Mein Heimatland Nigeria hat 1960 die Unabhängigkeit von Großbritannien errungen. Was nun Hilfe angeht, so halte ich die Hilfslieferungen für die schlimmste Politik überhaupt, denn Hilfe erzeugt Abhängigkeit.

Hilfe ist eigentlich das Schlimmste, was man den afrikanischen Ländern antun kann. Die Situation hat sich doch durch die Hilfsleistungen nicht wesentlich gebessert, sie hat im Gegenteil die Selbsthilfekräfte der Afrikaner gelähmt, es hat sie daran gehindert, zu Schmieden ihres eigenen Glücks zu werden.

Diese Hilfe ist im Grunde nur ein Vorwand dafür, die Länder weiter auszuplündern. Die Hilfe landet ja nur in den Händen einiger weniger Mächtiger, die die in die eigene Tasche stecken. Die Hilfe versetzt die Afrikaner auch in die Lage von unmündigen Kindern, sie ist wie ein Schnuller, den man den Säuglingen in den Mund steckt, damit sie endlich Ruhe geben. Und so hat also diese Hilfe nichts Gutes bewirkt. Man sollte sie sofort ändern.

Worum es letztlich geht, ist, Infrastruktur zu schaffen, Bildung anzubieten, damit die Afrikaner selbst ihr Schicksal meistern können. Das wäre viel besser, als Hilfe zu bieten. Darüber hinaus bringt dieser ausbeuterische Grundansatz der europäischen Staaten auch noch andere Übel mit sich: Zum Beispiel ist mein Land, Nigeria, sehr reich an Erdöl. Man sollte nun meinen, dass dieses Erdöl doch zu etwas Gutem führen könnte, aber nein: Die Ausbeutung der Erdölvorkommen führt zu gewaltigen Umweltschäden, viele Menschen vor Ort können der Fischerei nicht mehr nachgehen wegen dieser Umweltverschmutzung.

Hier ist auch dringender Wandel geboten, diese Erdölabschöpfung führt auch dazu, dass das ganze Erdöl in andere Länder transportiert wird. Bei uns herrscht Ölknappheit, obwohl Nigeria ja doch eigentlich so reich an Erdöl ist. Neben der Umweltverschmutzung haben wir also sogar noch eine Verknappung der Energie – während in Europa rund um die Uhr Strom zur Verfügung steht, muss man bei uns oft lange anstehen, um nur den eigenen Wagen zu betanken. Es gibt nicht einmal rund um die Uhr elektrischen Strom!

Alles das, worauf die Europäer so stolz sind, nämlich exzellente Krankenhäuser, gute Einrichtungen, schöne Wohnungen, das alles beruht ja auch darauf, dass diese Rohstoffe aus Afrika so reichlich und zu so niedrigen Preisen zur Verfügung stehen.

Hettinger: Yinka Shonibare, Sie leben und arbeiten in London. Sehen Sie denn so in Ihrem Umfeld Hoffnung, so etwas wie einen Hoffnungsschimmer?

Shonibare: Nun, die Lage in Afrika hat sich doch gewandelt, selbst wenn man nur 20 Jahre zurückblickt, so hat sich doch etwa in meinem Land, Nigeria, sehr vieles zum Besseren bewegt. Der Fortschritt geschieht langsam, aber wir Afrikaner sind mittlerweile ja auch vollkommen international geworden: Wir reisen umher, wir leben in London, wir leben in New York, in vielen anderen Städten.

Das heißt, die Perspektive hat sich für uns auch sehr ausgeweitet, wir erwarten internationale Standards, die wir ja kennengelernt haben, wir haben an europäischen Universitäten studiert, wir kennen Europa recht gut. Ich hege also die Hoffnung, dass allmählich die Dinge sich verbessern werden, das wird aber Zeit brauchen, insbesondere wenn wir an die Machtverhältnisse denken.

Hier wird sicherlich nicht über Nacht der Wandel eintreten, dennoch bin ich zuversichtlich, gerade in Nigeria haben wir doch eine der bestausgebildeten Bevölkerungen Afrikas. Das heißt, es besteht Anlass zur Hoffnung, ich bin optimistisch, der Wandel wird sicherlich nicht eintreten, weil die Europäer uns Afrikanern helfen, sondern es wird letztlich ein Ergebnis dessen sein, dass die Afrikaner ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen und es selbst gestalten.

Wir können jetzt natürlich endlos über den Kolonialismus uns beklagen, aber das wird keine Besserung bringen. Meine Generation ist sicherlich ein Beleg dafür, dass die Dinge allmählich sich verbessern werden. Meine eigene künstlerische Arbeit wird weltweit anerkannt – und das ist ein Beweis dafür, dass meine Generation jetzt wirklich eine eigene Stimme gewonnen hat, und wir haben auch die Absicht, diese Stimme vernehmlich zu machen.

Hettinger: Schönen Dank, Yinka Shonibare! Zwei seiner Arbeiten sind hier in Berlin zu sehen, er ist einer der vier Künstler, die in einem großen Ausstellungsprojekt namens "Who knows tomorrow" die vier Standorte der Nationalgalerie bespielen.