Hier stehe ich …
Wie im Paradies. Nun ja, vielleicht nicht ganz so kommod wie weiland im Garten Eden, aber zumindest doch einigermaßen himmlisch könnte es auf Erden zugehen, wenn wir denn endlich ernst machten mit unserem multikulturell beseelten Verständnis von religiöser Toleranz und Koexistenz.
Freitags hätten wir frei wegen unserer muslimischen Mitbürger, samstags hielten wir Shabbath-Ruhe und sonntags etwas ähnliches, nur eben unter christlichen Vorzeichen. Gleichermaßen zum Gefallen von Juden, Muslimen und christlichen Feinschmeckern würden unsere Speisekarten endlich von Schweineschnitzeln und diversen Sülzen befreit. Sparschweine würden ausgewildert und – um dieses Mal Muslime und Christen glücklich zu machen – niemand dürfte mehr Zinsen verlangen, nicht fürs Leasing, nicht für den Ratenkauf und nicht für den Häuslebau.
Klingt doch nicht schlecht, oder?
Schade nur, dass dieses Konzept bisher nie und nirgendwo aufgegangen ist, wenigstens nicht auf Dauer. Statt sich auf einem möglichst großen gemeinsamen Nenner zu treffen, sieht es gegenwärtig so aus, als sei ein Verteilungskampf der religiösen Wahrheiten ausgebrochen, bei dem die Christen allerdings auf Landgewinn ausgerechnet durch mehr oder minder geordneten Rückzug zu setzen scheinen. Wenn der anglikanische Erzbischof von Canterbury etwa dafür plädiert, die muslimische Minderheit auf den britischen Inseln durch die Einführung der Scharia zu pazifizieren, ist das eine Strategie, die ein wenig dem Verhindern von Sturmfluten durch das prophylaktische Schleifen der Deiche gleichkommt.
Europas Christen tragen schweres Gepäck mit sich herum. Wenn man sie nach ihrem Glauben fragt, fallen ihnen nur zu häufig zunächst einmal dessen negative Seiten ein. Das Christentum: Das ist doch diese Religion, die Juden verfolgte und unzählige Frauen als Hexen verbrannte. Seine Kreuzritter schlugen vornehmlich friedliebenden Arabern die Köpfe ein, es handelte über Kontinente hinweg mit Sklaven und benachteiligt auch heute noch Frauen, verdammt Schwule und verficht insgesamt eine Moral, die in unsere Zeit passt wie gregorianischer Mönchsgesang in einem angesagten In-Club.
Gerecht ist das nicht, denn das Christentum hat auch eine andere Seite. Es ist gleichzeitig die Religion, die diesem Europa als einem Erdteil der Aufklärung, des Humanismus und der Wissenschaft ein Gesicht gegeben hat, mit einigen unschönen Narben zugegeben, aber doch mit einem ausdrucksstarken Profil. Auf diese Leistungen könnten Europas Christen in durchaus kritischer Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit stolz sein, wenn, ja wenn viele von ihnen nicht unter einer verqueren Form von "Christentumsangst" litten.
Der in Südafrika aufgewachsene und heute in New York und Florenz lebende orthodoxe Jude Jo Weiler hat für diese Form des Bewusstseins einen Ausdruck gefunden: "Christophob" seien sie, die Europäer, sie fürchteten sich vor den Wirkungen ihrer eigenen Religion. Das aber sei fatal für ihr Verhältnis zu den Angehörigen anderer Glaubensgemeinschaften.
Wo den christlichen Europäern die Beziehung zu ihren eigenen religiösen und kulturellen Wurzeln verdächtig wird, muss ihnen auch die Beziehung der anders Gläubigen zu deren Wurzeln suspekt erscheinen. Angst vor dem Fremden entsteht hier aus einer – häufig uneingestandenen – Angst vor dem Eigenen.
Vor diesem Hintergrund werden Stimmen bei weitem nicht nur aus den Kirchen immer lauter, die eine gesellschaftliche Neuorientierung fordern. Zumindest die Aufgeschlosseneren unter ihnen tun dies nicht, um das christliche Abendland unseligen Angedenkens als Bollwerk gegen die Ungläubigen des Orients wieder zu beleben, sondern ihnen liegt eher an einem Europa, in dem unterschiedliche Identitäten sich gegenseitig anerkennen und endlich dialogfähig werden. Jürgen Habermas etwa, nach 78 kritischen Jahren nach wie vor mehr Säulenheiliger der Linken als der Frommen, sprach jüngst von den Religionen als den Grundbausteinen der Zivilisation, die bis in die Moderne gehalten hätten. Speziell das Christentum forderte er in diesem Zusammenhang auf, sich stärker in gesellschaftliche Debatten einzumischen.
