Hickel: Gewerkschaften droht Entmachtung
Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel hat die Lokführergewerkschaft GDL kritisiert. Bei dem aktuellen Tarifkonflikt gehe es mehr um einen Machtkampf zwischen den Gewerkschaften als um echte Lohnforderungen, sagte Hickel. Der interne Kampf zwischen Gewerkschaften könne zu einer Entmachtung der Interessenvertretungen führen.
Dieter Kassel: 260.000 Mitglieder hat die Bahngewerkschaft Transnet, etwa 65.000 die GDBA und beide Gewerkschaften zusammen bilden eine Tarifgemeinschaft und haben sich schon vor vielen Wochen mit der Deutschen Bahn AG geeinigt. Es hat aber nichts genützt. In der vergangenen Woche gab es natürlich trotzdem die Streiks bei der Bahn, ungefähr 18.000 Züge fuhren nicht. Schuld daran ist der Dritte im Bunde, die dritte Gewerkschaft, die im Grunde genommen just das nicht ist und nicht sein will, im Bunde nämlich, sie macht ihr eigenes Ding. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, GDL, hat etwa 34.000 Mitglieder und möchte für die Lokführer, die bei ihr Mitglied sind, nicht nur mehr Geld und kürzere Arbeitszeiten, sondern vor allen Dingen einen eigenen Tarifvertrag. Heute um 15:00 Uhr läuft eine Frist aus, die die GDL der Deutschen Bahn AG gesetzt hat und die wird mit Sicherheit auslaufen, ohne dass es ein neues Angebot der Bahn gibt. Das wurde von Bahnseite schon angekündigt und das bedeutet, es wird wieder Streik geben. Über die Macht hochspezialisierter Gewerkschaften und die Gefahren einer solchen Macht wollen wir jetzt reden mit dem Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel, er ist der Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft an der Universität Bremen, guten Morgen, Herr Hickel.
Rudolf Hickel: Schönen guten Morgen.
Kassel: Ist eine kleine Gewerkschaft wie die GDL inzwischen viel mächtiger als irgendeine große?
Hickel: Ja, das muss man in der Tat so sagen, die GDL nützt sozusagen, wie Sie schon zu recht formuliert haben, absolute Spitzenfunktion, nämlich dass ohne Lokführer keine Lokomotive, kein Zug fahren kann und von daher nutzt sie diese Position aus und man muss in der Tat sagen, dass sie damit versucht, im Grunde genommen die bisherige Tarifgemeinschaft innerhalb der Deutschen Bahn AG, also wie Sie auch schon gesagt haben, einerseits zwischen Transnet, andererseits GDBA insgesamt zu sprengen, um wirklich völlig abgelöst von den anderen Beschäftigten ihre Forderungen durchzusetzen.
Kassel: Sind denn Lokführer wirklich so wichtig, ist das eine nachvollziehbare Forderung der GDL?
Hickel: Na ja, das ist eigentlich die ganz spannende Frage. Welche Rolle spielen eigentlich die Lokführer? Ist der Vergleich, der ja immer wieder angestellt wird, etwa zwischen Piloten und Krankenhausärzten, die ja auch eigene Tarifverträge durchgesetzt haben. Die Piloten haben damals über 31 Prozent Lohnzuschläge durchgesetzt. Aber ich glaube, der Vergleich hinkt aus zwei Gründen: Der erste Grund ist, dass in der Tat die Qualifikationsanforderungen an einen Lokführer, ich muss es mal so deutlich sagen, obwohl ich den Streik ja immer zur Durchsetzung von Forderungen ganz richtig finde, aber die Qualifikation von Lokführern ist überhaupt nicht vergleichbar mit dem etwa von Piloten oder auch einem völlig übermüdeten Krankenhausarzt, und das Zweite ist, die Ausbildung dauert ungefähr sieben Monate und das Zweite ist, der Lokführer hat ja im Grunde genommen relativ wenig Möglichkeiten, wenn er eventuell mal irgendwas verpasst, dann gibt es redundante Systeme, dann gibt es Warnsysteme. Also der Vergleich ist nicht gerechtfertigt und wenn ich halt, wie am letzten Freitag mit dem ICE fahre und sehe die Zugbeschäftigten, die jungen Frauen, die einen unheimlichen Job machen, steigen über viele Koffer, über hunderte von Passagieren, Reisenden, die alle ein bisschen frustriert sind, dann würde ich sagen, wo liegt da eigentlich der qualifikatorische oder der Einsatz von Leistung, wo liegt da eigentlich der Unterschied?
