Hilde Mattheis: Große Koalition stärkt nicht die Glaubwürdigkeit der SPD

SPD-Vorstandsmitglied Hilde Mattheis schätzt die Neigung der Parteibasis, eine Große Koalition eingehen zu wollen, als relativ verhalten bis gering ein. Niemand sei in der Partei sehr glücklich, über eine solche Konstellation ernsthaft nachdenken zu müssen, sagte die Vertreterin des linken Flügels.
Ute Welty: Einmal im Willy-Brandt-Haus Mäuschen spielen: Es wäre schon spannend für Christdemokraten und Christsoziale, zu erfahren, wie denn nun SPD-Parteichef Sigmar Gabriel wirbt für die große Koalition – und das muss er tun, morgen, am Sonntag, denn dann entscheidet der sogenannte Parteikonvent, der kleine Parteitag, darüber, ob Koalitionsverhandlungen mit der Union aufgenommen werden sollen. Die Stimmung in den Landesverbänden ist zum Teil sehr skeptisch – und den in Baden-Württemberg besucht gerade Hilde Mattheis, Mitglied des Vorstandes und Vorsitzende des "Forums Demokratische Linke 21" in der SPD. Guten Morgen nach Reutlingen!

Hilde Mattheis: Ja, guten Morgen!

Welty: Sie sind zu Gast, wie gesagt, auf dem Landesparteitag in Baden-Württemberg. Was kommt Ihnen denn da an Stimmung entgegen? Dort ist die SPD ja Juniorpartner in einer grün-roten Koalition.

Mattheis: Na ja, die Delegierten sind natürlich sehr verhalten, und es wird heute intensiver über die große Koalition auch diskutiert werden können, und ich gehe mal davon aus, dass die Skepsis, die ich gestern auch gespürt habe bei den einzelnen Wortbeiträgen, sich heute fortsetzt. Niemand, glaube ich, ist in der Partei sehr glücklich, über eine solche Konstellation ernsthaft nachdenken zu müssen. Viele haben natürlich auch noch 2005 bis 2009 ganz stark im Gedächtnis und die Neigung, sich in so eine Konstellation zu begeben, schätze ich als relativ verhalten bis gering ein.

Welty: Bezogen auf Berlin ist es da vor allem die Rolle des Juniorpartners, die Ihnen Sorge macht?

Mattheis: Es ist die Rolle des Juniorpartners und es ist vor allen Dingen die Sorge davor, dass wir unsere Inhalte, die wir seit 2009 ja in einem sehr intensiven Diskussionsprozess uns wieder erobert haben, dass diese Inhalte ein Stück weit wieder unsichtbarer werden. Das heißt, dass wir in einer Konstellation in der großen Koalition als kleinerer Partner sehr viel wieder an unseren Inhalten zurückstecken müssen. Deshalb wird es sehr darauf ankommen, was Sigmar Gabriel uns morgen von den Sondierungsgesprächen berichten wird und als Grundlage für Koalitionsgespräche dann mitnehmen kann.

Welty: Sie sagen, wir haben uns die Inhalte zurückerobert – aber so richtig genutzt hat es Ihnen ja bei der Wahl nicht.

"Es gibt No-Gos, bei denen die SPD nicht zurückweichen darf"
Mattheis: Das ist richtig. Alle Wahlanalysen sagen uns, dass wir, was soziale Gerechtigkeit anbelangt, zwar auf dem richtigen Weg wieder sind, aber dass die Bevölkerung uns nicht so sehr glauben mag. Ich habe den Eindruck, dass wir einfach ein Stück weit länger noch brauchen würden, bis wir diese alte Glaubwürdigkeit und zu alter Stärke der SPD wieder zurückkommen, und da ist natürlich die Konstellation Große Koalition nicht unbedingt förderlich.

Welty: Schaut man sich die Liste der zu verhandelnden Punkte an, dann ist das ja nicht wenig, was mal eine Sollbruchstelle werden könnte. Wo sehen Sie das größte Konfliktpotenzial und wo würden Sie am ehesten mit sich reden lassen zwischen Steuererhöhung und Mindestlohn?

Mattheis: Ja, Sie werden verstehen, dass ich als einfaches Mitglied auch im Parteitag ...

Welty: Na ja, stellen Sie mal Ihr Licht nicht unter den Scheffel.

Mattheis: Mache ich nicht, aber ich habe auch eine Stimme wie alle Delegierten um mich herum auch, und das ist ja auch richtig in einer Demokratie, und deshalb kann ich nur ganz, ganz persönlich Themen ansprechen, wo ich den Eindruck habe, dass es da am meisten knirscht. Und natürlich werde ich ...

Welty: Und wo ist das?

Mattheis: Ja, das sind vor allen Dingen das Thema Steuern – wir haben die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und auch die Reform der Erbschaftssteuer natürlich vor dem Hintergrund eines riesigen Investitionsstaus immer diskutiert, aber auch immer den Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit mit in der Debatte gehabt. Das sind zwei Seiten einer Medaille.

Und wenn wir uns angucken, wie sich das Vermögen und auch die Einkommen konzentrieren auf die fünf Prozent der Stärksten unserer Gesellschaft, ist das, glaube ich, schon ein Ansatz, der auch eine Grundlage in einem ganz anderen Gesellschaftsbild hat.

Das wird sehr schwierig sein, das weiterhin auch so zu vermitteln, wenn man in eine Koalition mit einer Partei, die kategorisch Steuererhöhungen ausschließt, reingehen sollte. Und das Zweite ist natürlich alles, was um Arbeits- und Beschäftigungsmarkt sich rum rankt. Und da mag es jetzt ein Zugeständnis von Herrn Seehofer verbal geben – wie sich das dann in der Realität auswirkt, wie die Umsetzung erfolgt, das wissen wir alle nicht. Von daher bleibt da auch eine gehörige Skepsis mit.

Und was die Gleichstellung von Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern mit normal Beschäftigten anbelangt, ist da auch noch ein ganz dickes Fragezeichen. Aber das sind für uns eigentlich No-Gos, also da, finde ich, muss die SPD und da werden wir auch, und das haben wir ja auch immer deutlich gemacht, nicht irgendwie zurückweichen. Das sind Dinge, die sind in meinen Augen nicht verhandelbar.

Welty: Jetzt mal unter uns Pastorentöchtern: Hätten Sie es lieber gesehen, wenn dieser Kelch an Ihnen vorübergegangen und die Grünen gesprungen wären?

Mattheis: Ja, es gibt immer mehrere Optionen, auch auf der Grundlage dieses Wahlergebnis gibt es mehrere Optionen. Die Sondierungsgespräche waren jetzt nun so, dass die Leute, die in der Sondierungsrunde waren, uns einstimmig vorschlagen möchten, Koalitionsgespräche aufzunehmen, aber dass Schwarz-Grün natürlich auch eine Option ist – und die Grünen haben ja nicht alle Türen zugemacht –, das ist richtig.

Welty: Vor der Entscheidung über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union Hilde Mattheis aus dem SPD-Vorstand. Schöne Grüße nach Reutlingen und einen erfolgreichen Landesparteitag wünsche ich noch.

Mattheis: Ja, vielen Dank und einen schönen Tag!

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