In der Tat: Auf die Christen in unseren Breiten kommen Anforderungen zu wie lange nicht mehr. Sie müssen in der – und für die – Öffentlichkeit Stellung beziehen. Nicht als bedingungslose Fundis, wohl aber als politisch bewusste Bürger mit der religiösen Fundierung ihres Glaubens. Und das ist etwas völlig anderes und fernab von jeder Anrüchigkeit voraufklärerischer Reaktion. Nur wer weiß, wo er selbst steht, kann schließlich auch die Positionen der anderen um sich herum einschätzen und beurteilen.
Uwe Bork, Journalist, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist außerdem Autor mehrerer Bücher.
Klingt doch nicht schlecht, oder?
Schade nur, dass dieses Konzept bisher nie und nirgendwo aufgegangen ist, wenigstens nicht auf Dauer. Statt sich auf einem möglichst großen gemeinsamen Nenner zu treffen, sieht es gegenwärtig so aus, als sei ein Verteilungskampf der religiösen Wahrheiten ausgebrochen, bei dem die Christen allerdings auf Landgewinn ausgerechnet durch mehr oder minder geordneten Rückzug zu setzen scheinen. Wenn der anglikanische Erzbischof von Canterbury etwa dafür plädiert, die muslimische Minderheit auf den britischen Inseln durch die Einführung der Scharia zu pazifizieren, ist das eine Strategie, die ein wenig dem Verhindern von Sturmfluten durch das prophylaktische Schleifen der Deiche gleichkommt.
Europas Christen tragen schweres Gepäck mit sich herum. Wenn man sie nach ihrem Glauben fragt, fallen ihnen nur zu häufig zunächst einmal dessen negative Seiten ein. Das Christentum: Das ist doch diese Religion, die Juden verfolgte und unzählige Frauen als Hexen verbrannte. Seine Kreuzritter schlugen vornehmlich friedliebenden Arabern die Köpfe ein, es handelte über Kontinente hinweg mit Sklaven und benachteiligt auch heute noch Frauen, verdammt Schwule und verficht insgesamt eine Moral, die in unsere Zeit passt wie gregorianischer Mönchsgesang in einem angesagten In-Club.
Gerecht ist das nicht, denn das Christentum hat auch eine andere Seite. Es ist gleichzeitig die Religion, die diesem Europa als einem Erdteil der Aufklärung, des Humanismus und der Wissenschaft ein Gesicht gegeben hat, mit einigen unschönen Narben zugegeben, aber doch mit einem ausdrucksstarken Profil. Auf diese Leistungen könnten Europas Christen in durchaus kritischer Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit stolz sein, wenn, ja wenn viele von ihnen nicht unter einer verqueren Form von "Christentumsangst" litten.
Der in Südafrika aufgewachsene und heute in New York und Florenz lebende orthodoxe Jude Jo Weiler hat für diese Form des Bewusstseins einen Ausdruck gefunden: "Christophob" seien sie, die Europäer, sie fürchteten sich vor den Wirkungen ihrer eigenen Religion. Das aber sei fatal für ihr Verhältnis zu den Angehörigen anderer Glaubensgemeinschaften.
Wo den christlichen Europäern die Beziehung zu ihren eigenen religiösen und kulturellen Wurzeln verdächtig wird, muss ihnen auch die Beziehung der anders Gläubigen zu deren Wurzeln suspekt erscheinen. Angst vor dem Fremden entsteht hier aus einer – häufig uneingestandenen – Angst vor dem Eigenen.
Vor diesem Hintergrund werden Stimmen bei weitem nicht nur aus den Kirchen immer lauter, die eine gesellschaftliche Neuorientierung fordern. Zumindest die Aufgeschlosseneren unter ihnen tun dies nicht, um das christliche Abendland unseligen Angedenkens als Bollwerk gegen die Ungläubigen des Orients wieder zu beleben, sondern ihnen liegt eher an einem Europa, in dem unterschiedliche Identitäten sich gegenseitig anerkennen und endlich dialogfähig werden. Jürgen Habermas etwa, nach 78 kritischen Jahren nach wie vor mehr Säulenheiliger der Linken als der Frommen, sprach jüngst von den Religionen als den Grundbausteinen der Zivilisation, die bis in die Moderne gehalten hätten. Speziell das Christentum forderte er in diesem Zusammenhang auf, sich stärker in gesellschaftliche Debatten einzumischen.
In der Tat: Auf die Christen in unseren Breiten kommen Anforderungen zu wie lange nicht mehr. Sie müssen in der – und für die – Öffentlichkeit Stellung beziehen. Nicht als bedingungslose Fundis, wohl aber als politisch bewusste Bürger mit der religiösen Fundierung ihres Glaubens. Und das ist etwas völlig anderes und fernab von jeder Anrüchigkeit voraufklärerischer Reaktion. Nur wer weiß, wo er selbst steht, kann schließlich auch die Positionen der anderen um sich herum einschätzen und beurteilen.
Uwe Bork, Journalist, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Sozialwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete Bork zunächst als freier Journalist für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und ARD-Anstalten. Seit 1998 leitet er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Bork ist außerdem Autor mehrerer Bücher.

Uwe Bork© privat