Kassel: Nun ist es offenbar für die GDL besonders wichtig, dass sie einen eigenen Tarifvertrag aushandeln kann zwischen ihren Mitgliedern und der Bahn. Die Bahn ist ja entgegengekommen – mehr Geld für Lokführer, andere Arbeitszeiten all das ist ja in einem erstaunlichen Ausmaß angeblich möglich. Über den Tarifvertrag sagt die Bahn, auf keinen Fall ein eigener und die GDL sagt, das ist fast der wichtigste Teil unserer Forderung. Warum denn eigentlich?
Hickel: Ja, ich glaube, dass ist im Grunde genommen der Punkt, der sozusagen harte Punkt, der in der Zwischenzeit auch überall zu Frust und Ärgernis führt. Die Sympathiewerte der Lokführer haben ja in den letzten Tagen deutlich abgenommen. Es ist doch ganz eindeutig, dass auch die Bahn jetzt mit ihrem jüngsten Vorschlag, 2000 Euro Zuschlag dann zwar mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden, von dem Abschluss von 4,5 Prozent vom Rest und für ungefähr 143.000 Beschäftigten hoch zu gehen auf zehn Prozent, das sind alles ja unglaubliche Bewegungen in die richtige Richtung. Dabei wissen wir übrigens, dass die Lokführer im Durchschnitt auch im Vergleich mit anderen Arbeitnehmern in anderen Branchen, so wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung gezeigt hat, eher sozusagen über dem Durchschnitt liegen. Es geht im Grunde genommen letztlich um einen Machtkampf und der Machtkampf, den können selbst solche klugen Leute wie Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler, die sich ja unglaublich stark reingehängt haben, um einen relativ klaren Kompromiss zu Stande zu kriegen, können den nicht bändigen. Der Machtkampf ist, die GDL will sich etablieren sozusagen als eigenständige Gewerkschaft, wenn man so ein bisschen genauer hinhört, dann ist die Tarifforderung von 31 Prozent, also Bruttogehälter zu erhöhen auf 2500 Euro spielt überhaupt nicht die entscheidende Rolle, es geht um Machtkampf, es geht um die Etablierung der GDL als einer Gewerkschaft, die nicht mehr, aber auch gar nichts mehr innerhalb des Bahnbereichs zu tun hat, etwa mit Transnet oder GDBA. Das ist das Eine und das Zweite ist, man muss es leider sagen, es würde es alles viel rationaler machen, es scheint offensichtlich auch innerhalb der GDL ein ziemlich starker Machtkampf um die Führungsposition ausgebrochen zu sein. Da gibt es ja ganz, ganz viele Hinweise und deshalb, denke ich, es ist ganz wichtig, wir müssen so sagen, die GDL muss auch zur Vernunft kommen und muss jetzt auch zusammen auch die ganz an sie nah herangehenden Angebote ernsthaft überprüfen. Ich habe einen ganze Katalog von Maßnahmen, die zu verhandeln sind: etwa der Aufstieg, die Weiterbildung, die Zulagenregeln, die Gehaltsstrukturen. Natürlich ist in dem letzten Tarifvertrag auch ein Fehler gemacht worden, dass man zu wenig differenziert hat, aber das ließe sich durch eine Reform der Einkommens- und Gehaltsstrukturen der Einordnung, Zuordnung relativ schnell lösen, aber dazu gibt es machtpolitisch überhaupt keine Bereitschaft.
