Hildegard Knef
Skandalauftritt und Durchbruch: Hildegard Knef im Film "Die Sünderin" (1951). © imago images/Everett Collection
Hollywoodstar, Scandaleuse, deutsche Diva
05:36 Minuten
Hildegard Knef war schon mit Anfang 20 das weibliche Gesicht des deutschen Nachkriegsfilms, ehe sie sich als Chansonsängerin neu erfand. Die Künstlerin voller Widersprüche war auch eine Hassliebe der Deutschen. Ein Rückblick zum 20. Todestag.
Ein gewisser Miles Davis soll es Boris Vian gesteckt haben: dass es da eine Frau gab, eine Deutsche, die es fertigbrachte, gar keine und gleichzeitig eine ganz große Stimme zu haben. Ein Paradoxon, von dem sich der amerikanische Über-Trompeter und der französische Über-Poet dann kurz darauf, 1958, im Pariser Studio überwältigen ließen; während Hildegard Knef, mascaradunkel umrahmte Augen und breiter Mund, lächelte und vielleicht daran denken musste, wie sie zum ersten Mal gesungen hatte, noch unter der Nazis, als 19-jährige bei der Soldatenbetreuung in Gardelegen bei Stendal. Ein hübsches Lied. „Unter einem Regenschirm am Abend“ hieß es.
Hildegard Knef ist nicht irgendwer. Sondern eine Art Hassliebe der Deutschen: zuerst nach dem Krieg in Filmen wie „Die Mörder sind unter uns“ nicht weniger als blondes Inbild von Befreiung und Neuanfang, dann kurz darauf mit einer Nacktszene in Willi Forsts „Sünderin“ zur Untragbaren geworden.
Ein deutscher Star in Hollywood
Doch als sie Ende der Fünfziger aus dem amerikanischen Quasi-Exil zurückkehrt, gewittern die Blitzlichter nur so, und keiner verkörpert die Magie des „Wir sind wieder wer“ so wie sie: Broadway, Hollywood, „deutscher Weltstar“. Während „die Knef“, wie sie jetzt heißt, sich als Sängerin eine komplett neue Persona zulegt, Illusionslose und Illusionistin zugleich.
"Was bei Texten schwierig ist, ist die Kargheit, zu der man sich zwingen muss", sagte sie. "Denn ein anständiger Text fängt eigentlich fast an mit einer Kurzgeschichte, die man schreiben könnte, die man vielleicht sogar auf mehrere Kapitel auswalzen könnte, und das muss man also auf diese Knochen streichen, auf das Vertonbare, rein metrisch, sodass es also für den Komponisten eine Möglichkeit gibt, hier eine Melodie hinein zu flechten, ohne nur dem als Begleitung zu dienen."
Was sie sich textlich auf den Leib schreibt, amalgamiert biografische Dissonanzen kongenial mit etwas, das man Berliner Blue Notes nennen könnte, sie selbst in den besten Momenten Bindeglied zwischen den Brecht-Moritaten Lotte Lenyas und der Trauerpop-Ikone Nico, die Knefs „Lied vom einsamen Mädchen“ aus dem Film „Alraune“ zum deutschen Grabgesang umfunktionieren sollte.
Und das einsame Mädchen kam noch einmal zurück: 1971 in Knefs Chanson „Im 80. Stockwerk“, ein absurd vergroovter Taumel im bedrohlich Ungefähren.
Stimme einer Generation
Die Sängerin Hildegard Knef, das war die Stimme einer Generation: mehr noch all jener Frauen, die in der jungen Bundesrepublik älter geworden waren und zu viel Vorbei erfahren hatten – gespiegelt in Knefs spröder Tonlage, einem Timbre des nächsten zur Neige gehenden Glases, auf dessen Grund die immer gleiche zweckoptimistische Erkenntnis wartete: Aufgeben kommt nicht in Frage.
„Das Glück kennt nur Minuten/der Rest ist Warteraum“, hat Knef einmal getextet, und in ihrem Chanson „Aber schön war es doch“ heißt es: "Alles rings umher ist wie ein Buch mit goldbedrucktem Einband, doch seine Seiten sind so grausam leer."
Wie sehr Hildegard Knefs Songs die Bundesrepublik begleitet haben, immer noch begleiten, erwies sich am 2. Dezember letzten Jahres, als Angela Merkel mit dem Großen Zapfenstreich verabschiedet wurde. Gewünscht hatte sich die scheidende Kanzlerin unter anderem Knefs 'signature song' „Für mich soll’s rote Rosen regnen“.
Die sehnsüchtige Melancholie des Stücks klang in der blechernen Version des Stabsmusikkorps der Bundeswehr wie ein Trauermarsch für eine ganze Nation, und in gewisser Weise schloss sich hier ein Kreis: von Wunsch und Wirklichkeit und deutschem Wesen. Was dieses Wesen benötigt, hatte Hildegard Knef erfasst wie wohl keine andere: einen Regenschirm für jeden Tag.