Kassel: Herr Hickel, 67 Gewerkschaften in Großbritannien sind allein Mitglied des Dachverbandes, es gibt noch ein paar mehr. Drohen uns in Deutschland irgendwann ähnliche Verhältnisse?
Hickel: Ja, in der Tat sind die Aktionen, die jetzt die GDL gestartet hat, laufen darauf hinaus, dass es immer mehr sozusagen Personen, beziehungsweise Gruppen, berufsspezifische, risikospezifische Gewerkschaftsorganisationen gibt. Aber der Unterschied ist, glaube ich, und das muss man sehr genau noch mal benennen, der Unterschied ist ja der, dass die Gewerkschaftsbewegung, die früher so mächtige Gewerkschaftsbewegung im Rahmen der Thatcher-Politik zerschlagen worden ist und in Deutschland stellt es sich ganz andersrum da. Da ist jetzt sozusagen der interne Kampf zwischen Gewerkschaften droht etwas zustande zu bringen, was mit einer sehr radikalen neoliberalen Politik, nämlich Abbau der Macht der Gewerkschaften in Großbritannien vorangetrieben worden ist. Und ich appelliere übrigens an alle Beteiligten, an Transnet, GDBA, auch an die GDL und die Bahn, nicht zu vergessen, dass jetzt durch diese Auseinandersetzung doch insgesamt das hohe Gut des Streikrechts unglaublich stark belastet wird. Wir haben ja in der Zwischenzeit eine Situation, dass etwa ein Gericht entscheiden muss über die volkswirtschaftliche Relevanz des Streiks. Das finde ich schon mal ganz problematisch, und dann sagt das Gericht, ihr könnt nur im Personen- und Nahverkehr streiken. Also hier droht sozusagen aus dem Bauch der Gewerkschaften heraus, droht eine Spaltung, die ich längerfristig für ganz problematisch halte. Und wenn die GDL jetzt auch noch appelliert an die Politik, das muss man sich mal vorstellen, an die Politik, also an die Bundesregierung appelliert, den Konflikt zu schlichten, dann frage ich mich, wo bleibt eigentlich die Autonomie der Tarifpolitik? Das ist im Grunde genommen, die Gewerkschaften sind gut gewarnt davor zu verhindern, dass die Politik ins Tarifvertragssystem eingreift. Also hier muss eine Besinnung zurück stattfinden genau unter den Erfahrungen von Großbritannien über die Notwendigkeit gerade in künftigen Auseinandersetzungen auch ein funktionsfähiges Streikrecht zu haben.
Kassel: Aber wer soll sich da besinnen? Am besten wäre natürlich, wenn sich die GDL besinnt. Wenn wir davon ausgehen, dass sie das nicht tut, wer hat denn nun eigentlich die Lösung in der Hand? Können denn Transnet und GDBA irgendetwas machen, außer Pressemitteilungen rausgeben?
Hickel: Na ja, gut, ich habe ein paar Gespräche am Rande mitbekommen und weiß nun in der Zwischenzeit ganz genau: Die Situation ist völlig verfahren, Transnet und GDBA hat überhaupt kein Einfluss auf die GDL und zwei, die von mir schon zitierten, sehr renommierten Politiker Kurt Biedenkopf auf der einen Seite, Heiner Geißler auf der anderen Seite, haben ja mit allen verhandelt, sind dabei voll gescheitert. Es ist wirklich eine tragische Konstellation, eine wirklich tragische Konstellation, dass sich zurzeit, wenn die GDL nicht bereit ist, sozusagen sich wieder in den großen Diskussionsprozess zu begeben, dass ich keine Lösung dieses Streiks sehe. Es sieht jetzt so aus, wenn ich mal ein pessimistisches Szenario mache, dann werden wir jetzt am Ende der Woche das Urteil vom sächsischen Landesgericht bekommen, weiß ich nicht, wie das ausgeht, ob auch Güterzüge und Fernzüge bestreikt werden. Dann, wenn das nicht der Fall sein wird, wenn das Gericht anders sprechen wird, gibt es ganz sicherlich eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Also das, was wir selber gestalten müssen, was die Kollegen, die Beschäftigten selber gestalten müssen, wird uns aus der Hand geschlagen und von daher gibt es, wirklich, da ich den Konflikt sehr genau kenne, auch die handelnden Personen in der Zwischenzeit sehr gut kenne, muss wirklich noch mal überzeugt werden, mit der Notwendigkeit eines Tarifvertragssystems wieder zurück an den Tisch zu kommen.
Kassel: Herzlichen Dank, der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel von der Universität Bremen war das über den Alleingang der Gewerkschaft Deutscher Lokführer und mögliche Folgen für die deutsche Gewerkschaftslandschaft.
Rudolf Hickel: Schönen guten Morgen.
Kassel: Ist eine kleine Gewerkschaft wie die GDL inzwischen viel mächtiger als irgendeine große?
Hickel: Ja, das muss man in der Tat so sagen, die GDL nützt sozusagen, wie Sie schon zu recht formuliert haben, absolute Spitzenfunktion, nämlich dass ohne Lokführer keine Lokomotive, kein Zug fahren kann und von daher nutzt sie diese Position aus und man muss in der Tat sagen, dass sie damit versucht, im Grunde genommen die bisherige Tarifgemeinschaft innerhalb der Deutschen Bahn AG, also wie Sie auch schon gesagt haben, einerseits zwischen Transnet, andererseits GDBA insgesamt zu sprengen, um wirklich völlig abgelöst von den anderen Beschäftigten ihre Forderungen durchzusetzen.
Kassel: Sind denn Lokführer wirklich so wichtig, ist das eine nachvollziehbare Forderung der GDL?
Hickel: Na ja, das ist eigentlich die ganz spannende Frage. Welche Rolle spielen eigentlich die Lokführer? Ist der Vergleich, der ja immer wieder angestellt wird, etwa zwischen Piloten und Krankenhausärzten, die ja auch eigene Tarifverträge durchgesetzt haben. Die Piloten haben damals über 31 Prozent Lohnzuschläge durchgesetzt. Aber ich glaube, der Vergleich hinkt aus zwei Gründen: Der erste Grund ist, dass in der Tat die Qualifikationsanforderungen an einen Lokführer, ich muss es mal so deutlich sagen, obwohl ich den Streik ja immer zur Durchsetzung von Forderungen ganz richtig finde, aber die Qualifikation von Lokführern ist überhaupt nicht vergleichbar mit dem etwa von Piloten oder auch einem völlig übermüdeten Krankenhausarzt, und das Zweite ist, die Ausbildung dauert ungefähr sieben Monate und das Zweite ist, der Lokführer hat ja im Grunde genommen relativ wenig Möglichkeiten, wenn er eventuell mal irgendwas verpasst, dann gibt es redundante Systeme, dann gibt es Warnsysteme. Also der Vergleich ist nicht gerechtfertigt und wenn ich halt, wie am letzten Freitag mit dem ICE fahre und sehe die Zugbeschäftigten, die jungen Frauen, die einen unheimlichen Job machen, steigen über viele Koffer, über hunderte von Passagieren, Reisenden, die alle ein bisschen frustriert sind, dann würde ich sagen, wo liegt da eigentlich der qualifikatorische oder der Einsatz von Leistung, wo liegt da eigentlich der Unterschied?
Kassel: Nun ist es offenbar für die GDL besonders wichtig, dass sie einen eigenen Tarifvertrag aushandeln kann zwischen ihren Mitgliedern und der Bahn. Die Bahn ist ja entgegengekommen – mehr Geld für Lokführer, andere Arbeitszeiten all das ist ja in einem erstaunlichen Ausmaß angeblich möglich. Über den Tarifvertrag sagt die Bahn, auf keinen Fall ein eigener und die GDL sagt, das ist fast der wichtigste Teil unserer Forderung. Warum denn eigentlich?
Hickel: Ja, ich glaube, dass ist im Grunde genommen der Punkt, der sozusagen harte Punkt, der in der Zwischenzeit auch überall zu Frust und Ärgernis führt. Die Sympathiewerte der Lokführer haben ja in den letzten Tagen deutlich abgenommen. Es ist doch ganz eindeutig, dass auch die Bahn jetzt mit ihrem jüngsten Vorschlag, 2000 Euro Zuschlag dann zwar mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden, von dem Abschluss von 4,5 Prozent vom Rest und für ungefähr 143.000 Beschäftigten hoch zu gehen auf zehn Prozent, das sind alles ja unglaubliche Bewegungen in die richtige Richtung. Dabei wissen wir übrigens, dass die Lokführer im Durchschnitt auch im Vergleich mit anderen Arbeitnehmern in anderen Branchen, so wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung gezeigt hat, eher sozusagen über dem Durchschnitt liegen. Es geht im Grunde genommen letztlich um einen Machtkampf und der Machtkampf, den können selbst solche klugen Leute wie Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler, die sich ja unglaublich stark reingehängt haben, um einen relativ klaren Kompromiss zu Stande zu kriegen, können den nicht bändigen. Der Machtkampf ist, die GDL will sich etablieren sozusagen als eigenständige Gewerkschaft, wenn man so ein bisschen genauer hinhört, dann ist die Tarifforderung von 31 Prozent, also Bruttogehälter zu erhöhen auf 2500 Euro spielt überhaupt nicht die entscheidende Rolle, es geht um Machtkampf, es geht um die Etablierung der GDL als einer Gewerkschaft, die nicht mehr, aber auch gar nichts mehr innerhalb des Bahnbereichs zu tun hat, etwa mit Transnet oder GDBA. Das ist das Eine und das Zweite ist, man muss es leider sagen, es würde es alles viel rationaler machen, es scheint offensichtlich auch innerhalb der GDL ein ziemlich starker Machtkampf um die Führungsposition ausgebrochen zu sein. Da gibt es ja ganz, ganz viele Hinweise und deshalb, denke ich, es ist ganz wichtig, wir müssen so sagen, die GDL muss auch zur Vernunft kommen und muss jetzt auch zusammen auch die ganz an sie nah herangehenden Angebote ernsthaft überprüfen. Ich habe einen ganze Katalog von Maßnahmen, die zu verhandeln sind: etwa der Aufstieg, die Weiterbildung, die Zulagenregeln, die Gehaltsstrukturen. Natürlich ist in dem letzten Tarifvertrag auch ein Fehler gemacht worden, dass man zu wenig differenziert hat, aber das ließe sich durch eine Reform der Einkommens- und Gehaltsstrukturen der Einordnung, Zuordnung relativ schnell lösen, aber dazu gibt es machtpolitisch überhaupt keine Bereitschaft.
Kassel: Herr Hickel, 67 Gewerkschaften in Großbritannien sind allein Mitglied des Dachverbandes, es gibt noch ein paar mehr. Drohen uns in Deutschland irgendwann ähnliche Verhältnisse?
Hickel: Ja, in der Tat sind die Aktionen, die jetzt die GDL gestartet hat, laufen darauf hinaus, dass es immer mehr sozusagen Personen, beziehungsweise Gruppen, berufsspezifische, risikospezifische Gewerkschaftsorganisationen gibt. Aber der Unterschied ist, glaube ich, und das muss man sehr genau noch mal benennen, der Unterschied ist ja der, dass die Gewerkschaftsbewegung, die früher so mächtige Gewerkschaftsbewegung im Rahmen der Thatcher-Politik zerschlagen worden ist und in Deutschland stellt es sich ganz andersrum da. Da ist jetzt sozusagen der interne Kampf zwischen Gewerkschaften droht etwas zustande zu bringen, was mit einer sehr radikalen neoliberalen Politik, nämlich Abbau der Macht der Gewerkschaften in Großbritannien vorangetrieben worden ist. Und ich appelliere übrigens an alle Beteiligten, an Transnet, GDBA, auch an die GDL und die Bahn, nicht zu vergessen, dass jetzt durch diese Auseinandersetzung doch insgesamt das hohe Gut des Streikrechts unglaublich stark belastet wird. Wir haben ja in der Zwischenzeit eine Situation, dass etwa ein Gericht entscheiden muss über die volkswirtschaftliche Relevanz des Streiks. Das finde ich schon mal ganz problematisch, und dann sagt das Gericht, ihr könnt nur im Personen- und Nahverkehr streiken. Also hier droht sozusagen aus dem Bauch der Gewerkschaften heraus, droht eine Spaltung, die ich längerfristig für ganz problematisch halte. Und wenn die GDL jetzt auch noch appelliert an die Politik, das muss man sich mal vorstellen, an die Politik, also an die Bundesregierung appelliert, den Konflikt zu schlichten, dann frage ich mich, wo bleibt eigentlich die Autonomie der Tarifpolitik? Das ist im Grunde genommen, die Gewerkschaften sind gut gewarnt davor zu verhindern, dass die Politik ins Tarifvertragssystem eingreift. Also hier muss eine Besinnung zurück stattfinden genau unter den Erfahrungen von Großbritannien über die Notwendigkeit gerade in künftigen Auseinandersetzungen auch ein funktionsfähiges Streikrecht zu haben.
Kassel: Aber wer soll sich da besinnen? Am besten wäre natürlich, wenn sich die GDL besinnt. Wenn wir davon ausgehen, dass sie das nicht tut, wer hat denn nun eigentlich die Lösung in der Hand? Können denn Transnet und GDBA irgendetwas machen, außer Pressemitteilungen rausgeben?
Hickel: Na ja, gut, ich habe ein paar Gespräche am Rande mitbekommen und weiß nun in der Zwischenzeit ganz genau: Die Situation ist völlig verfahren, Transnet und GDBA hat überhaupt kein Einfluss auf die GDL und zwei, die von mir schon zitierten, sehr renommierten Politiker Kurt Biedenkopf auf der einen Seite, Heiner Geißler auf der anderen Seite, haben ja mit allen verhandelt, sind dabei voll gescheitert. Es ist wirklich eine tragische Konstellation, eine wirklich tragische Konstellation, dass sich zurzeit, wenn die GDL nicht bereit ist, sozusagen sich wieder in den großen Diskussionsprozess zu begeben, dass ich keine Lösung dieses Streiks sehe. Es sieht jetzt so aus, wenn ich mal ein pessimistisches Szenario mache, dann werden wir jetzt am Ende der Woche das Urteil vom sächsischen Landesgericht bekommen, weiß ich nicht, wie das ausgeht, ob auch Güterzüge und Fernzüge bestreikt werden. Dann, wenn das nicht der Fall sein wird, wenn das Gericht anders sprechen wird, gibt es ganz sicherlich eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Also das, was wir selber gestalten müssen, was die Kollegen, die Beschäftigten selber gestalten müssen, wird uns aus der Hand geschlagen und von daher gibt es, wirklich, da ich den Konflikt sehr genau kenne, auch die handelnden Personen in der Zwischenzeit sehr gut kenne, muss wirklich noch mal überzeugt werden, mit der Notwendigkeit eines Tarifvertragssystems wieder zurück an den Tisch zu kommen.
Kassel: Herzlichen Dank, der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel von der Universität Bremen war das über den Alleingang der Gewerkschaft Deutscher Lokführer und mögliche Folgen für die deutsche Gewerkschaftslandschaft.